Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG)
Zeit:
Mittwoch, 27. Mai 2020,
14.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Bei der geplanten Digitalisierung von Patientendaten sehen Gesundheits- und Technikexperten einige Regelungen kritisch. Sachverständige äußerten sich anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) am Mittwoch, 27. Mai 2020, über das Patientendaten-Schutz-Gesetz der Bundesregierung (19/18793) in schriftlichen Stellungnahmen grundsätzlich positiv zu dem Projekt. Allerdings wird das Datenmanagement ebenso hinterfragt wie die technische Zuständigkeit für bestimmte Teile des Systems. Gegenstand der Anhörung waren auch Anträge der FDP-Fraktion (19/18946), der Fraktion Die Linke (19/18943, 19/18944) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/19137).
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit der Novelle soll die elektronische Patientenakte (ePA), die ab 2021 verfügbar wird, mit Inhalten gefüllt werden können. Die Krankenkassen müssen den Versicherten ab 2021 eine elektronische Patientenakte anbieten. Nun sollen die Patienten ab 2022 auch einen Anspruch darauf bekommen, dass Ärzte die Patientendaten dort eintragen.
Auf der ePA sollen zum Beispiel Befunde, Arztberichte oder Röntgenbilder gespeichert werden, aber auch der Impfausweis, der Mutterpass, die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder (U-Heft) und das Zahn-Bonusheft. Bei einem Wechsel der Krankenkasse können die Versicherten ihre Daten aus der ePA übertragen lassen.
Rezepte auf dem Smartphone
Elektronische Rezepte (E-Rezept) sollen auf ein Smartphone geladen und in einer Apotheke eingelöst werden können. Die dazu nötige App soll als Teil der Telematikinfrastruktur (TI) im Laufe des Jahres 2021 zur Verfügung stehen. Die elektronische Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in der TI wird verpflichtend ab dem 1. Januar 2022 vorgegeben.
Auch Überweisungen zu einem Facharzt sollen elektronisch übermittelt werden können. Ab 2022 sollen die Versicherten über ihr Smartphone oder Tablet für jedes in der Akte gespeicherte Dokument einzeln bestimmen können, wer darauf zugreifen darf. Wer kein Handy hat, kann die ePA bei seiner Krankenkasse einsehen.
Nutzung soll freiwillig bleiben
Die Versicherten sollen den Plänen zufolge eigenverantwortlich über die Verwendung ihrer Gesundheitsdaten entscheiden. Die Nutzung der ePA bleibt freiwillig. Die Versicherten bestimmen, welche Daten gespeichert oder gelöscht werden. Sie entscheiden auch darüber, wer auf die Akte zugreifen kann. Die Patienten selbst können jederzeit auf ihre Daten zurückgreifen und diese einsehen.
Ab 2023 sollen die Versicherten ihre Daten auch der Forschung freiwillig zur Verfügung stellen können. Die Datensicherheit soll in der Telematikinfrastruktur jederzeit gewährleistet sein. So sind Ärzte, Kliniken und Apotheker für den Schutz der jeweils verarbeiteten Patientendaten verantwortlich.
„Unterstützung bei der Gesundheitsvorsorge“
Begrüßt wird der Gesetzentwurf mit einigen Einschränkungen vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die angestrebte Weiterentwicklung der ePA eröffne der Krankenkassen eine Reihe von Möglichkeiten, die Versicherten bei der Gesundheitsvorsorge zu unterstützen. Kritisch gesehen werden die Vergütungszuschläge für Ärzte und Krankenhäuser. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Versicherten Anschubfinanzierungen in beträchtlicher Höhe leisten müssten, damit Ärzte und Krankenhäuser unbürokratischer arbeiten könnten.
Nach Ansicht des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) ist es überfällig, dass die Krankenkassen ihren Versicherten ab 2021 eine ePA zur Verfügung stellen müssen. Die Frage sei aber, wie es aus therapeutischer Sicht möglich sein solle, zu einer fundierten ärztlichen Entscheidung zu gelangen, wenn die Nutzung der ePA freiwillig sei und der Patient entscheide, welche Daten dort gespeichert würden, für den Arzt sichtbar seien oder wieder gelöscht werden könnten. Sinnvoll wäre daher eine elektronische Arztakte (eAA).
„Vorgaben für die Kostenübernahme fehlen“
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ging auf den erheblichen Aufwand ein, den die Praxen für die IT-Sicherheit und die strukturelle Anpassung zu leisten hätten. Die Ärzte dürften damit nicht allein gelassen werden. Im Gesetz fehlten klare Vorgaben für die Kostenübernahme. Die mit der Digitalisierung von den Ärzten erwartete Leistung sollte anerkannt werden. Durch eine Abkehr von Sanktionsmechanismen hin zu systemischen Anreizen könnten positive Impulse gesetzt werden.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) erinnerte an den notwendigen Schutz der sensiblen Daten. Dem potenziellen Nutzen der Patientenakte stehe das Risiko gegenüber, dass die Daten von Nichtberechtigten eingesehen und gegebenenfalls missbräuchlich verwendet würden. In einer Gesellschaft, in der die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen noch nicht überwunden sei, könne die Information über Erkrankungen für Patienten erhebliche Nachteile mit sich bringen.
„Feingranulares Berechtigungsmanagement notwendig“
Notwendig sei daher von Anfang an ein feingranulares Berechtigungsmanagement auf der Dokumentenebene. Sinnvoll sei für Psychotherapeuten der Zugriff auf Informationen zum Aufbewahrungsort von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten, sofern dies von den Patienten gewünscht sei. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisierte, dass die Versicherten ihren Ärzten zunächst keine Einzeldokumente über die Akte zugänglich machen könnten. Ein feingranulares Berechtigungskonzept stehe erst ab 2022 zur Verfügung.
