Merkel-Appell in der Generaldebatte: Halten Sie sich an die Regeln!
Der Generaldebatte der aktuell laufenden Haushaltsberatungen für das kommende Jahr kann man keinesfalls vorwerfen, sich im Klein-Klein von beschlossenen oder geforderten politischen Einzelmaßnahmen verheddert zu haben. Im Gegenteil: Es ging um das große Ganze, um das Beschwören der Zukunftsfähigkeit Deutschlands, um die Bewältigung zweier Krisen und dazu parallel laufender Transformationsprozesse. Die Corona-Pandemie dominierte die Debatte ganz eindeutig, gefolgt von der Klimakrise, die darüber nicht vergessen werden dürfe, so die Mahnungen vieler Abgeordneter.
Die große Mehrheit, allen voran Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) und Abgeordnete der Regierungsfraktionen, verband dies mit der Schlussfolgerung, dass kein Land diese Herausforderungen auf eine isolationistische Weise lösen könne. Und in fast allen Reden schwang auch das Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat mit und die Zuversicht, dass Deutschland aktuelle wie künftige Krisen bewältigen könne.
AfD: Unverantwortliche Sorglosigkeit
Die deutlichsten Zweifel an dieser Zuversicht und das Vertrauen äußerte die AfD-Fraktion, die als stärkste Oppositionsfraktion die Generaldebatte eröffnete. Nach Ansicht von Dr. Alice Weidel, Ko-Chefin der AfD-Fraktion, steht Deutschland nämlich vor dem Abgrund. Der Bundeshaushalt sei ein „Dokument der unverantwortlichen Sorglosigkeit“, der das Fundament des Landes weiter zutiefst erschüttern werde.
Der Bundesregierung warf sie Totalversagen vor, auch die Corona-Krise habe die Regierung nicht zur Besinnung gebracht, so Weidel. „Ihre überzogenen Maßnahmen machen aus der Corona-Krise die schwerste Rezession in der Geschichte Deutschlands. Hören Sie auf, Panik zu schüren“, forderte sie. Weidel kritisierte außerdem die Migrationspolitik und den aus ihrer Sicht stattfindenden „Krieg gegen die Autoindustrie“.
Kanzlerin dankt den Bürgern
Bundeskanzlerin Merkel dagegen richtete für eine solche Debatte ungewohnt persönliche Worte an die Zuhörer jenseits des Plenarsaals. Das Land sei nicht zuletzt durch das verantwortungsvolle Verhalten der Bürger bisher gut durch die Pandemie gekommen. „Auch ich vermisse die Spontaneität der Begegnungen am meisten. So geht es sehr vielen. Aber wir brauchen immer noch Abstand als Fürsorge. Halten Sie sich an die Regeln! Das schützt nicht nur Risikogruppen, sondern unsere offene Gesellschaft als Ganzes“, appellierte Merkel.
Sie verteidigte das Aussetzen der Schuldenbremse: „Wir sind in der Lage, kraftvoll zu reagieren und haben trotzdem die niedrigste Schuldenquote innerhalb der G-7-Staaten.“ Dennoch müsse man natürlich zu einem verfassungskonformen Haushalt zurückkehren, um widerstandsfähig auch für kommende Herausforderungen zu werden, so Merkel. Gleichzeitig dürfe und könne man beim Klimaschutz nicht wegsehen. Deutschland werde sich im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft deshalb dafür einsetzen, bis Ende des Jahres einen gemeinsamen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten für das Ziel einer 55-Prozent-Reduktion beim CO2 zu erreichen, kündigte sie an.
FDP: Schuldenbremse muss 2021 wieder gelten
Christian Lindner, Vorsitzender der FDP-Fraktion, sagte: „Wir sollten nie vergessen, dass die Menschen die Einschränkungen ihrer Freiheit nur akzeptieren, wenn sie angemessen sind.“ Geschlossene Schulen und Pflegeheime wie im Frühjahr dürfe es nicht wieder geben. Nur mit der Zahl möglicher Neuinfektionen könnten weitere Einschränkungen nicht gerechtfertigt werden.
Lindner kritisierte, dass es immer noch keine nationale Teststrategie gebe und appellierte, den Bereich des Privaten vor Eingriffen zu schützen. Hart ins Gericht ging er auch mit der Neuverschuldung. Zwar sei dies für das laufende Jahr richtig gewesen, aber mit Blick auf 2021 könne von einer Nothilfe nicht mehr gesprochen werden, betonte er. Er kritisierte darüber hinaus die Weichenstellungen in der Klimapolitik wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die Diskussion um ein Verbot von Verbrennungsmotoren. Das gefährde die Wirtschaft stärker als Corona. Das EEG mache nicht nur Energie teuer, sondern sorge auch für eine Stromlücke in den nächsten Jahren, so Lindner.
