Familie

Conterganstiftungsgesetz ist umstritten

Die geplante Novellierung des Conterganstiftungsgesetzes stößt bei Betroffenen und Sachverständigen auf ein geteiltes Echo. Während die geplante Pauschalierung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe von Contergangeschädigten auf weitreichende Zustimmung stößt, wird die geplante Neuregelung von Kompetenzen zwischen Stiftungsvorstand und Stiftungsrat skeptisch bis ablehnend bewertet. Dies wurde während einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses unter Leitung von Paul Lehrieder (CDU/CSU) von am Montag, 28. November 2016, über den Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion (18/10378) deutlich.

Zustimmung zur Pauschalierung

Die Gerontologin Dr. Christina Ding-Greiner von der Universität Heidelberg bestätigte, dass der Gesetzentwurf in umfassender Weise Entwicklungen und Probleme, die die Evaluation des Conterganstiftungsgesetzes aufgezeigt hätten, berücksichtige. Durch die geplante Pauschalierung würden auch contergangeschädigte Menschen berücksichtigt, die aufgrund einer geringen vorgeburtlichen Schädigung eine niedrigere Schadenspunktezahl aufweisen, aber infolge schwerer Folgeschäden heute in hohem Maß an Schmerzen und Einschränkungen leiden.

Margit Hudelmaier, Mitglied des Stiftungsvorstands, bezeichnete die Pauschalierung von Leistungen als den „einzig richtigen Weg“. Allerdings sprach sie sich für einen möglichst niedrigen Sockelbetrag aus. Ein hoher Sockelbetrag führe zu einer Schlechterstellung der Hochgeschädigten, da es für sie dann schlicht weniger zu verteilen gäbe aus dem jährlichen Topf von 30 Millionen Euro für spezielle Bedarfe.

Für die Pauschalierung sprach sich auch der Vorsitzende des Bundesverbands Contergangeschädigter, Georg Löwenhauser, aus. Conterganschädigungen hätten sehr individuelle Ausprägungen, für Außenstehende sei deshalb kaum zu beurteilen, welche besonderen Leistungen die Geschädigten benötigen, argumentierte er. Ebenso sprachen sich Christian Stürmer, Mitglied des Stiftungsrates, und der Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein für die Pauschalierung aus.

Kritik an der Pauschalierung

Andreas Meyer, Mitglied des Stiftungsrates und Vorsitzender des Bundes Contergangeschädigter und Grünenthalopfer, hingegen sprach sich gegen das im Gesetzentwurf vorgesehene System der Pauschalierung aus. Eine Pauschalierung anhand der Schadenspunktetabelle mit Sockelbetrag stelle eine Kürzung des Leistungssystems zur Deckung spezifische Bedarfe dar. Eine angemessene Pauschalierung wäre nur bei einem Sockelbetrag von 20.000 Euro für jeden der 2.700 leistungsberechtigten und einer damit verbundenen Erhöhung der jährlichen Mittel für spezielle Bedarfe von 30 Millionen auf 54 Millionen Euro möglich.

Höchst strittig war zwischen allen Sachverständigen die geplante Neuregelung von Kompetenzen zwischen Stiftungsrat und Stiftungsvorstand. Mehrheitlich sprachen sie sich dafür aus, die Reform der Stiftungsorganisation aus der Novellierung herauszunehmen und nach einer eingehenden gründlichen Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt gesetzlich zu regeln. (aw/28.11.2016)

Liste der geladenen Sachverständigen

Dr. med. Christina Ding-Greiner, Universität Heidelberg
Margit Hudelmaier
Georg Löwenhauser
Andreas Meyer
Christian Stürmer
Dr. Oliver Tolmein, Kanzlei Menschen und Rechte, Hamburg
Prof. Dr. Dr. h.c. Jan Ziekow, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

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Contergan-Opfer erhalten künftig pauschale Leistungen

Contergan-Opfer erhalten zukünftig pauschale Leistungen zur Deckung ihrer speziellen Bedarfe und müssen hierfür keine speziellen Anträge mehr stellen. Der Bundestag verabschiedete am Donnerstag, 15. Dezember 2016, in zweiter und dritter Lesung ohne Gegenstimmen den entsprechenden Gesetzentwurf der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion zur Novellierung des Conterganstiftungsgesetzes (18/10378) in der durch den Familienausschuss geänderten Fassung (18/10670). Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich der Stimme.

Frei werdende Kapazitäten für die Opferberatung

Die durch die Pauschalierung frei werdenden Verwaltungskapazitäten in der Conterganstiftung sollen zur Beratung der Opfer eingesetzt werden. Für die Deckung der speziellen Bedarfe der etwa 2.700 leistungsberechtigten Contergan-Opfer stellt der Bund jährlich 30 Millionen Euro zur Verfügung.

Die ursprünglich mit der Gesetzesnovelle geplanten Veränderungen an der Struktur der Conterganstiftung hatte der Familienausschuss aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Er folgte damit dem einhelligen Votum von Sachverständigen und Vertretern der Contergan-Opfer in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses. Die Frage der Stiftungsstruktur soll nun zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden.

