Zeit:
Mittwoch, 25. November 2020,
11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.600
Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG, 19/24181) und zwei Anträge der Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen (19/20560, 19/24379) zum Thema Insolvenzvermeidung standen auf der Tagesordnung einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) am Mittwoch, 25. November 2020. Die Sachverständigen begrüßten den Regierungsentwurf als weiteren wichtigen Schritt zur Stärkung des Sanierungsstandortes Deutschland, kritisierten jedoch einige Punkte und machten Verbesserungsvorschläge.
„Kaum hinreichende Hilfestellung für Unternehmen“
So bemängelte Stephan Madaus von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dass das Inkrafttreten des Gesetzes kaum als hinreichende Hilfestellung für Unternehmen angesehen werden könne, die aktuell von pandemiebedingten Einschränkungen betroffen und aus diesem Grund in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind. Hier bedürfe es weiterer Hilfen.
Kritik kam auch an der Regelung zur Vertragsbeendigung. Mechthild Greve von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Christoph Niering vom Verband Insolvenzverwalter Deutschlands forderten deren ersatzlose Streichung. Greve zufolge ist die Vertragsbeendigung außerhalb des Insolvenzverfahrens ein Fremdkörper und stellt einen Eingriff in die Eigentumsrechte der Gläubiger dar. Niering erklärte, eine Umsetzung würde eine weitreichende Erhöhung von Vertragsrisiken auslösen.
„Gesetz eher für große Unternehmen geeignet“
Madaus äußerte Verständnis für berechtigte Kritik, warnte aber vor einer Streichung des Instruments insgesamt. Es sollte bedacht werden, dass gerade für Filialunternehmen die Anpassung von Verbindlichkeiten aus laufenden Dauerschuldverhältnissen eine wesentliche Restrukturierungsmaßnahme sei.
Demgegenüber schätzt auch die Frankfurter Fachanwältin für Insolvenzrecht Petra Heidenfelder die vorgesehene Regelung als konfliktträchtig ein. Darüber hinaus sei das Gesetz in der Entwurfsform eher für große Unternehmen geeignet, da es sehr beratungsintensiv sei.
„Neuer Rechtsrahmen könnte zu einem Paradigmenwechsel führen“
Kritisch äußerten sich die Sachverständigen auch zum Gesetzgebungsverfahren. Der Insolvenzanwalt Lucas Flöther aus Halle warnte vor einer überstürzten Einführung von Regelungen, die massive Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft hätten. Der neue Rechtsrahmen könne zu einem Paradigmenwechsel im deutschen Sanierungs- und Insolvenzrecht führen – weg von einer Gläubigerbefriedigung hin zu einen Entschuldung.
Niering erklärte, der aktuelle Pandemie-Hintergrund sollte bei der Umsetzung nicht dazu führen, die Diskussion zu verkürzen.
„Gefahr einer Überforderung der Gerichte“
Auch Christoph Thole von der Universität zu Köln kritisierte den aus seiner Sicht engen Zeitplan. Es bestehe die Gefahr, dass die Restrukturierungs- und Insolvenzgerichte mit einer Umsetzung zum 1. Januar 2021 überfordert würden. Thole würdigte in seinem Statement das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) als Kernbestandteil des Entwurfs.
Es trage den beiden grundsätzlichen Strömungen in der deutschen Insolvenz- und Restrukturierungslandschaft weitgehend Rechnung, nämlich der Wahrung der Gläubigerinteressen einerseits bei gleichzeitiger Schaffung von Sanierungsanreizen und -möglichkeiten für den Schuldner andererseits. Das StaRUG erscheine insbesondere geeignet, die in finanziellen Restrukturierungen erforderliche Einbindung sogenannter Akkordstörer (unnachgiebige Gläubiger) zu lösen.
„Neue Regelungen dürfen keine Fehlanreize setzen“
Flöther gab zu bedenken, dass die neuen Regelungen keine Fehlanreize setzen dürften. Unternehmen, die ohne staatliche Unterstützung versuchten, die Corona-Krise zu bewältigen, dürften nicht benachteiligt werden gegenüber anderen Unternehmen, die staatliche Hilfe in Anspruch genommen hätten und sich auf Basis des neuen Gesetzes von diesen Verbindlichkeiten ohne die Konsequenz einer Insolvenz befreien könnten.
