Kultur

Sachverständige gegen Sonderrechte für Nachrichtendienste

Die geplante Novellierung des Bundesarchivgesetzes wird von Experten zwar prinzipiell begrüßt, zugleich warnen sie aber vor Sonderrechten, die den Nachrichtendiensten eingeräumt werden sollen. Dies wurde am Mittwoch, 19. Oktober 2016, in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien unter Vorsitz von Siegmund Ehrmann (SPD) über den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9633) deutlich.

Schutzfristen sollen von 30 auf zehn Jahre gesenkt werden

Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass die Schutzfristen für personenbezogenes Archivgut von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person gesenkt werden. Bei Amtsträgern und Personen der Zeitgeschichte soll die Schutzfrist komplett entfallen, wenn der schutzwürdige Privatbereich nicht betroffen ist. Zudem sollen in Zukunft alle Stellen des Bundes ihre Akten nach 30 Jahren dem Bundesarchiv anbieten.

Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, monierte, dass die Nachrichtendienste nach dem vorliegenden Gesetzentwurf Akten nur dann an das Bundesarchiv übergeben sollen, wenn „überwiegende Gründe des Nachrichtenzugangs oder schutzwürdige Interessen der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht mehr entgegenstehen“.

„Passus ersatzlos streichen“

Sollte dies so umgesetzt werden, kritisierte Voßhoff, dann könnten die Nachrichtendienste zukünftig allein darüber entscheiden, ob sie Akten dem Bundesarchiv zu Archivierung anbieten. Die Bundesdatenschutzbeauftragte forderte, den Passus ersatzlos aus dem Gesetzestext zu streichen.

Dieser Forderung schlossen sich auch der Vorsitzende des Verbands deutscher Archivarinnen und Archivare, Ralf Jacob, die Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Prof. Dr. Eva Schlotheuber, sowie Dr. Clemens Rehm von der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltung des Bundes und der Länder und der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. jur. Eric W. Steinhauer von der Fernuniversität Hagen an.

„Archivierung im Bundesarchiv einer Löschung gleichsetzen“

Kritisch bewerteten die Experten zudem, dass Akten von einer Anbietungspflicht an das Bundesarchiv ausgenommen werden sollen, die nach gesetzlichen Vorschriften vernichtet oder gelöscht werden müssen. Diese Regelung stehe dem Anspruch auf eine historische Überlieferung staatlichen Handelns entgegen, lautete das einhellige Urteil der Sachverständigen.

Sie sprachen sich dafür aus, im Gesetz eine Regelung zu verankern, mit der die Archivierung im Bundesarchiv einer Löschung gleichgesetzt wird. Der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann, schlug vor, die Übernahme von löschungspflichtigen Daten durch das Bundesarchiv im Bundesdatenschutzgesetz und nicht im Bundesarchivgesetz zu regeln.

„Aktenbestände nicht auseinanderreißen“

Der Hauptabteilungsleiter der Wissenschaftlichen Dienste der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hanns Jürgen Küsters, kritisierte, dass durch die Gesetzesnovelle die amtlichen Akten aus den Archiven der politischen Stiftungen der Parteien an das Bundesarchiv übergeben werden müssten. In den Nachlässen von Politikern, die von den politischen Stiftungen archiviert werden, würden sich jedoch regelmäßig persönliche und amtliche Akten befinden. Es sei nicht hinzunehmen, dass diese Aktenbestände auseinandergerissen werden.

Dieser Ansicht widersprachen Michael Hollmann und Clemens Rehm. Amtliche Akten in den Nachlässen von Politikern gehörten ihnen nicht, argumentierten Rehm und Hollmann. Bei der Archivierung von Aktenbeständen gelte das Herkunftsprinzip, entscheidend sei, wo die Akten ursprünglich angelegt worden sind. (aw/19.10.2016)

Liste der geladenen Sachverständigen

Dr. Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs
Ralf Jacob, Vorsitzender, Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. (VdA)
Prof. Dr. Hanns Jürgen Küsters, Hauptabteilungsleiter Wissenschaftliche Dienste, Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Dr. Clemens Rehm, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses Archive und Recht, Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (KLA)
Prof. Dr. Eva Schlotheuber, Vorsitzende, Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V. (VHD)
Prof. Dr. jur. Eric W. Steinhauer, Fernuniversität in Hagen, Humboldt-Universität zu Berlin
Andrea Voßhoff, Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

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Bundesakten sollen spätestens nach 30 Jahren ins Bundesarchiv

Zukünftig sollen alle Stellen des Bundes ihre Akten nach spätestens 30 Jahren dem Bundesarchiv zur Archivierung anbieten. Zugleich werden die Schutzfristen für personenbezogene Akten von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person verkürzt. Bei Amtsträgern und Personen der Zeitgeschichte entfällt die Schutzfrist komplett, sofern ihr schutzwürdiger privater Lebensbereich nicht betroffen ist. Für Archivgut, das Geheimhaltungsvorschriften unterliegt, werden die Schutzfristen von 60 auf 30 Jahre verkürzt.