Regierung: Jährliche Pauschalzahlungen ab 2017

Das zwischen 1957 und 1961 vertriebene Beruhigungsmedikament Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid hatte zu schweren Fehlbildungen oder gar dem Fehlen von Gliedmaßen und Organen von Neugeborenen geführt. Weltweit kamen schätzungsweise zwischen 5.000 und 10.000 geschädigte Kinder zur Welt, etwa die Hälfte von ihnen in Deutschland. 50 Jahre nach ihrer Geburt litten die Opfer unter zunehmenden körperlichen Verschleißerscheinungen, betonte die Parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium, Caren Marks (SPD).

Mit der Gesetzesnovelle von 2013 seien zwar Leistungen für die Deckung spezieller Bedarfe, etwa für kieferchirurgische Behandlungen, eingeführt worden, aber das Antragsverfahren habe sich in der Praxis als zu kompliziert erwiesen, sagte Marks. Die Gesetzesnovelle, die zum 1. Januar 2017 in Kraft tritt, sieht je nach Schädigung jährliche Pauschalzahlungen zwischen 876 und 9.900 Euro für die Deckung der spezifischen Bedarfe vor. Zusätzlich erhält jede leistungsberechtigte Person einen jährlichen Sockelbetrag von 4.800 Euro.

SPD erinnert an Verantwortung des Staates für die Opfer

Die Redner aller Fraktionen begrüßten die Pauschalierung der Leistungen und erinnerten an die besondere Verantwortung des Staates für die Opfer. Ursula Schulte (SPD) verwies darauf, dass es vor 50 Jahren in Deutschland noch kein Arzneimittelrecht gegeben habe.

Die Firma Grünenthal, die das Medikament Contergan auf den Markt gebracht hatte, habe sich in einem Vergleich mit der Zahlung von 100 Millionen D-Mark an die damalige Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ aus der Verantwortung herausgekauft, die dann der deutsche Staat übernommen habe, argumentierte Schulte.

CDU/CSU: Paradigmenwechsel bei der Entschädigung

Maik Beermann (CDU/CSU) verwies darauf, dass mit der Gesetzesnovelle von 2013 ein Paradigmenwechsel bei der Entschädigung der Contergan-Opfer eingeleitet worden sei. So seien unter anderem die monatliche Rente deutlich erhöht und die Leistungen für spezifische Bedarfe eingeführt worden.

Die Evaluierung des Gesetzes habe aber gezeigt, dass sich das Antragsverfahren nicht bewährt habe. Beermann führte aus, dass das Problem der Stiftungsstrukturen in einem zweiten Schritt nach eingehender Prüfung angepackt werden soll. Noch bis zum Ende der Legislaturperiode soll die weitere Evaluation des Conterganstiftungsgesetzes hierzu Ergebnisse liefern.

Grüne: Problem der Stiftungsstrukturen muss gelöst werden

Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen) bedauerte, dass es im Gegensatz zur Novelle von 2013 diesmal zu keinem gemeinsamen Gesetzentwurf gekommen sei. Die von der Koalition ursprünglich vorgeschlagene Reform der Stiftung sei falsch gewesen.

Diese habe zu einer Schwächung der Opfervertreter innerhalb der Stiftung geführt. Dies habe auch die öffentliche Anhörung im Familienausschuss gezeigt. Rüffer betonte zugleich, dass das Problem der Stiftungsstrukturen gelöst werden müsse.

Linke: Pauschalierung zu niedrig angesetzt

Katrin Werner (Die Linke) begrüßte das Prinzip der Pauschalierung ausdrücklich. Allerdings sei diese zu niedrig angesetzt.

Die Linksfraktion forderte in einem Entschließungsantrag (18/10675), der vom Bundestag aber mit der Stimmenmehrheit der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Grünen abgelehnt wurde, allen Leistungsberechtigten jährlich eine Betrag von 20.000 Euro zur Deckung der spezifischen Bedarfe auszuzahlen. Zudem sollte die Möglichkeit der Kapitalisierung der pauschal gewährten Leistungen auf 15 Jahre und über das 55. Lebensjahr hinaus ermöglicht werden.

Änderungswünsche der Opposition abgelehnt

In einem weiteren Entschließungsantrag (18/10676), der gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt wurde, hatte Die Linke gefordert, vor einer „übereilten Strukturanpassung“ diese zunächst wissenschaftlich zu evaluieren, um dann in Zusammenarbeit mit den Betroffenen mögliche Änderungen vornehmen zu können.

Ebenfalls gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt wurde ein von den Grünen vorgelegter Änderungsantrag (18/10674), der die Vertreter der Leistungsberechtigten im Stiftungsrat stärken sollte. Die Reform der Stiftungsstruktur sollte nicht ohne vorherige Evaluation der Arbeitsabläufe in den Stiftungsgremien sowie deren Zusammenarbeit mit dem Bundesfamilienministerium erfolgen. (aw/nal/15.12.2016)