„Wie im richtigen Leben“
Vier interessante, aber auch anstrengende Tage liegen hinter den 312 Jugendlichen, die vom 5. bis 8. Juni 2010 als Abgeordnete fiktiver Fraktionen beim Planspiel „Jugend und Parlament“ die Arbeitsweise des Bundestages kennenlernten. Zum Abschluss diskutierten sie mit den echten Fraktionsvorsitzenden des Bundestages, bevor Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert sie mit einem Grußwort verabschiedete.
Mit Applaus wurden die Fraktionsvorsitzenden von den 312 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Plenarsaal des Deutschen Bundestages empfangen. Den anderthalbstündigen Erfahrungs- und Meinungsaustausch zwischen fiktiven und echten Politikern moderierte Ulrich Deppendorf, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios.
„Es war interessant, wie von 312 Einzelmeinungen am Schluss eine verabschiedet wurde“, fasste der junge Fraktionsvorsitzende der „Christlichen Volkspartei“ (CVP) den gespielten Gesetzgebungsprozess zusammen. Diese Meinungsbildung sei nicht immer einfach gewesen - und Bayern die schwierigste Landesgruppe.
„Kompromisse wesentlich für die Demokratie“
„Das ist ja wie im richtigen Leben“, kommentierte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Michael Kretschmer. Er betonte, Kompromisse seien nicht schlimm, sondern wesentlich für die Demokratie.
Wie im wirklichen Leben verfügte eine christlich-liberale Koalition im Planspiel über die Mehrheit im Parlament. Die Beratungen innerhalb der Koalition seien reibungslos und konstruktiv gelaufen, berichtete der Fraktionsvorsitzende der „Liberalen Reformpartei“.
„Wir müssen für alles den Kopf hinhalten“
„Wir sind auf dem besten Weg, uns das zum Vorbild zu nehmen“, reagierte FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger. „Wir müssen für alles geradestehen und den Kopf hinhalten“, beschrieb sie im Gespräch die Hauptaufgabe einer Fraktionsvorsitzenden. Sie empfahl den Politikern in spe eine positive Grundhaltung, mit der aus Problemen Herausforderungen werden.
Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) gab den Nachwuchspolitikern den Tipp: „Immer wieder innehalten und überlegen, was der richtige Weg fürs Land ist - und rechtzeitig Urlaub planen.“
„Unterschiedliche Meinungen in einer Fraktion“
„Unser Problem war die Entscheidung, ob wir für einen Kompromiss stimmen oder dagegen, weil unsere Meinung darin nicht vollständig wiedergegeben wird“, erzählte die Fraktionsvorsitzende der „Arbeiterpartei Deutschlands“, die den Wechsel eines Parteimitglieds zur CVP verkraften musste.
„Außer dem Fraktionsaustritt kommt mir vieles bekannt vor“, sagte Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD). Auch in echt gebe es viele unterschiedliche Meinungen innerhalb einer Fraktion.
„Fraktionsvorsitz kostet viele Nerven“
Dies bestätigte auch Dr. Gregor Gysi von der Linksfraktion. Denn jeder Abgeordnete komme aus einer bestimmten Gruppe - zum Beispiel einem Tierschutzbund - und wolle sich so verhalten, dass er sich bei seinen Leuten weiter sehen lassen könne. Das Amt des Fraktionsvorsitzes koste daher viele Nerven.
Wirtschaftskrise, Haushaltslage und Atomausstieg - nach dem Erfahrungsaustausch kamen die Newcomer und die Vollprofis auf die aktuelle Politik zu sprechen. So ließ es sich Gregor Gysi nicht nehmen, das geplante Sparpaket als „nicht zu überbietende Dreistigkeit“ zu bezeichnen.
„Warum arbeitet man nicht zusammen?“
„Warum ist die Opposition eigentlich immer gegen die Regierung, warum arbeitet man nicht zusammen?“, fragte ein Teilnehmer. „Wir unterscheiden sehr genau, ob die Regierung dem Parlament etwas Vernünftiges vorstellt“, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier.
„Schämt man sich jetzt für die Steuersenkungen im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes?“, will ein Jugendlicher, der in der Kommunalpolitik aktiv ist, von Birgit Homburger wissen.„Nein, das Gesetz diente dazu, Wachstum und die Beschäftigung zu fördern. Das haben wir geschafft“, antwortete die Fraktionsvorsitzende.
„Demokratie ist keine Konfliktvermeidungsstrategie“
Zum Abschluss leitete Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert die Sitzung. In seinem Grußwort bezeichnete er das Planspiel als „schöne Tradition“, die seit 1981 gepflegt wird. „Ich hoffe, es war interessant und anstrengend“, sagte er zu den Planspiel-Abgeordneten. Denn dies sei charakteristisch für die parlamentarische Arbeit.
In seinem Schlusswort stellte Lammert die wesentlichen Aspekte eines vernünftigen Demokratieverständnisses dar. „Demokratie ist keine Konfliktvermeidungsstrategie, sondern die intelligenteste Erfindung der Menschheit, halbwegs vernünftig mit Konflikten umzugehen“, sagte Lammert.
„Die Mehrheit stellt fest, was gilt“
Weil unterschiedliche Meinungen unvermeidlich seien, sei die Mehrheitsentscheidung das einzige zumutbare Verfahren. „Die Mehrheit stellt nicht fest, was wahr ist, sondern was gilt - und zwar solange es diese Mehrheit gibt“, erklärte Lammert. Deshalb seien Demokratien lebendig, aber auch labil.
Er appellierte an die Jugendlichen, sich auch parteipolitisch zu engagieren, da Parteien die „unverzichtbaren Scharniere in funktionierenden Demokratien“ seien.
„Interessant und anstrengend“
Teilnehmer Robert ist bereits bei den Jungen Liberalen (JuLis) aktiv. Für das Planspiel schlüpfte er allerdings in die Rolle eines APD-Abgeordneten.
Er fand es cool, die Fraktionsvorsitzenden aus der Nähe zu sehen und zu aktuellen Themen sprechen zu hören. Und er gibt dem Bundestagspräsidenten Recht: „Es war wirklich interessant und anstrengend.“