Streit um BND-Akten zur NS-Vergangenheit
Die Fraktion Die Linke ist im Bundestag mit einem Vorstoß zur Offenlegung aller Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zum Thema NS-Vergangenheit gescheitert. Mit der Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und FDP lehnte das Parlament einen entsprechenden Antrag (17/1556) gegen die Stimmen der Linksfraktion und der Grünen ab, während sich die SPD-Fraktion enthielt. In der Vorlage forderte Die Linke die Bundesregierung auf, „alle Einschränkungen des freien Zugangs zu den Akten des BND im Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten des BND beziehungsweise seiner Vorgängerorganisation zum NS-Regime zu beseitigen und diese Akten insbesondere der Wissenschaft zugänglich zu machen“. Auch solle die Regierung „alle Akten über die Mitwirkung an beziehungsweise mögliche Behinderung der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen und der entsprechenden Täter“ der Öffentlichkeit zugänglich machen.
„Personelle Verbindungen zum NS-Regime“
In der Begründung hieß es, die frühe Geschichte des BND und seiner Vorläuferorganisation, der „Organisation Gehlen“, weise „enge personelle Verbindungen zum NS-Regime auf, die bis heute nicht in ihrem vollen Umfang wissenschaftlich aufgearbeitet“ seien.
In der Debatte betonten Redner aller Fraktionen die Notwendigkeit einer umfassenden Aufarbeitung der Geschichte. Dabei verwiesen Vertreter der Koalition wie der Opposition auf „personelle Kontinuitäten“ der frühen Bundesrepublik zum nationalsozialistischen Deutschland.
CDU/CSU: Junge Bundesrepublik musste funktionieren
Der CDU-Abgeordnete Manfred Grund sagte, die „junge Bundesrepublik“ habe schnell als Staatswesen funktionieren müssen. Damals habe es aber an Personen gemangelt, „die in der Lage waren, ein Staatswesen zu organisieren, und zugleich unbelastet genug waren“. Auch deshalb seien „Personen wieder herangezogen worden, denen bei Lichte betrachtet kein Neuanfang in einem demokratischen Staatswesen mehr hätte ermöglicht werden dürfen“.
In der Abwägung zwischen Belastung und vermeintlicher Fachkompetenz sei zu oft zugunsten letzterer entschieden worden. Dabei sei auch an die Organisation Gehlen als Vorgängerorganisation des BND zu denken.
„Unabhängige Historikerkommissin gewonnen“
Grund betonte zugleich, der BND habe sich die Aufarbeitung seiner Vor- und Frühgeschichte zur Aufgabe gemacht. Dazu sei eine unabhängige Historikerkommission gewonnen worden, deren Erfolg durch eine umfassende Einsichtnahme in die Aktenbestände des BND gewährleistet werde. Seine Fraktion unterstützte den begonnenen Aufarbeitungsprozess.
Der CSU-Innenexperte Dr. Hans-Peter Uhl verwies darauf, dass man Akten, die mit Informationen aus anderen Geheimdiensten bestückt sind, nicht ohne deren Zustimmung aufdecken dürfe. Auch könnten Akten bei einem noch lebenden Informanten, der geschützt werden müsse, nicht aufgedeckt werden.
SPD: Ungute Seilschaften
Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann plädierte mit Blick auf solche Fälle für einen Abwägungsprozess. Er zollte zugleich der Linksfraktion Anerkennung. „Jede kritische Beschäftigung“ mit dem Agieren des Auslandsnachrichtendiensts sei geboten, sagte er. Eine uneingeschränkte Aufarbeitung sei unerlässlich. Es habe „ungute Seilschaften“ gegeben, die „sozusagen direkt von der SS, von der Waffen-SS, von der NSDAP in die Organisation Gehlen und dann in den Bundesnachrichtendienst hineingeführt haben“.
In dieser Hinsicht habe es keine „Stunde Null“ gegeben. Nicht nur in der Bundesrepublik habe es Kontinuitäten gegeben, sondern auch in der DDR, in der bei dem späteren Ministerium für Staatssicherheit NS-Mitarbeiter integriert worden und in hohe Positionen gelangt seien. Mit Blick auf den BND und weitere Behörden verwies Hartmann darauf, dass die Aufarbeitung stattfinde, auch wenn mit ihr spät begonnen worden sei. Gerade der BND habe einen „großen Schritt zur Offenheit und zur Öffnung vollzogen“.
