Forderung nach Pandemierat für den Bundestag stößt auf Skepsis
Zeit:
Donnerstag, 17. Juni 2021,
12.30
bis 14 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Der Idee, einen aus Wissenschaftlern und Bürgern zusammengesetzten Pandemierat einzuführen, der den Bundestag bei der Bewertung der von der Bundesregierung vorgelegten Erkenntnisse unterstützt, stehen Sachverständige mehrheitlich skeptisch gegenüber. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des vom Gesundheitsausschuss eingerichteten „Parlamentarischen Begleitgremiums Covid-19-Pandemie“ unter Vorsitz von Rudolf Henke (CDU/CSU) am Donnerstag, 17. Juni 2021, zu einem entsprechenden Gesetzentwurf der Linksfraktion (19/25254) deutlich.
Der Pandemierat soll nach den Vorstellungen der Linken dem Bundestag die Expertise verschiedener Wissenschaftsbereiche bereitstellen. Bürger sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Perspektive auf die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens einzubringen.
Pandemierat „überflüssig“
Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn verwies darauf, dass die Bürgerbeteiligung bei Gesetzesvorhaben durch den Bundestag und die Arbeit der Abgeordneten in den Wahlkreisen erfolge. Wenn der Bundestag externen Sachverstand einholen will, könne er dies über Sachverständigenanhörungen erreichen. Ein solches formalisiertes Gremium, was obligatorisch anzuhören sei und Bürgerbeteiligung sichern solle, führe hingegen in die Sackgasse, befand der Rechtswissenschaftler.
Zuspruch erhielt er von Dr. Anna-Lena Hollo vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht an der Leibniz Universität Hannover. Die Bürgerbeteiligung im deutschen Verfassungssystem sei eben der Bundestag. Dessen Abgeordnete repräsentierten die Meinung des Volkes, seien aber zugleich auch unabhängig, sagte Hollo. Ob ein nicht gewähltes Gremium mit vier zufällig ausgewählten Bürgern eine umfassendere Bürgerbeteiligung darstellt, sei fraglich. Das hinter dem Gesetzentwurf stehende Ansinnen, das Parlament zu stärken, nannte Hollo richtig. Der Pandemierat als solcher aber sei überflüssig.
„Einbindung von Bürgern erhöht Akzeptanz“
Anders sah das Prof. Dr. Sophie Schönberger vom Lehrstuhl Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ihrer Einschätzung nach soll der von der Linksfraktion ins Spiel gebrachte Pandemierat nicht die Krise umfassend lösen. „Die Zielrichtung des Pandemierates ist es, den Bundestag in die Lage zu versetzen, seiner Kontrollfunktion nachzukommen“, sagte sie. Verfassungsrechtliche Probleme gebe es nicht, weil es eine formalisierte, aber nicht bindende Form der Beratung sei, urteilte Schönberger. Eine Einbindung von Bürgern erhöhe zudem die Akzeptanz der Entscheidungen.
Die Bundesärztekammer fordere seit langem die Einrichtung eines kontinuierlich tagenden nationalen Pandemierats, der multiprofessionell zusammengesetzt ist und die Politik bei der Entscheidungsfindung beratend unterstützt, sagte deren Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Ein solcher Pandemierat könne die Akzeptanz politischer Entscheidungen in der Bevölkerung durch transparent und interprofessionell entwickelte Empfehlungen erheblich erhöhen, befand er. Allerdings sollte seiner Auffassung nach ein solches Gremium bei der Bundesregierung und nicht beim Bundestag angesiedelt werden.
„Keine Notwendigkeit für Bürgerbeteiligung“
Der Virologe Prof. Klaus Stöhr, ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms und Sars-Forschungskoordinator der WHO, sieht keine Notwendigkeit für eine Bürgerbeteiligung an einem solchen Expertengremium. Gleichwohl sei es notwendig, sich Fachkompetenz von einem multidisziplinären Team einzuholen. Angesiedelt werden müsse ein solches Expertengremium an erster Stelle bei der Exekutive, sagte auch Stöhr.
Auch Uwe Janssens von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hält ein solches Gremium für durchaus hilfreich, wenn es bei der Exekutive angesiedelt werde. Ein starres Gremium, wie im Gesetz vorgesehen, sei aber nicht sinnvoll. Im Verlaufe einer Pandemie würden sich ständig unterschiedliche Aspekte ergeben, weshalb auch eine gewisse Flexibilität bei der Besetzung nötig sei, sagte Janssens.
„Gremium darf nicht erst im Krisenfall aktiv werden“
Für Caroline Schmutte, Leiterin des Deutschlandbüros des Wellcome Trust Fonds, ist der Gesetzentwurf nicht weitgehend genug, um die strukturellen Schwachstellen bei der Politikberatung auszugleichen. Notwendig sei eine Interdisziplinarität in der wissenschaftlichen Politikberatung „vor allem im Krisenfall“. Ein solches Gremium dürfe aber nicht erst im Krisenfall aktiv werden. „Es muss immer arbeiten“, forderte sie. Anzusiedeln sei es eher bei der Exekutive als bei der Legislative.
Aus Sicht von Dr. Dr. Petra Dickmann von der Forschungsgruppe Pandemiemanagement der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena ist eine Bürgerbeteiligung als eine wissenschaftliche Methode „bei der Entscheidungsfindung sehr sinnvoll“. Problematisch sei aber das Vorhaben, vier Bürger zufällig auszuwählen. Gute Erfahrungen habe sie in ihrer Arbeit mit der Einbindung von Vertretern der Zivilgesellschaft gemacht, sagte Dickmann. Diese Art der Partizipation müsse sehr divers aufgestellt werden, um tatsächlich eine 360-Grad Perspektive zu erhalten.
Parlamentarisches Begleitgremium
Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die zahlreiche gesundheitliche und soziale Fragen mit sich bringt. Um sich damit intensiver befassen zu können, hat der Gesundheitsausschuss das Parlamentarische Begleitgremium Covid-19-Pandemie eingerichtet. Ihm gehören 21 Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss, aber auch aus anderen Fachausschüssen an.
Sein Arbeitsbereich umfasst im Wesentlichen drei große Themenblöcke. Zunächst sind dies Fragen der Pandemiebekämpfung, wozu beispielsweise die Erforschung des Virus und seiner Mutationen, Chancen durch Digitalisierung sowie internationale Aspekte gehören. Der zweite Themenblock umfasst den Komplex der Impfungen, mit dem sowohl die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen als auch der Zugang zur Impfung und die damit verbundenen ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte gemeint sind. Schließlich sollen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen in den Blick genommen werden.
Als Erkenntnisquelle dienen dem Begleitgremium öffentliche Anhörungen von Sachverständigen und Expertengespräche. Zudem wird die Bundesregierung das Gremium regelmäßig über das aktuelle Infektionsgeschehen und anlassbezogen zu aktuellen Fragen der Pandemiebekämpfung unterrichten. (hau/17.06.2021)