Um Verbesserungen im Inkassorecht ging es bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz unter Leitung von Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) am Mittwoch, 16. September 2020. Während Verbraucherschützer und Schuldnerberater in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/20348) keine Verbesserung der aktuellen Situation für Verbraucher sehen, hält ihn die Inkasso-Branche für unausgewogen. Kritik kam auch vonseiten der Rechtsanwälte.
Wie es in dem Entwurf heißt, hat sich aufgrund des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken die Transparenz im Inkassowesen deutlich verbessert. Sehr unbefriedigend stelle sich aber noch immer die Situation bei den geltend gemachten Inkassokosten dar, die im Verhältnis zum Aufwand zumeist als deutlich zu hoch anzusehen seien. Zudem gebe es teilweise noch unnötige Kostendoppelungen und würden mangelnde Rechtskenntnisse der Schuldner ausgenutzt. Hauptsächlich sollen Gebühren so angepasst werden, dass einerseits für die Schuldner keine unnötigen Belastungen entstehen, andererseits aber Inkassodienstleistungen nach wie vor wirtschaftlich erbracht werden können.
Bedenken aus der Praxis
Bedenken aus der Praxis am Gesetzentwurf meldete Frank-Michael Goebel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Koblenz, an. Zwar ziele er auf die Verbesserung der Verbraucherrechte, gleichwohl würden auch unberechtigt und ohne sachliche Begründung nichtleistende Unternehmen geschützt. Zudem gehe es nur um die Einziehung berechtigter Forderungen in Form von Inkassodienstleistungen.
Wo Forderungen nur behauptet oder unbegründete Forderungen eingezogen werden, greife der Gesetzentwurf ebenso wenig wie dort, wo Inkassodienstleistungen von Personen erbracht werden, die nicht als Inkassodienstleister registriert sind. Es sei zu befürchten, dass der Gesetzentwurf das Entstehen unberechtigter Forderungen fördert.
„Anregungen wurden nicht berücksichtigt“
Dagmar Beck-Bever von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) bedauerte, dass die von der BRAK geäußerten Bedenken und Anregungen in dem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt worden seien.
Die BRAK sehe die meisten darin vorgesehenen Regelungen sehr kritisch und stehe ihnen ablehnend gegenüber, sagte Beck-Beyer. Die eklatanten Kürzungen der anwaltlichen Gebühren führten nach Auffassung der BRAK zu einer weiteren massiven Schwächung der Anwaltschaft.
„Es gibt Schlupflöcher“
Rechtsanwalt Dr. Ludwig Gehrke von der Hamburger Kanzlei KSP, die sich nach eigenen Angaben auf das anwaltliche Forderungsmanagement spezialisiert hat, schloss sich der Kritik der BRAK an. Das Anliegen des Gesetzgebers, Verbraucher vor überhöhten und missbräuchlichen Inkassokosten zu schützen, sei aber im Grundsatz richtig. Es gebe jedoch Schlupflöcher.
Florian Stößel vom Verbraucherzentrale Bundesverband meinte, der Regierungsentwurf sei nicht geeignet, die Verbrauchersituation zu verbessern. So würden die Regeln verkompliziert, wodurch es für Verbraucher noch schwieriger sein werde, die Kostenforderungen nachzuvollziehen und sich gegen zu hohe Forderungen zu wehren.
„Entwurf schützt die Interessen der Inkassobranche“
Birgit Vorberg von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen erklärte, das Ziel von mehr Verbraucherschutz durch Senkung der Verfahrenskosten und die Schaffung von mehr Transparenz für die Schuldner solle offenbar ohne nennenswerte Umsatzeinbußen der Inkassobranche erreicht werden. Dies sei ein offensichtlicher Widerspruch und gehe zulasten der Verbraucher.
Weiter kritisierte Vorberg, dass in dem Entwurf an einer Gleichsetzung von Inkasso- und Rechtsanwaltstätigkeiten festgehalten werde. Mit der Beibehaltung der bisherigen Praxis schütze der Entwurf vor allem die Interessen der Inkassobranche.
„Mehr Schatten als Licht“
Der Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Mitglied des Arbeitskreises InkassoWatch, sieht in dem Entwurf mehr Schatten als Licht. So wähle der Entwurf bezüglich der Höhe der Inkassokosten den Weg, die angemessene Reduzierung mit Hilfe des Kriteriums der zu erwartenden wirtschaftlichen Branchenverluste bestimmen zu wollen. Dies geschehe auf der Basis von Datenmaterial der Inkassoseite, dessen Richtigkeit nicht kritisch genug hinterfragt worden sei.
Alles in allem bedürfe es noch erheblicher Anstrengungen, wolle man ein Gesetz schaffen, das den Verbraucherschutz im Inkassorecht wirklich verbessert.
„Effektive Inkassoaufsicht schaffen“
Thomas Seethaler von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung sprach sich für die Schaffung einer effektiven Inkassoaufsicht mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten aus. Gelinge dies wieder nicht, sei schon jetzt absehbar, dass die „Inkassoindustrie“ die sich ergebenden Spielräume erneut in erheblichem Maße extensiv und missbräuchlich ausnutzen werde.
Wie die Verbraucherschützer kritisierte Seethaler, dass es im Regierungsentwurf an Einfachheit, Klarheit und Eindeutigkeit fehle. Er werde an entscheidenden Stellen davon geleitet, dass Inkassodienstleistungen nach wie vor wirtschaftlich erbracht werden können.