Der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) kritisierte die Ausweitung von Kompetenzen zugunsten der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik). Komponenten und Dienste für das e-Rezept zu entwickeln und zu betreiben, sei Aufgabe spezialisierter Unternehmen, während die gematik die Vorgaben für den interoperablen Gebrauch machen sollte. Die vorgesehenen Regelungen seien bedenklich, weil die gematik die Spezifikationen erstelle, diese zertifiziere oder zulasse und zugleich Marktteilnehmer werde. Damit würden die Mechanismen zur Qualitätssicherung ausgehebelt.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert angesichts der Erfahrungen in der Corona-Krise die Digitalisierung des Gesundheitssystems. Die aktuelle Krise habe die Schwachstellen des Gesundheitswesens offen aufgezeigt, heißt es in ihrem Antrag mit dem Titel „Prozesse im Gesundheitswesen durch Digitalisierung modernisieren“ (19/18946).
Die Abgeordneten fordern unter anderem, die ePA einzuführen und die Vernetzung von Ärzten, Kliniken, Rettungsdiensten, Pflegeeinrichtungen zu beschleunigen. Ferner sollte das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (Demis) sofort eingeführt werden. Das Fernbehandlungsverbot sollte abgeschafft werden.
Erster Antrag der Linken
Das geplante elektronische Rezept muss nach Ansicht der Linksfraktion freiwillig bleiben. Die Freiwilligkeit von digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen sei eine zentrale Voraussetzung für ihre Akzeptanz, heißt es in ihrem ersten Antrag mit dem Titel „Elektronisches Rezept freiwillig und sicher ausgestalten“ (19/18943).
Die Abgeordneten fordern in dem Antrag auch, die Werbung für kommerzielle Vermittlungen von E-Rezepten zu verbieten und klarzustellen, dass E-Rezepte nur in öffentlichen Apotheken eingelöst werden können.
Zweiter Antrag der Linken
Die Linksfraktion fordert in ihrem zweiten Antrag mit dem Titel „Patienteninteresse voranstellen und gemeinwohlorientierten Gesundheitsdatenschutz einführen“ (19/18944) einen gemeinwohlorientierten Gesundheitsdatenschutz. Derzeit würden im Eilverfahren unfertige digitale Anwendungen eingeführt. Die Grundprinzipien der informationellen Selbstbestimmung würden schon bei der Einführung verletzt, heißt es in dem Antrag.
Die Abgeordneten fordern unter anderem, die Einführung der ePA bis auf Weiteres auszusetzen und für alle Anwendungen der TI eine Gefährdungshaftung statt der bislang geltenden Delikthaftung bei Datenverlust einzuführen. Für alle digitalen Anwendungen in der Gesundheitsversorgung, sowohl in der TI als auch bei anderen Gesundheits-Apps, müsse sichergestellt werden, dass keine nicht notwendigen Daten erhoben und weitergegeben werden.
Antrag der Grünen
Bündnis 90/die Grünen wollen die Patientenorientierung und -beteiligung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens sicherstellen. Auf einen jahrelangen Stillstand folge derzeit ein Aktionismus, bei dem die Bundesregierung die Geschwindigkeit der Einführung von Prozessen allen anderen Anforderungen unterordne, heißt es in ihrem Antrag mit dem Titel „Patientenorientierung und Patientenbeteiligung in der Digitalisierung im Gesundheitswesen sicherstellen und dezentrale Forschungsdateninfrastruktur aufbauen“ (19/19137).
Die Abgeordneten fordern unter anderem, die Beteiligungsrechte der Patienten gesetzlich zu verankern und beim Ausbau der TI die gesamte Behandlungskette zu berücksichtigen. Bei der ePA sollte ein Berechtigungsmanagement für alle Nutzer unabhängig von deren individuellen Abrufmöglichkeiten angeboten werden. Das elektronische Rezept (e-Rezept) müsse nutzerfreundlich gestaltet werden. Datenschutz und IT-Sicherheit müssten gestärkt werden. (pk/27.05.2020)
Liste der Sachverständigen
Verbände/Institutionen:
• ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V.
• Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS)
• Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)
• BDH Bundesverband Rehabilitation
• Bitkom – Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.
• Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE)
• Bundesärztekammer (BÄK)
• Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
• Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BVÖGD)
• Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv)
• Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V.
• Bundeszahnärztekammer (BZÄK)
• Chaos Computer Club e. V. (CCC)
• Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation e. V. (DEGEMED)
• Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
• Deutscher Caritasverband e. V.
• Deutscher Hebammenverband e. V. (DHV)
• Deutscher Pflegerat e. V. (DPR)
• Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V. (DNVF)
• Gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH
• GKV-Spitzenverband
• Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
• Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV)
• Netzwerk Datenschutzexpertise
• Spitzenverband der Heilmittelverbände e. V. (SHV)
• Spitzenverband IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG)
• TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V.
• Verband der privaten Krankenversicherung e. V. (PKV)
• Verband der Universitätsklinika Deutschlands e. V. (VUD)
• Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e. V. (VDBW)
Einzelsachverständige:
• Prof. Dr. Dirk Heckmann, Technische Universität München
• Prof. Dr. Christof von Kalle, Charité - Universitätsmedizin Berlin
• Prof. Dr. Dominique Schröder, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
• Prof. Dr. Martin Sedlmayr, Technische Universität Dresden
• Prof. Dr. Sylvia Thun, Berliner Institut für Gesundheitsforschung
• Prof. Dr. Christiane Woopen, Universitätsklinikum Köln