FDP: Kontinuitäten im Personal offenlegen
Der FDP-Parlamentarier Dr. Stefan Ruppert sagte, man wisse, dass es „Kontinuitäten im Personal zwischen Nationalsozialismus und der frühen Bundesrepublik“ gegeben habe. Es sei wichtig, dies offenzulegen, weil man verstehen wolle, „warum Menschen das Bedürfnis hatten, in der frühen Bundesrepublik diese Leute wieder zu integrieren“.
Dabei habe man heute sowohl den „verdrängenden Charakter der früheren Bundesrepublik als den teilweise auch vorrangig moralisierenden Drang“ abgelegt, den es in den 1960er Jahren gegeben habe. Diesen „historisierenden, verstehenden Ansatz“ müsse man weiter „hochhalten“.
Linke: Resozialisierungszentrale für Massenmörder
Für die Linksfraktion unterstrich ihr Abgeordneter Jan Korte, dass „Massenmörder“ wie Adolf Eichmann oder Klaus Barbie zeitweise im Sold des BND gestanden hätten oder von ihm gedeckt worden seien. Zum Teil habe der damalige BND beziehungsweise die Organisation Gehlen „einer einzigen großen Resozialisierungszentrale für schwerstkriminelle Massenmörder“ geglichen. Dabei habe es sich um „zentrale Figuren in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis“ gehandelt.
Korte fügte hinzu, mittlerweile gebe es eine hervorragende Forschungslage zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik, doch hinke die Politik der Wissenschaft beim Willen zur Erforschung und Aufarbeitung hinterher. Bei Nachfragen zu diesem Thema gebe es zu oft die Auskunft, dass die Akten entweder nicht gefunden werden könnten oder vernichtet worden seien.
Grüne: Partielle Aktenverweigerung dauert an
Wie Korte machte sich auch der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele für eine Offenlegung sämtlicher Akten stark. Es habe nicht nur die „schreckliche deutsche Vergangenheit bis 1945“ gegeben, sondern noch eine zweiten Teil als Folge der Nazi-Zeit. Ströbele kritisierte, bis heute dauere eine „partielle Aktenverweigerung an“. Er verwies darauf, dass Deutschland für die „neue Art der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit DDR“ viel geehrt werde. Dabei habe man sich von den Bürgerrechtlern in der DDR sagen lassen müssen, wie man die Vergangenheit aufarbeitet.
Eine Forderung der Bürgerrechtsbewegung sei gewesen, alle Akten in Deutschland offenzulegen. Dies habe auch für die Akten der westdeutschen Geheimdienste gegolten. Darauf warte man noch heute. Die Einsetzung der Historikerkommission sei gut, doch müssten zugleich alle BND-Akten auch anderen Wissenschaftlern und Journalisten sowie der interessierten Öffentlichkeit offengelegt werden. (sto)
Der Bundestag debattiert am Freitag, 27. Januar 2012, abschließend über einen Antrag der Fraktion Die Linke (17/1556) zur Offenlegung aller Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND) „zum Thema NS-Vergangenheit“. Für die Aussprache, die gegen 11.35 Uhr beginnen soll, ist gut eine Stunde veranschlagt. In der Vorlage fordert die Linksfraktion die Bundesregierung auf, „alle Einschränkungen des freien Zugangs zu den Akten des BND im Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten des BND beziehungsweise seiner Vorgängerorganisation zum NS-Regime zu beseitigen und diese Akten insbesondere der Wissenschaft zugänglich zu machen“. Auch solle die Regierung „alle Akten über die Mitwirkung an beziehungsweise mögliche Behinderung der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen und der entsprechenden Täter“ der Öffentlichkeit zugänglich machen.
„Enge personelle Verbindungen zum NS-Regime“
In der Begründung schreibt die Fraktion, die frühe Geschichte des BND und seiner Vorläuferorganisation, der „Organisation Gehlen“, weise „enge personelle Verbindungen zum NS-Regime auf, die bis heute nicht in ihrem vollen Umfang wissenschaftlich aufgearbeitet“ seien. Anders als beim Bundeskriminalamt (BKA) sei von Seiten des BND „kein verstärktes Interesse an der Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte zu erkennen“.
Der Innenausschuss des Bundestages empfiehlt in seiner mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP gefassten Beschlussempfehlung (17/4468), den Antrag abzulehnen. Dagegen hatte neben der Linksfraktion auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt, während sich die SPD-Fraktion enthielt. (sto)