SPD: Sozialstaat als Garant von Zuversicht
Dr. Rolf Mützenich, Fraktionschef der SPD, verteidigte den Haushalt: „Das ist ein Haushalt mit Kraft und Ausdauer, weil wir uns der Pandemie entgegenstellen und gleichzeitig die Weichen für die Zukunft stellen müssen.“ Die Menschen bräuchten Zuversicht in einer existenziellen Krise, „dafür nehmen wir Geld in die Hand“, sagte er und verteidigte den Sozialstaat als Garant für Zuversicht und Sicherheit.
Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes diene nichts Geringerem als dem Erhalt der industriellen Basis des Landes und damit Tausender Arbeitsplätze. Es sei aber genauso elementar, die Leistungsfähigkeit der Kommunen in der Krise durch weitere Entlastungen zu stärken. Mützenich forderte deshalb eine Restschuldenbefreiung für die Kommunen.
Linke: Wer zahlt die Rechnung?
Dr. Dietmar Bartsch, Chef der Linken-Fraktion, betonte, seine Fraktion werde „mit großer Zurückhaltung“ auf weitere Grundrechtsbeschränkungen reagieren. Zum Thema Neuverschuldung sagte er, dies sei zwar richtig gewesen: „Aber Sie sagen gar nicht, wer die Rechnung dafür bezahlt! Darauf haben Sie keine Antwort.“ Dadurch würde ein gigantischer Spardruck auf die öffentlichen Kassen aufgebaut und die Zeche für die gigantischen Rettungspakete würden am Ende, wie schon nach der Finanzkrise, die Bürger bezahlen, warf er der Regierung vor.
Bartsch forderte, zur Finanzierung der Krise „oberste Vermögen“ mit ins Boot zu holen und über eine Steuerreform Leistung durch Arbeit endlich besser zu behandeln als Erbschaften und Vermögen.
Grüne: Neues Klimapaket bis Weihnachten
Dr. Anton Hofreiter, Ko-Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, mahnte ebenfalls, „Vorsicht, Vernunft und Solidarität“ weiter aufrechtzuerhalten, damit Deutschland auch künftig so glimpflich durch die Corona-Krise komme wie bisher. Er vermisste wie Lindner eine vorausschauende nationale Teststrategie. Auch könne es nicht sein, dass nach einem halben Jahr immer noch über Luftfilter für Klassenräume diskutiert werde.
Hofreiter forderte eine bessere Absicherung von Solo-Selbständigen und eine temporäre Erhöhung der Grundsicherung. Die Corona-Krise sei auch ein guter Anlass, andere Krisen endlich ernster zu nehmen, betonte er unter Hinweis auf den Klimawandel. Denn „echter Klimaschutz ist die Voraussetzung für Freiheit und Demokratie“. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen aber destabilisiere Gesellschaften. Das EEG der Bundesregierung gefährde jedoch den Ausbau der erneuerbaren Energien und gleichzeitig die Versorgungssicherheit, kritisierte der Grüne und forderte, bis Weihnachten ein neues sozialökologisches Klimapaket zu schnüren.
CDU/CSU: Arbeitsplätze in der Autoindustrie sichern
Alexander Dobrindt (CDU/CSU) verwies in seiner Rede auf den Transformationsprozess der Automobilindustrie, der unabhängig von Corona verlaufe. Diese Branche sei eine „Schlüsselindustrie“, deshalb müsse darüber geredet werden, wie Tausende Beschäftigte, die derzeit noch Verbrennungsmotoren herstellen, auch künftig beschäftigt werden sollen, wenn man diese Verbrenner verbiete.
Er brachte erneut eine Kaufprämie ins Spiel und hob vor allem Investitionen in die Erforschung synthetischer Kraftstoffe als Mittel hervor, um die Autobranche zu stärken. Dies könne auch eine Antwort auf den Klimawandel sein, denn die aktuelle Krise dürfe keine Ausrede sein, um Klimaziele infrage zu stellen, betonte Dobrindt. (che/30.09.2020)
Gegenstand der Aussprache war der im Regierungsentwurf für den Haushalt 2021 (19/22600) enthaltene Etat von Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (Einzelplan 04), der Ausgaben in Höhe von 3,38 Milliarden Euro (2020: 4,39 Milliarden Euro) vorsieht. Der Einzelplan 04 soll nach den bis Freitag, 2. Oktober 2020, andauernden Beratungen sämtlicher Einzelpläne des Bundes an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. (che/30.09.2020)