Experten uneins über die Freigabe von Patenten für Covid-19-Impfstoffe
Zeit:
Donnerstag, 3. Juni 2021,
10.30
bis 12 Uhr
Ort: Berlin, Reichstagsgebäude, Sitzungssaal RTG 3 N 037
Zur Frage der Freigabe von Patenten für Impfstoffe gegen Covid-19 gab es während einer öffentlichen Anhörung des vom Gesundheitsausschuss eingerichteten „Parlamentarischen Begleitgremiums Covid-19-Pandemie“ unter Vorsitz von Rudolf Henke (CDU/CSU) am Donnerstag, 3. Juni 2021, unter den geladenen Sachverständigen unterschiedliche Ansichten. Die Patentfreigabe hat Unterstützern zufolge das Ziel, die Produktion von Impfstoffen weltweit zu erhöhen.
Unterstützung für Patentaussetzung
Der von Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation WTO eingereichte und inzwischen von mehr als einhundert Staaten unterstützte Antrag zur Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten auf Covid-19-Technologien für die kommenden drei Jahre wurde von Elisabeth Massute, Vertreterin der Organisation Ärzte ohne Grenzen, unterstützt.
WTO-Vertreter Abhijit Das sagte während der Sitzung, die jüngste Vergangenheit habe gezeigt, dass es nicht ausreiche, auf Freiwilligkeit bei der Patentweitergabe zu setzen.
„Patentfrage nicht der limitierende Faktor“
Thomas Cueni von der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations (IFPMA) befand hingegen ebenso wie Michael Bender, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit beim Impfstoffhersteller Biontech, dass die Patentfrage nicht der limitierende Faktor bei der Impfstoffbeschaffung sei. Dieser sei vielmehr in den noch nicht ausreichenden Produktionskapazitäten zu sehen.
Prof. Dr. Metzger von der Humboldt Universität Berlin gab zu bedenken, dass im Falle einer weltweiten Freigabe der Patente auch in den USA, Großbritannien, Russland oder China die Patente beispielsweise deutscher Unternehmen wie Biontech genutzt werden könnten, ohne dass auf die Unternehmen zugegangen werden müsse.
„Produktion ist eine kolossale Aufgabe“
Weltweit habe es vor der Pandemie eine Impfstoffproduktion von fünf Milliarden Dosen pro Jahr gegeben, sagte Cueni. Jetzt würden allein in 2021 für die Corona-Impfung zehn Milliarden Dosen benötigt. Das Hochfahren der Produktion sei eine kolossale Aufgabe, betonte er. Sie zu bewältigen sei nur möglich, weil die beteiligten Firmen von Anfang an partnerschaftlich zusammengearbeitet hätten. Im Vertrauen auf den Rechtsrahmen seien sehr rasch die Forschung ausgeweitet und die Impfstoffe entwickelt worden.
Biontech-Vertreter Bender sagte, es gehe darum, die Produktionskapazitäten global zu erweitern. Biontech versuche dies derzeit zu tun. Ab dem kommenden Jahr würden mit dem Partner Pfizer mehr als drei Milliarden Dosen jährlich produziert, sagte er. Weltweit würden weiterhin Partner gesucht, um über Lizenzen Produktionsstandorte aufzubauen.
„Fehlender Patenschutz gefährdet Investitionen“
Metzger, Experte für Gewerblichen Rechtsschutz, sieht es in keiner Weise als belegt an, dass Patente die Impfstoffproduktion in den Ländern des globalen Südens in der jetzigen Situation behindern. Eine flächendeckende Freigabe der Patente würde seiner Auffassung nach auch nicht die Impfstoffproduktion erleichtern.
Gäbe es aber eine Freigabe der Impfstoffpatente, stelle sich die Frage, wer noch in privatwirtschaftliche Pharmaunternehmen investieren wolle. Es stelle sich auch die Frage, welches Unternehmen noch bereit sei, mit Ländern des globalen Südens zu kooperieren, „wenn dort die Patente nicht mehr geschützt sind“, sagte Metzger.
„Kein konstruktives Vorgehen der EU“
Elisabeth Massute begrüßte es, dass US-Präsident Joe Biden die Forderung nach Patentaussetzung für die Impfstoffe, aber auch für Diagnostika, Tests und Schutzausrüstungen, unterstütze.
Dass die EU und die Bundesregierung dies nicht täten, sei „kein konstruktives Vorgehen“, befand die Vertreterin von Ärzte ohne Grenzen. Die Patente seien „eine Barriere von vielen“ für die Produktionsausweitung, betonte sie.
