+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

+++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++ Archiv +++

Ausschüsse

Öffentliche Anhörung zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Gleichstellung von cannabis- und alkoholkonsumierenden Führerscheininhaberinnen und Führerscheininhabern“ (BT-Drs. 19/17612)

Zeit: Mittwoch, 24. Februar 2021, 11 bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 600

Die Forderung der Linksfraktion nach Anhebung der Toleranzgrenze für den Cannabiskonsum im Straßenverkehr von derzeit 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (ng/ml) auf 10 ng/ml – entsprechend der 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol – stößt bei Sachverständigen auf Zuspruch wie auch auf Ablehnung. Das wurde am Mittwoch, 24. Februar 2021, während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses unter Leitung von Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) zu dem von der Fraktion vorgelegten Antrag (19/17612) deutlich.

Im Gegensatz zur Grenzwert-Regelung bei Alkohol gelte bei Cannabis faktisch eine Null-Toleranz-Grenze, kritisieren die Abgeordneten in der Vorlage. Der meist angewendete Grenzwert von 1,0 ng/ml sei so niedrig, dass dieser oft noch Tage nach dem Cannabiskonsum überschritten werde, wenn längst keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit mehr bemerkbar sei. Die Abgeordneten verlangen in ihrem Antrag zudem, im Strafgesetzbuch eine Normierung des THC-Grenzwertes vorzunehmen, „indem ein THC-Wert von 3,0 ng/ml Blutserum festgelegt wird, unterhalb welchem eine relative Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen werden kann“.

„Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten“

Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes (DHV), beklagte während der Anhörung eine massive Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten im Straßenverkehr, für die es kein vernünftiges Argument gebe. Klar sei, „dass keiner bekifft durch die Gegend fahren soll“, betonte Wurth. Bis heute jedoch werde jedes noch so kleine Strafverfahren wegen Cannabisbesitz an die Führerscheinstellen gemeldet.

Kommen zufällig mehrere solche Meldungen zusammen, werde das häufig als Hinweis auf regelmäßigen Konsum gewertet, was zur Anordnung einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) und damit zu hohen Kosten und auch schnell zum Führerscheinentzug führe, „ohne jeden Zusammenhang mit dem Straßenverkehr“, sagte Wurth, der sich klar für den Antrag aussprach.

Richtig sei auch ein zweigeteilter THC-Grenzwert von 3 und 10 ng/ml, befand er. Da THC im Gegensatz zu Alkohol nicht linear abgebaut werde, sondern im Sinne von Halbwertzeiten, gehe der Wert nach dem Konsum zunächst sehr schnell, bei den Restwerten dann aber sehr langsam nach unten. „Deshalb gibt es sehr viele nüchterne Fahrer, die viele Stunden nach dem letzten Konsum noch mit unwirksamen THC-Restwerten zwischen 1 und 5 ng/ml unterwegs sind“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes.

„Anhebung der Grenzwerte wird dringend benötigt“

In eine ähnliche Richtung ging die Bewertung von Dr. Bernd Werse vom Schildower Kreis, einem Expertennetzwerk, das sich für eine alternative Drogenpolitik einsetzt. Auch wenn die genauen Grenzwerte je nach Fortschreiten der entsprechenden Forschung veränderbar seien, werde grundsätzlich eine Anhebung der Grenzwerte dringend benötigt, sagte er.

Die im internationalen Vergleich ausgesprochen ungewöhnliche Praxis, Menschen, die Drogen konsumieren, per se die Eignung für den Führerschein abzusprechen, werde von Betroffenen oft als Ersatzstrafe wahrgenommen, machte Werse deutlich.

„Keine Null-Toleranz-Politik gegenüber Cannabis-Konsum“

Aus Sicht von Prof. Dr. Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei widersprechen hingegen die Vorschläge der Linksfraktion dem Sinn und Zweck des geltenden Verkehrsrechts, „nämlich die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer möglichst effektiv und vor allem vorbeugend, sondern diene der Gefahrenabwehr, sagte er.

