Mehrheit der Fraktionen gegen den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz
Im Bundestag zeichnet sich eine klare Mehrheit dafür ab, den Begriff „Rasse“ in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes („Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“) ersetzen zu wollen. Dies wurde am Freitag, 27. November 2020, im Parlament bei der ersten Lesung von fünf Initiativen der Opposition zur Bekämpfung von Rassismus deutlich. Dabei machten insbesondere Vertreter der Koalition und der FDP-Fraktion deutlich, dass dabei aber nicht hinter das bestehende Schutzniveau zurückgegangen werden dürfe und dies nicht einfach werde. Kritik an dem Vorhaben kam von der AfD-Fraktion.
Überweisung mehrerer Anträge
Ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, in dem die Fraktion sich für eine „antirassistische, chancengerechte Einwanderungsgesellschaft“ (19/24636) einsetzt, wurde im Anschluss zur weiteren Beratung in den federführenden Innenausschuss überwiesen. Der Gesetzentwurf der Grünen zur Änderung des Grundgesetzes vorgelegt, um den Begriff der Rasse in Artikel 3 Absatz 3 zu ersetzen (19/24434), wird federführend im Rechtsausschuss beraten. Ein weiterer Antrag der Grünen, die Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu stärken (19/24431), wurde federführend an den Familienausschuss überwiesen, obwohl die Grünen und die Linksfraktion die Federführung beim Rechtsausschuss beantragt hatten.
In der Abstimmung konnten sie sich aber nicht gegen die übrigen Fraktionen durchsetzen. Federführend ist der Rechtsausschuss dagegen bei einem Gesetzentwurf der Linksfraktion, die den Begriff der Rasse ebenfalls aus dem Grundgesetz streichen will (19/20628). Ein Antrag der AfD mit dem Titel „Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus aufheben“ (19/24654) überwies der Bundestag zur federführenden Beratung an den Innenausschuss.
Regierung legt Maßnahmenkatalog vor
Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU), verwies darauf, dass der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus in seinem am Mittwoch vorgelegten Maßnahmenkatalog als eine von 89 Maßnahmen vorsehe, den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz zu ersetzen, denn „Sprache prägt das Denken“. Dabei solle jedoch nicht der „Schutzgehalt aus Artikel 3“ geschmälert werden.
Grüne: Noch laufende Legislaturperiode nutzen
Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, ihre Fraktion lege einen konkreten Vorschlag zur Ersetzung des Wortes „Rasse“ im Grundgesetz vor. Dies müsse jedoch Hand in Hand gehen „mit einer Gewährleistungspflicht des Staates“. Dabei würde sie sich freuen, wenn dieses Vorhaben noch in der laufenden Legislaturperiode mit breiter Mehrheit im Parlament verabschiedet würde.
Nach dem Grünen-Gesetzentwurf sollen in der genannten Grundgesetzpassage die Worte 'seiner Rasse' gestrichen und vor dem Wort 'benachteiligt' die Worte 'oder rassistisch' eingefügt werden; angefügt werden soll der Satz 'Der Staat gewährleistet Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin'.
CDU/CSU: Den Begriff „Rasse“ ersetzen
Thorsten Frei (CDU/CSU) betonte: „Es gibt keine menschlichen Rassen.“ In diesem Bereich sei die biologisch-naturwissenschaftliche Forschung so klar wie bei kaum einem anderen Thema. Gleichwohl gebe es Rassismus in der Gesellschaft. Man müsse eine Lösung finden, die nicht „zu einer Verkürzung des absoluten Diskriminierungsschutzes führt, sondern im Gegenteil das hohe Niveau des Schutzes unseres Grundgesetzes“ erhält.
Es gehe darum, den Begriff „Rasse“ zu ersetzen und nicht nur zu streichen, fügte Frei hinzu, der sich zugleich dagegen aussprach, in das Grundgesetz auch die vorgeschlagene „Gewährleistungsfunktion“ aufzunehmen.
SPD: Bestehendes Schutzniveau nicht aufweichen
Auch Dirk Wiese (SPD) unterstrich, „dass es keine Rassen gibt“. Dennoch sei Rassismus leider immer noch allgegenwärtig. Es sei richtig, dass der Kabinettsausschuss das Koalitionsvorhaben bestätigt habe, den Begriff „Rasse“ zu ersetzen.