Ein weiterer Kritikpunkt war die Höhe der Vergütung der Restrukturierungsbeauftragten. So forderte BRAK-Vertreterin Greve, die vorgesehene Regelung dringend zu ändern, andernfalls blockiere der Streit um das Stundenbudget und die Höhe der Vergütung entweder das Vorankommen des Verfahrens oder es bestehe die Gefahr, sich im Nachgang mit dem Restrukturierungsbeauftragten darüber streiten zu müssen.
Niering erklärte, der Entwurf reagiere auf den langjährig aufgestauten Änderungsbedarf bei den Vergütungsregeln für Insolvenzverwalter und Insolvenzverwalterinnen lediglich mit Mindestanpassungen, die vor allem bei kleinen Insolvenzverfahren deutlich hinter den notwendigen Änderungen zurückblieben.
„Hauptmangel sind fehlende Beteiligungsrechte“
Andrej Wroblewski, Insolvenzrechtsexperte beim IG-Metall-Vorstand, sieht als Hauptmangel des Entwurfs die fehlenden Beteiligungsrechte für Arbeitnehmervertreter im StaRUG-Verfahren. Es fehle dort ein Gläubigerausschuss mit Arbeitnehmerbeteiligung, wie es ihn in der Insolvenzordnung gibt. Außerdem müssten die Betriebsräte an der Gläubigerversammlung teilnehmen dürfen. Arbeitnehmervertretern sollte die Möglichkeit gegeben werden, über die Zukunft der Arbeitsplätze mitzubestimmen. Die mit dem Gesetz umzusetzende EU-Richtlinie ermögliche dies.
Der Berliner Rechtsanwalt Lutz Paschen erklärte, im Entwurf seien der Schutz vorleistungspflichtiger Gläubiger bei Lieferungen im Rahmen einer Stabilisierungsanordnung sowie die Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten noch nicht hinreichend berücksichtigt worden. Auch die Haftungsvorschriften im Restrukturierungsrecht sollten nochmals überarbeitet werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der SanInsFoG-Entwurf (19/24181) wurde am 18. November 2020 erstmals im Plenum debattiert. Er dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie und Anpassungen des Sanierungs- und Insolvenzrechts an die durch die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie geprägte Sondersituation. Eingeflossen in den Entwurf sind auch die Ergebnisse der Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG).
Mit dem Entwurf soll ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der es Unternehmen ermöglicht, sich bei drohender, aber noch nicht eingetretener Zahlungsunfähigkeit, außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu sanieren. Dies solle auf Grundlage eines Restrukturierungsplans geschehen, den die Gläubiger mehrheitlich angenommen haben.
Antrag der FDP
Für ein modernes und effizientes Restrukturierungsrecht setzt sich die FDP-Fraktion in einem Antrag ein (19/20560). Unverschuldete Insolvenzen sollen so vermieden und überlebensfähige Unternehmen gesichert werden, heißt es darin.
Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie mit ihren erheblichen negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der in Deutschland tätigen Unternehmen solle der Bundestag die Bundesregierung auffordern, die EU-Richtlinie 2019 / 1023 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der EU-Richtlinie 2017 / 1132 über Restrukturierung und Insolvenz unverzüglich in nationales Recht umzusetzen. Dazu sieht der Antrag eine Vielzahl von Maßgaben vor.
Antrag der Grünen
Die Grünen kritisieren in ihrem Antrag (19/24379), dass die im Regierungsentwurf vorgesehenen Instrumente für Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen wie Start-ups, Soloselbstständige und Einzelunternehmer kaum Anwendung finden könnten: „Die Anwendung ist komplex und kostenintensiv und bedarf externer Beratung“, schreiben die Abgeordneten.
Von der Bundesregierung fordern sie daher ein vereinfachtes Verfahren für die vorinsolvenzliche Sanierung und Restrukturierung für von der Corona-Pandemie betroffene KMU. Auch solle für sie ein niedrigschwelliger Zugang zum Verfahren geschaffen werden, der mit einer unkomplizierten Antragstellung einhergeht. (mwo/26.11.2020)