Von einer “Null-Toleranz-Politik„ hinsichtlich Cannabis-Konsumierenden könne ebenfalls keine Rede sein, befand Müller und verwies auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein einmaliger Cannabiskonsum ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr allein keinen Anlass zu der Annahme gebe, der Betroffene sei zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet.

“THC-Wert im Antrag sehr hoch gegriffen„

Dr. Anja Knoche von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hält den im Antrag aufgeführten THC-Wert von 10 ng/ml als analogen Wert zur 0,5 Promillegrenze bei Alkohol für sehr hoch gegriffen.

Neuere Studien wiesen darauf hin, dass bei einem Wert von 3,8 ng/ml ähnliche Einschränkungen wie bei einem Alkoholwert von 0,5 Promille zu erkennen seien. Unter 2 ng/ml seien keine Beeinträchtigungen zu erkennen.

“Gleichstellung von Cannabis und Alkohol nicht möglich„

Eine Gleichstellung von Cannabis und Alkohol ist laut Dr. Renate Zunft, Leitende Ärztin des Medizinisch-Psychologischen Instituts beim TÜV Nord, schon aus pharmakologischer Sicht nicht möglich, weil der THC-Gehalt überwiegend nicht bekannt sei und die aufgenommene Menge ganz wesentlich abhängig von Konsumart und Konsumerfahrung variiere.

Neben pharmakokinetischen Unterschieden begebe sich der Cannabis-Konsumierende in zusätzliche Ungewissheit, die mit der unbekannten Wirkstoffmenge verbunden sei, sagte sie.

“Derzeit gültiger THC-Grenzwert wirkt präventiv„

Dekra-Vertreter Dr. Thomas Wagner betonte unter anderem die präventive Wirkung des derzeit gültigen THC-Grenzwerts von einem Nanogramm pro Milliliter aufgrund der damit verknüpften Maßnahmen – Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld, Punkte und Fahrverbot – und einer MPU-Anordnung zur Klärung der Frage nach dem Trennvermögen zwischen Konsum und Fahren.

Diese stärke die Verkehrssicherheit, urteilte er.

“Grenzwert-Frage wird heterogen diskutiert„

Prof. Dr. Dr. Stefan Tönnes vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main erläuterte die Arbeit der Grenzwertfindungskommission, die beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) angesiedelt ist. Zusammengesetzt sei sie aus der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie.

Beschlüsse würden mit Mehrheit gefällt, sagte Tönnes. Die Frage des Grenzwertes werde sehr heterogen diskutiert, machte er deutlich. Problematisch für die Bewertung sei, dass gerade im Bereich der Gering-Konsumenten von Cannabis die Studienlage sehr dünn sei.

Antrag der Linken

Wie bei Alkoholkonsum, sollen nach den Vorstellungen der Linken auch bei Cannabiskonsum nur noch Personen sanktioniert werden, die tatsächlich berauscht mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen und so die Verkehrssicherheit gefährden. Das Parlament solle die Bundesregierung daher auffordern, durch Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung sicherzustellen, dass ein Entzug der Fahrerlaubnis nicht allein aufgrund des festgestellten Konsums oder widerrechtlichen Besitzes von illegalen Drogen erfolgen kann, sondern erst bei einer diagnostizierten Abhängigkeitserkrankung, einer durch Drogenkonsum verursachten konkreten Gefährdung des Straßenverkehrs oder wenn wiederholt Verkehrsverstöße nach Paragraf 24a des Straßenverkehrsgesetzes (Promille-Grenze) begangen wurden.

Anlass des Antrags ist der Fraktion zufolge die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom April 2019, dass bei einem gelegentlichen Cannabis-Konsumierenden “die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen„ darf (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019. Aktenzeichen: 3 C 13.17). (hau/24.02.2021)