Über die Sicherheit des Rentenniveaus ist es am Donnerstag, 1. Juni 2017, im Bundestag zum Meinungsstreit gekommen. Die gesetzliche Rente müsse zum einen den erreichten Lebensstandard sichern. Zum anderen dürfe niemand im Alter in Armut geraten: Diese Ziele formulierte Matthias W. Birkwald (Die Linke). Er forderte die Rückkehr zum Rentenniveau des Jahres 2000 mit 53 Prozent des Durchschnittslohns. Diese Anhebung sei finanzierbar, versicherte er. Wenn es dann immer noch nicht reiche, müsse die Rentenversicherung für über 65-Jährige Zuschläge zahlen, um ein würdevolles Leben ohne Armut zu ermöglichen. Birkwald sprach von einer „exakt berechneten Armutsschwelle“, die er bei 1.050 Euro netto zog. Die „solidarische Mindestrente“ sei machbar, meinte er: „Hören Sie auf, Gelder für Riester, Rüstung und Reiche zu verpulvern.“
CDU/CSU: Die Rentenversicherung steht gut da
Dr. h.c. Albert Weiler (CDU/CSU) wollte „nach Birkwalds Märchenstunde wieder zur Realität kommen“. Er gab sich überzeugt: „Die gesetzliche Rentenversicherung steht gut da“ - mit Steigerungen von bis zu 15 Prozent zwischen 2014 und 2017. Eine „nachhaltige Altersvorsorge“ mit dem Drei-Säulen-Modell gebe Sicherheit und nehme die Angst vor Armut.
Doch die Linke torpediere eben dieses Modell und betreibe stattdessen einen „Überbietungswettbewerb von Versprechungen“. Weiler: „Sie reden alles schlecht und stellen sich als göttliche Heilsbringer dar.“ Die Linke spiele „die Jungen gegen die Alten beim Thema Rente aus“.
Grüne: Eine Rentenversicherung für alle
Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) plädierte für „eine Rente für alle und eine Rentenversicherung für alle“. Die Grünen wollten, „dass alle in der Bürgerversicherung“ sind und in sie einzahlen. So lasse sich das Rentenniveau stabilisieren.
Die Vorschläge der Linken führten zu einer milliardenschweren Mehrbelastung ab 2030. Und dies angesichts der Tatsache, dass auch die Beiträge für die Pflegeversicherung erhöht werden müssten und es auch zu höheren Krankenversicherungskosten kommen werde.
SPD: Im Himmel ist Jahrmarkt
Dr. Martin Rosemann (SPD) stellte fest: „Rentenversicherung verlangt Seriosität.“ Doch Die Linke verhalte sich nach dem Motto: „Im Himmel ist Jahrmarkt.“ Und dies werde „auf dem Rücken der jungen Generation ausgetragen“. Die demografischen Belastungen müssten fair auf die Generationen verteilt werden, auf die Beitragszahler und die Rentenempfänger. Dafür sorge das Modell der doppelten Haltelinien der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD).
Nötig seien „zielgenaue Lösungen“ zur Bekämpfung der Altersarmut. Niemand solle sich „die Rente beim Sozialamt abholen“ müssen. Die SPD wolle Selbstständige in die Rentenversicherung mit einbeziehen. Leider habe der Koalitionspartner bei diesem Vorhaben nicht mitgemacht.
Problem in der DDR geschiedener Frauen
Alle Redner gingen auf ein spezielles Problem ein, das unter dem Tagesordnungspunkt mit abgehandelt wurde: Die oft „bittere Armut“, wie es hieß, von in der DDR geschiedenen Frauen. Ihr Problem: Den Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung bei einer Scheidung gab es nicht. Dass diesen Frauen geholfen werden solle, war nicht umstritten.
Kurth sprach sich für einen nachträglichen Versorgungsausgleich aus, dessen Folgen dann aus Steuergeldern bezahlt werden sollten. Birkwald drang auf eine Regelung bis zum 30. Juni 2017. Diese kurze Frist sei „Populismus vor der Wahl“, meinte Rosemann. Die SPD-Fraktion habe bei der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig (SPD), einen Lösungsvorschlag angefordert. Gleiches gilt für die CDU/CSU-Fraktion, sagte Weiler. Er spekulierte überdies, ob mittels Anrechnung von Kindererziehungszeiten eine Lösung gefunden werden könne.
Rentenvorschläge der Linken und Grünen
Zur Debatt standen vier rentenpolitische Anträge der Fraktion Die Linke und ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur privaten Altersvorsorge. Den Antrag der Linksfraktion, in dem es um die Rentenansprüche von zu DDR-Zeiten geschiedenen Frauen geht (18/12107) überwies das Parlament zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Auf Empfehlung dieses Ausschusses (18/12434) lehnte der Bundestag mit den Stimmen der übrigen Fraktionen einen Antrag der Linken (18/10891) ab, die gesetzliche Rente zu stärken, das Rentenniveau anzuheben und die solidarische Mindestrente einzuführen.
In ihrem Antrag zu den Rentenansprüchen in der DDR geschiedener Frauen (18/12107) verweist die Fraktion Die Linke auf die unterschiedlichen Rollenmodelle, die es vor der Wiedervereinigung in Ost und West mit Blick auf die Erwerbstätigkeit von Frauen gegeben habe. Da im Unterschied zu Westdeutschland die Altersversorgung von Frauen in der DDR auf Eigenständigkeit gezielt habe, habe auch kein regelhafter Versorgungausgleich bei Scheidungen existiert.