Opposition bemängelt Ausnahmen für Nachrichtendienste

Dies sind die Kernpunkte der Novellierung des Bundesarchivgesetzes, die der Bundestag am Donnerstag, 19. Januar 2017, in zweiter und dritter Lesung verabschiedet hat. Für den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9633) in der durch den Kulturausschuss geänderten Fassung (18/10813) stimmten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD.

Bündnis 90/Die Grünen votierten dagegen, die Linksfraktion enthielt sich der Stimme. Die Oppositionsfraktionen bemängelten vor allem Ausnahmeregelungen für die Nachrichtendienste, die selbst darüber bestimmen könne, ob sie ihre Akten an das Bundesarchiv übergeben.

„Sachgerechte Archivierung digitaler Daten“

Ansgar Heveling (CDU/CSU) betonte, dass mit der ersten Novellierung des Bundesarchivgesetzes nach 30 Jahren der Zugang zu den Archivbeständen für die Wissenschaft und andere Nutzer deutlich vereinfacht werde. So würde mit der Gesetzesänderung auch die sachgerechte Archivierung von digitalen Daten ermöglicht.

In diesem Sinne argumentierte auch Hiltrud Lotze (SPD). Sie räumte jedoch ein, dass ihre Fraktion weitergehende Änderungen im Fall der Nachrichtendienste gewünscht habe. Diese müssen ihre Akten nur dann dem Bundesarchiv anbieten, „wenn sie deren Verfügungsgewalt unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegen stehen“.

„Zwingende“ statt „überwiegende Gründe“

Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung war diese Einschränkung lediglich an „überwiegende Gründe“ gekoppelt gewesen. Aber auf Drängen der SPD-Fraktionen hatten die Koalitionsfraktionen den Passus durch einen Änderungsantrag in den Beratungen des Kulturausschusses noch einmal verschärft.

Der Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen reicht diese Verschärfung der Formulierung jedoch nicht aus. Niemand könne nachvollziehbar überprüfen, was „zwingende Gründe“ seien. Letztlich könnten die Nachrichtendienste selbst entscheiden, welche Akten sie an das Bundesarchiv übergeben wollen, argumentierte Sigrid Hupach (Die Linke). Übereinstimmend mit Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) monierte sie, dass der NSU-Skandal gezeigt habe, dass der Bundesnachrichtendienst nicht angemessen mit seinen Akten umgegangen sei.

„Koalition komplett beratungsresistent“

Hupach kritisierte zugleich, dass das Bundesarchiv der Fachaufsicht der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien unterstellt wird. Dies widerspreche aber der nötigen Unabhängigkeit des Bundesarchivs. Insgesamt bleibe das neue Bundesarchivgesetz hinter den Landesarchivgesetzen zurück. Rößner warf der Koalition vor, „komplett beratungsresistent“ zu sein, sie habe auch die Kritik der Sachverständigen an der Gesetzesvorlage in der Anhörung des Kulturausschusses ignoriert.

Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) wies die Kritik der Opposition zurück. Das Gesetz sei ein guter Kompromiss. Es hätten auch Auflagen des Datenschutzes und Fragen der Praktikabilität berücksichtigen werden müssen.

Entschließungsantrag der Grünen abgelehnt

Abgelehnt wurde der Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/10890) mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Grünen, in dem unter anderem gefordert wurde, die allgemeine Schutzfrist für Archivgut des Bundes auf zehn Jahre zu reduzieren und für bedeutende Ereignisse der jüngeren Zeitgeschichte sicherzustellen, dass die Akten spätestens nach Ablauf von 20 Jahren zu öffnen sind.

Darüber hinaus sollte eine möglichst vollständige Archivierung der deutschen Filmproduktionen sowohl in analoger als auch in digitaler Form gewährleistet werden. (hau/19.01.2017)

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