Impfstoffherstellung im globalen Süden
WTO-Vertreter Abhijit Das sagte, die Behauptung, in den Ländern des globalen Südens gebe es keine Kompetenzen und Kapazitäten für die Impfstoffproduktion, stimme nicht. Erst unlängst hätten sowohl Indonesien als auch Bangladesch ihr Interesse an der Herstellung von Impfstoffen geäußert. Die Hersteller seien aber nicht bereit gewesen, freiwillige Lizenzen zu vergeben.
Ein Allheilmittel seien freiwillige Lizenzen also nicht, sagte Das. Auch Massute stellte sich der Ansicht entgegen, es gebe keine Hersteller im globalen Süden, die die Produktion gewährleisten könnten. Diese Argumentation habe es schon von Jahren in Bezug auf HIV-Medikamente gegeben. Tatsächlich hätten aber Indien und weitere Staaten des globalen Südens die Medikamente in guter Qualität und großen Umfängen herstellen können.
Abgabe von Impfstoff an ärmere Länder
Dorcas Noertoft vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) mahnte eine bessere Verteilung des Impfstoffes zu Gunsten der ärmeren Länder an. Mehr als 300 Millionen Dosen könne Deutschland bis Ende des Jahres abgeben, sagte sie. Nur 30 Millionen Dosen seien aber versprochen worden.
Gleichwohl gelte: „Alles was Deutschland abgibt ist willkommen.“ Verimpft werden könne das in den betroffenen Ländern „unmittelbar und direkt“. Unicef habe hierbei koordinierend gewirkt, sagte Noertoft.
Medikamentenforschung zur Covid-Behandlung
Dr. Christoph Spinner von der Technischen Universität München und zugleich Pandemiebeauftragter am Klinikum rechts der Isar machte deutlich, dass es auch weiterhin Forschungsbedarf für Medikamente zur Behandlung von Covid-19 gebe – allein schon wegen der Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen oder können und also keine funktionelle Immunabwehr erreichen.
Es lohne, sich wegen der Varianten in neuartige Mechanismen, die einfach zu verabreichen seien, zu investieren, „so dass sie idealerweise schwere Erkrankungsformen verhindern“, sagte Spinner. Auch für die schwereren Covid-Verläufe würden weitere therapeutische Optionen benötigt. Hierzu brauche es eine internationale Zusammenarbeit.
Impfung von Kindern- und Jugendlichen
Zur Impfung von Kindern- und Jugendlichen äußerte sich Prof. Dr. Markus Knuf von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Er verwies darauf, dass Kinder und Jugendliche bei den Präventionsmaßnahmen, zu denen auch die Impfung gehöre, nicht außen vor gelassen werden dürften. Gleichzeitig sei bei dieser Personengruppe der Anspruch an die Sicherheit des Impfstoffes besonders hoch zu bewerten.
Knuf machte deutlich, dass eine Probandenzahl von 1.300 nicht ausreiche, um alle unerwünschten Wirkungen der Impfung zu erfassen. Das spräche aber nicht zwangsläufig gegen die Impfzulassung durch die EU-Arzneimittelbehörde EMA. Er werbe aber dringend dafür, „unerwünschte Nebenwirkungen deutlich aktiver und pointierter zu erfassen – begleitend zu einer etwaigen Impfempfehlung“. Nur so sei ein Erkenntnisgewinn möglich, sagte Knuf.
Das Parlamentarische Begleitgremium
Die Bewältigung der Covid-19-Pandemie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die zahlreiche gesundheitliche und soziale Fragen mit sich bringt. Um sich damit intensiver befassen zu können, hat der Gesundheitsausschuss das Parlamentarische Begleitgremium Covid-19-Pandemie eingerichtet. Ihm gehören 21 Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss, aber auch aus anderen Fachausschüssen an.
Sein Arbeitsbereich umfasst im Wesentlichen drei große Themenblöcke. Zunächst sind dies Fragen der Pandemiebekämpfung, wozu beispielsweise die Erforschung des Virus und seiner Mutationen, Chancen durch Digitalisierung sowie internationale Aspekte gehören. Der zweite Themenblock umfasst den Komplex der Impfungen, mit dem sowohl die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen als auch der Zugang zur Impfung und die damit verbundenen ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte gemeint sind. Schließlich sollen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen in den Blick genommen werden.
Als Erkenntnisquelle dienen dem Begleitgremium öffentliche Anhörungen von Sachverständigen und Expertengespräche. Zudem wird die Bundesregierung das Gremium regelmäßig über das aktuelle Infektionsgeschehen und anlassbezogen zu aktuellen Fragen der Pandemiebekämpfung unterrichten. (hau/03.06.2021)