Bundestag lehnt sanktionsfreie Mindestsicherung ab
Die Sanktionsregeln insbesondere für unter 25-Jährige im Hartz-IV-Bezug sorgen im Deutschen Bundestag für heftige Diskussionen: Während die Koalition darin ein geeignetes Instrument des „Forderns und Förderns“ sieht, hält die Opposition sie für einen falschen Weg bei dem Versuch, Arbeitsuchende zu motivieren. Dies wurde in der Debatte über Sanktionen in den Hartz IV-Regelungen am Donnerstag, 26. April 2012, deutlich. Der Bundestag lehnte einen Antrag der Linksfraktion (17/5174) mit 429 Nein-Stimmen bei 68 Ja-Stimmen und 67 Enthaltungen ab. Ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/3207) fand mit 308 Nein-Stimmen bei 144 Ja-Stimmen und 112 Enthaltungen keine Mehrheit. Die Abgeordneten folgten damit der Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (17/6391). Ein weiterer Antrag der Linken (17/9070) wurde zur Beratung in den Ausschuss überwiesen.
Linke: Menschen werden in Existenzangst gestürzt
Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Linken, sagte in ihrem Beitrag, durch die Androhung von Sanktionen würden immer wieder Menschen „in Existenzangst gestürzt“. Erwerbslose würden damit „schikaniert“. Zudem übe die Sanktionspraxis Druck auf die Löhne aus: Dies belege ein Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
So führe allein die Existenz von Sanktionen dazu, dass die Bereitschaft von Arbeitnehmern steige, niedrige Löhne und familienunfreundliche Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Kipping betonte, die Sanktionspraxis sei unvereinbar mit dem „Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum“ und stelle Arbeitslosengeld-II-Bezieher immer wieder unter Generalverdacht.
Ihre Faktion habe eine namentliche Abstimmung zu den Anträgen gefordert, deren Ergebnisse veröffentlicht werden sollten, denn in dem Abstimmungsverhalten der Abgeordneten offenbare sich, wie ernst es ihnen mit dem Recht auf Teilhabe sei.
SPD: Verfassungsfeste Mindestsätze schaffen
Für die SPD warf Garbriele Hiller-Ohm der Linken vor, sie fordere mit der sanktionsfreien Mindestsicherung im Grunde ein bedingungsloses Grundeinkommen; dies sei mit den Sozialdemokraten nicht zu machen. Sie sei davon überzeugt, dass nur Leistungen erhalten solle, wer alles nur mögliche dafür tue, um aus dem Leistungsbezug herauszukommen.
Für diejenigen, die sich dem verweigerten, müssten Konsequenzen möglich sein. Das Bundesverfassungsgericht habe dies auch bestätigt, aber festgehalten, dass an der „physischen Existenz“ nicht gekürzt werden dürfe. Wohnung, Essen, Trinken, Kleidung und medizinische Versorgung könnten kein Spielraum für Sanktionen sein. Deshalb müssten die Sonderregelungen für unter 25-Jährige „unter die Lupe“ genommen werden, denn bei ihnen seien schnell „drastische Kürzungen bis Null“ möglich.
Dies widerspreche aber dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Hiller-Ohm forderte die Arbeitsministerin auf, „verfassungsfeste Mindestsätze“ zu schaffen und für Sanktionsregelungen zu sorgen, die die Existenz nicht antasteten. Hiller-Ohm betonte, im vergangenen Jahr hätten sich lediglich drei Prozent der Hartz-IV-Empfänger „Sanktionsmaßnahmen eingehandelt“. Die Zahl der „Arbeitsverweigerer“ sei in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken.
Grüne: Anknüpfen statt abkoppeln
Die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Brigitte Pothmer, warf der Koalition vor, mit ihrer Politik dazu beizutragen, SGB-II-Bezieher auszugrenzen und sie „zu Parias der Gesellschaft“ zu machen. Damit werde die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben. Man müsse die Arbeitsuchenden stärken und dürfe sie nicht in eine „Bittstellerposition“ drängen.
Ihre Faktion fordere, die Sonderregelungen für junge Erwachsene, die unter dem ehemaligen SPD-Arbeitsminister „bis zum Anschlag verschärft“ worden seien, aufzuheben. Sie würden die Gefahr bergen, junge Menschen in Kleinkriminalität und Schwarzarbeit zu treiben und machten ein vertrauensvolles Verhältnis von Jobsuchenden und Fallmanagern unmöglich. Die Devise müsse lauten „Anknüpfen statt abkoppeln“.
CDU/CSU: Politik des Forderns und Förderns beispielhaft
Die Koalitionsfraktionen sehen dagegen keinen Grund für Änderungen bei den Sanktionsregelungen. So betonte für die CDU/CSU Dr. Carsten Linnemann, in den europäischen Ländern sehe man die deutsche Politik des Forderns und Förderns als Beispiel, dem man nacheifere. Die Sanktionen seien ein „Kontrollmechanismus“, wie es ihn überall in der Gesellschaft gebe, und ein Zeichen von „Fairness, Gerechtigkeit und Verantwortung“ auch gegenüber den Arbeitnehmern, die durch ihre Arbeit die Leistungen erst ermöglichten.
Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung sei zu dem Schluss gekommen, dass Jobcenter, die sich eng an das Regelwerk hielten, bessere Vermittlungsergebnisse vorweisen könnten als die, die es damit nicht so genau nähmen.
FDP: Solidarität ist keine Einbahnstraße
Für die FDP hielt der sozialpolitische Experte Pascal Kober fest, das Gegenüberstellen von Einzelschicksalen bringe nichts; es gehe um den Grundsatz des Sozialstaates, dass Solidarität keine Einbahnstraße sei, sondern eine Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Partnern.
Kober betonte zudem die ausgesprochen erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik der Koalition. (suk)