Die gemeinsame Herausforderung sei nun, dabei das bestehende Schutzniveau nicht aufzuweichen. Dies werde „juristisch nicht ganz einfach sein. Dieser Aufgabe solle man sich parteiübergreifend stellen. Noch könne er “keine Formulierung auf den Punkt bringen, die letztendlich rechtssicher dieses Schutzniveau halten wird„.
FDP: Dies ist keine triviale Aufgabe
Stephan Thomae (FDP) verwies darauf, dass die Verwendung des Begriffs “Rasse„ in Grundgesetz voraussetze, dass es Rassen gibt. Doch “Menschenrassen gibt es eben nicht„.
Deshalb müsse man sich von diesem Begriff lösen, ohne “den Schutzraum einzuengen„ und die “Unrechtskennzeichnung von Rassismus„ aufzuheben. Dies sei eine “nicht triviale Aufgabe„, bei der noch niemand den “Stein des Weisen„ gefunden habe.
Linke fordert Verbot rassistischer Diskriminierung
Gökay Akbulut (Die Linke) sagte, es gebe “Rassismus, aber keine Rassen„. Sie warb dafür, das Wort “Rasse„ im Grundgesetz durch ein “Verbot von rassistischer Diskriminierung„ zu ersetzen, wodurch keine Schutzlücke entstehe. Schon jetzt hätten einige EU-Staaten den Begriff “Rasse„ aus ihrer nationalen Gesetzgebung verbannt.
Der Linken-Gesetzentwurf sieht neben der Streichung der Wörter “seiner Rasse„ in dem Verfassungsabsatz vor, nach Niemand darf die Wörter rassistisch oder einzufügen und nach dem Satz die Formulierung Der Staat gewährleistet den tatsächlichen Schutz vor Diskriminierung, fördert die Durchsetzung des Diskriminierungsverbots und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin anzufügen.
AfD kritisierte Forderung nach einer Tilgung
Marc Jongen (AfD) kritisierte die Forderung nach einer Tilgung des Begriffs “Rasse„ aus dem Grundgesetz. “Wie das Geschlecht in der Gender-Ideologie, so sollen auch alle sonstigen naturgegebenen Unterschiede zwischen den Menschen nur noch eine böswillige gesellschaftliche Konstruktion sein„, monierte er.
Zweifellos könne man darüber diskutieren, ob der Begriff “Rasse„ heute noch angemessen sei. Es sei aber nicht “das Benennen von natürlichen Unterschieden bereits rassistisch, sondern einen Überlegenheitsanspruch, eine Unterdrückung daraus abzuleiten„.
Erster Antrag der Grünen
Die Grünen fordern in ihrem ersten Antrag (19/24636) die Bundesregierung auf, einen “Partizipationsrat Einwanderungsgesellschaft„ als gesetzlich verankertes unabhängiges Gremium mit Vertretern aus der “(post-)migrantischen Zivilgesellschaft„, sowie Wissenschaft und Forschung, ähnlich dem Deutschen Ethikrat, einzurichten und damit unter anderem einen fortlaufenden gesellschaftlichen Diskurs über die Einwanderungsgesellschaft und deren rassismuskritischen Ausgestaltung zu fördern. Zudem soll dafür eine Arbeitsdefinition aller Rassismen in ihren Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen erarbeitet werden, die Eingang in den Gesetzgebungsprozess finden soll.
Des Weiteren soll das Leitbild “Einheit in Vielfalt„ als Gemeinschaftsaufgabe der Gestaltung einer rassismuskritischen und chancengerechten Einwanderungsgesellschaft gesetzlich verankert werden, damit dieses von Bund, Ländern und Kommunen zukünftig stärker als gesamtstaatliche Verantwortung angesehen wird.
Gesetzentwurf der Grünen
im Gesetzentwurf der Grünen zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 – Ersetzung des Wortes Rasse und Ergänzung zum Schutz gegen gruppenbezogene Menschenwürdeverletzungen, 19/24434) heißt es, das Wort Rasse könne zu Missbrauch und falscher Rechtfertigung abwertenden Verhaltens führen werde zu Recht als Beleidigung empfunden. Es gebe daher keine Rassen, sondern Rassismus, den es zu bekämpfen gelte. Im Grundgesetz fehle zudem ein ausdrücklicher Handlungsauftrag an den Staat, Schutz gegen alle Erscheinungsformen gruppenbezogener Verletzung der gleichen Würde aller Menschen zu gewährleisten.