Altersarmut und fehlende gesellschaftliche Teilhabe
Die Nichtbeachtung dieser Unterschiede beim Einigungsvertrag 1990 und die Streichung aller überwiegend Frauen begünstigenden DDR-Regelungen mit dem Rentenüberleitungsgesetz 1991 hätten dazu geführt, dass heute mehr als die Hälfte der in der DDR geschiedenen Frauen im Alter in Armut lebten. Viele müssten trotz hohen Alters heute noch arbeiten gehen und seien von gesellschaftlicher Teilhabe weitgehend ausgeschlossen.
Die Abgeordneten fordern daher die Bundesregierung auf, bis zum 30. Juni 2017 einen Vorschlag für ein Entschädigungssystem zur Ergänzung der Renten von in der DDR geschiedenen Frauen vorzulegen, damit zügig dessen Diskussion mit Betroffenen und Betroffenenverbänden erfolgen und ein Ausgleich noch im Jahre 2018 in Kraft treten könne.
Linke will Umkehr in der Rentenpolitik
In ihrem zweiten Antrag (18/10891) betont die Linksfraktion, eine verlässliche Rentenpolitik müsse zum Ziel haben, den erarbeiteten Lebensstandard zu sichern sowie Armut im Alter zu vermeiden. Die Abgeordneten verlangen deshalb von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der unter anderem unbefristete Arbeitsverhältnisse zur Regel machen und den Mindestlohn auf mindestens zwölf Euro brutto pro Stunde anheben soll.
Ferner fordern sie, die Beitragssatzobergrenzen zur allgemeinen Rentenversicherung aufzuheben und das Rentenniveau als Sicherungsziel wieder ins Zentrum der Rentenpolitik zu stellen. Außerdem soll die gesetzliche Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung ausgebaut werden, in die auch Beamte, Freiberufler und Selbstständige einbezogen werden soll. Die Linke fordert darüber hinaus die Einführung einer „Solidarischen Mindestrente“ in Höhe von 1.050 Euro.
Altersarmut als „reale Gefahr“
In eine ähnliche Richtung zielte ein weiterer Antrag der Linksfraktion (18/10471, 18/11222), das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung wieder auf 53 Prozent des Durchschnittslohns anzuheben. Wer die gesetzliche Rente stärken wolle, der komme an diesem Schritt nicht vorbei. Ansonsten würde Altersarmut für immer mehr Menschen zur „realen Gefahr“, schreiben die Abgeordneten.
Sie forderten außerdem, die Deckelung des Beitragssatzes aufzuheben und die Dämpfungsfaktoren (Riester-Faktor und Nachhaltigkeitsfaktor) in der Rentenanpassungsformel zu streichen. Diese Formel sollte außerdem so ausgestaltet werden, dass sie wieder dem Anpassungsgrundsatz „Die Rente folgt den Löhnen“ entspreche, heißt es in dem Antrag, den alle übrigen Fraktionen ablehnten.
Linke: Riester-Rente abschaffen
In einem weiteren Antrag (18/8610, 18/11222) hatte die Linksfraktion verlangt, die Riester-Rente in ihrer bisherigen Form abzuschaffen und diese in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Die vor 15 Jahren eingeleitete Teilprivatisierung der Alterssicherung werde sich für Millionen von gesetzlich Versicherten als „Sackgasse in die Altersarmut“ erweisen, schreiben die Abgeordneten. Sie kritisieren, dass die Riester-Rente die Sicherungslücke der gesetzlichen Rente nicht schließen könne.
Die Bundesregierung sollte deshalb einen Gesetzentwurf vorlegen, in dem die Ziele Lebensstandardsicherung und strukturelle Armutsvermeidung in der gesetzlichen Rentenversicherung verankert werden. Als rentenpolitisches Sicherungsziel für die sogenannte Standarderwerbsbiografie (45 Versicherungsjahre zum Durchschnittsentgelt) sollte ein Sicherungsniveau von 53 Prozent vor Steuern festgeschrieben werden. Dazu sollte die Beitragssatzdeckelung aufgehoben werden. Alle anderen Fraktionen lehnten diesen Antrag ab.
Grüne: Riester-Rente reformieren
Die Grünen wollten mit ihrem Antrag (18/7371, 18/11222) die private Altersvorsorge reformieren und transparenter gestalten. Sie forderten von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der ein kostengünstiges Basisprodukt in Form eines Pensionsfonds als Standardweg der kapitalgedeckten Altersvorsorge einführt. Ferner sollte die bisherige Riester-Förderung neu organisiert werden, indem unter anderem die Förderung von Neuverträgen auf eine reine Zulagenförderung umgestellt werde.
Die Grundzulage sollte spürbar erhöht werden, um das Modell auch für Geringverdiener attraktiver zu machen. Die Abgeordneten verlangten außerdem, über verbraucherpolitische Maßnahmen die Transparenz der Riester-Produkte zu erhöhen. Alle übrigen Fraktionen lehnten diesen Antrag ab.
Gesamtkonzept Alterssicherung verlangt
Mit dem gleichen Abstimmungsergebnis scheiterte ein weiterer Antrag der Grünen (18/12098, 18/12586), in dem ein verlässliches, nachhaltiges, solidarisches und gerechtes Gesamtkonzept zur Alterssicherung verlangt wird. Mit diesem Gesamtkonzept sollte nach dem Willen der Fraktion eine Bürgerversicherung eingeführt werden, die alle Bürger in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht.
In einem ersten Schritt sollten nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige, Minijobber, Langzeitarbeitslose und Abgeordnete in die Rentenversicherung aufgenommen werden, so die Grünen. Sie forderten weiter eine Stabilisierung des Rentenniveaus, eine Garantierente für langjährig Versicherte und die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wie die Mütterrente aus Steuermitteln. (fla/nal/01.06.2017)