Die Fraktion schlägt vor, das Wort Rasse in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes durch das Wort rassistisch zu ersetzen, in Verbindung mit der Anfügung einer Gewährleistungsverpflichtung als neuem Satz 3: “Der Staat gewährleistet Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.„
Zweiter Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will die Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) stärken. Ihrem zweiten Antrag (19/24431) zufolge soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorzulegen. Danach soll die ADS künftig als Bundesoberbehörde errichtet und deren Leitung künftig auf Vorschlag einer Fraktion oder der Bundestagsabgeordneten in Fraktionsstärke durch den Bundestag gewählt werden.
Durch die Schließung bestehender Lücken im privaten und öffentlichen Bereich soll der Schutz vor rassistischer Diskriminierung sowie vor Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) deutlich verbessert werden, und die finanzielle und personelle Ausstattung der ADS soll deutlich aufgestockt werden.
Gesetzentwurf der Linken
Auf die Streichung des Begriffs Rasse im Grundgesetz zielt der Gesetzentwurf der Linken (19/20628) ab. Darin plädiert die Fraktion dafür, Grundgesetz-Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 (“Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.„) entsprechend zu ändern. Danach sollen nach den Wörtern “Niemand darf„ die Wörter “rassistisch oder„ eingefügt und die Wörter “seiner Rasse„ sowie das Komma dahinter gestrichen werden.
In der Vorlage führen die Abgeordneten aus, dass rassistische Diskriminierung “auf der Vorstellung der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschengruppen„ fuße. “Das Konstrukt der ,Rasse' dient seit dem 18. Jahrhundert als Rechtfertigung von Sklaverei und kolonialer Herrschaft„, schreibt die Fraktion weiter. Schließlich seien auch die “Rassentheorien„ als Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie dazu verwendet worden, den planmäßigen Massenmord an Juden, Sinti und Roma und zahlreichen anderen Menschengruppen zu rechtfertigen. Auch heutzutage seien Rassismus und “racial profiling„ Bestandteile des Lebensalltags vieler Menschen in Deutschland.
“Begriff der Rasse streichen„
Der Fraktion zufolge haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts in einer Erklärung “deutlich gemacht, dass das Konzept der Rasse das Ergebnis von Rassismus ist und nicht dessen Voraussetzung„. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiere, dass die Verwendung des Begriffs “Rasse„ im Grundgesetz “Vorstellungen von der Existenz menschlicher Rassen perpetuiert„. “Auf die Erkenntnis, dass der Begriff Rasse im Grundgesetz Rassismus fortsetzt und damit fördert, muss die logische Konsequenz folgen, diesen Begriff zu streichen„, heißt es in der Vorlage ferner.
Darin sprechen sich die Abgeordneten zugleich dafür aus, stattdessen “ein ausdrückliches Verbot rassistischer Diskriminierung„ in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes zu verankern. Dieser Absatz soll nach ihrem Willen ergänzt werden um den Satz “Der Staat gewährleistet den tatsächlichen Schutz vor Diskriminierung, fördert die Durchsetzung des Diskriminierungsverbots und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin„.
Antrag der AfD
Die AfD fordert, den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus (NAP) frühestmöglich ersatzlos aufzuheben (19/24654). Zur Begründung heißt es, das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld, das die deskriptiven Grundlegungen für den NAP bereitgestellt habe, orientiere sich nicht an wissenschaftlichen, sondern an ideologischen Kategorien. So würde das Institut offen marxistisches Vokabular bedienen, schreiben die Abgeordneten.
Des Weiteren solle die Bundesregierung das Konzept des “Rassismus ohne Rassen wegen seiner wissenschaftlichen Unhaltbarkeit und seiner gesellschaftsspaltenden Konsequenzen in ihrer Kommunikation„ nicht mehr benutzen. Außerdem gelte es, keine wissenschaftlichen Projekte oder Forschungsvorhaben mehr zu fördern, die auf dem “ideologisch geprägten Konzept des Rassismus ohne Rassen„ fußten. Dieses Konzept, so fasst es die Fraktion unter Berufung auf den französischen Philosophen Étienne Balibar zusammen, “postuliere ,nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere', sondern beschränke sich darauf, ,die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweise und Traditionen zu behaupten'„. Mit diesem Konzept, so die AfD, werde der Rassismusbegriff entgrenzt. (sto/mwo/27.11.2020)