„Ein vernünftiger Ausgleich ist möglich“
Die Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen, Kirsten Pedd, wies die Annahme des Gesetzentwurfs zurück, dass die Umsätze der Inkassodienstleister durch die Neuregelung um rund 20 Prozent zurückgehen würden. Selbst bei Zugrundelegung dieser viel zu niedrig angesetzten Prognose wäre die Inkassobranche existenziell bedroht. Außerdem gerate der Gesetzgeber in offensichtliche Wertungswidersprüche zu zeitgleich laufenden Gesetzgebungsverfahren.
Die Abgeordneten hätten nun Gelegenheit, berechtigte verbraucherpolitische Ziele des Gesetzgebers und die legitimen Interessen der Wirtschaft in Einklang zu bringen sowie die Kohärenz des gesetzgeberischen Handelns wiederherzustellen. Ein vernünftiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen sei möglich.
Die Fragen der Abgeordneten betrafen vor allem die Auswirkungen der geplanten Regelungen für Inkassodienstleister, Anwälte und Schuldner. Ferner wollten sie wissen, wie Masseninkasso und individuelles Inkasso voneinander abgegrenzt werden könnten und wie eine effektive Aufsicht über Inkassounternehmen aussehen könnte. Auch die Rolle des mündigen Verbrauchers im Zusammenhang mit neuen Hinweispflichten über mögliche Inkassokosten wurde hinterfragt.
Entschließungsantrag der AfD
Die AfD-Fraktion hat im Rechtsausschuss einen Entschließungsantrag mit dem Titel „Verbraucher vor überzogenen Inkassoforderungen effektiv schützen“ eingebracht, der sich auf den Regierungsentwurf bezieht. Darin heißt es, der Regierungsentwurf werde dem Problem unverhältnismäßig hoher Inkassoforderungen nicht gerecht. Der Entwurf sei einerseits zu weitgehend, als er neben Verbrauchern auch unternehmerisch handelnde Schuldner schütze, die bei Nichtzahlung einer Geldforderung nicht im gleichen Maße schutzbedürftig seien. Andererseits schütze er die tatsächlich schutzbedürftigen Verbraucher nicht konsequent.
Die Fraktion fordert daher, nur die tatsächlich schutzbedürftigen Verbraucher zu schützen und keine Gleichbehandlung der Vergütungsansprüche von mit Inkasso beauftragten Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern vorzusehen. Auch solle der Gesetzentwurf nur für Forderungen von Gläubigern gelten, die Unternehmen sind, und zwar innerhalb einer Bagatellgrenze von 100 Euro oder bei mehreren geltend gemachten Forderungen von 150 Euro. Ebenso müsse sichergestellt werden, dass Verbraucher im Bagatellbereich keinen zusätzlichen Forderungen des Gläubigers (Unternehmen) auf Erstattung von Inkassokosten ausgesetzt sind. Verbraucher sollten außerhalb der Bagatellgrenze Inkassokosten nur erstatten müssen, wenn sie zuvor durch eine weitere Mahnung des Gläubigers (Unternehmen) auf die Gefahr derartiger Kosten ausdrücklich hingewiesen worden sind.
Antrag der FDP
Nach dem Willen der FDP-Fraktion (19/29345) soll die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform des Inkassorechts vorlegen. Das Gesetz solle unter anderem die Geschäftsgebühren für außergerichtliche Inkassodienstleistungen und die Einigungsgebühren für den Abschluss von Zahlungsvereinbarungen neu regeln und das außergerichtliche Mahnwesen in einen festen Rhythmus einbetten.
Binnen der nächsten fünf Jahre solle die Effektivität der Aufsicht über Inkassodienste evaluiert werden. Durch die Senkung der Inkassokosten sollen Schuldenfallen vermieden werden, heißt es in der Begründung des Antrags.
Antrag der Linken
Dem Schutz von Verbrauchern vor hohen Inkassokosten dient der Antrag der Linken (19/20547). Wie die Fraktion schreibt, greift das „Inkassounwesen“ gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern weitgehend ungehindert um sich. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher würden durch hohe Inkassokosten in finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Nicht selten würden Menschen durch Druck und Drohungen zu Zahlungen von Forderungen gedrängt, die unberechtigt seien.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung werde den festgestellten Defiziten und den notwendigen Reformen der Inkassobranche nicht gerecht, heißt es weiter. Der Bundestag solle daher umgehend einen Gesetzentwurf zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher bezüglich der Inkassokosten vorlegen, der unter anderem maximale Inkassokosten sowie Rechte der Schuldner und Pflichten der Inkassounternehmen und -rechtsanwälte festlegt.
Antrag der Grünen
Die Bundesregierung soll gegen unseriöse und überteuerte Inkassomethoden vorgehen, fordern auch die Grünen (19/6009). Nach Angaben der Abgeordneten hat das 2013 wirksam gewordene Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken seine Ziele verfehlt: „Anscheinend ist sogar das Gegenteil des mit dem Gesetz verfolgten Ziels, die anfallenden Inkassokosten für Schuldner zu vermindern, eingetreten.“ Seit Umsetzung des Gesetzes seien nach einer Untersuchung die Kosten, mit der Schuldner durch die Inkassobranche belastet werden, deutlich gestiegen. Die Fraktion fordert daher unter anderem, dass die Inkassokosten auf ein angemessenes Niveau begrenzt werden, die Doppelbeauftragung von Inkassounternehmen und Rechtsanwalt klarer beschränkt sowie die Aufsicht über Inkassounternehmen gebündelt und gestärkt wird.
Zur Begründung erläutern die Abgeordneten die heutige Situation: Die bisher unzureichenden Regelungen zu erstattungsfähigen Inkassokosten hätten zur Folge, dass selbst bei geringen Forderungen von beispielsweise 35 Euro oft das Maximum von zusammengefasst über 70 Euro an Inkassokosten bereits für das erste Anschreiben veranschlagt werde. Dies entspreche dem 1,3-fachen Satz plus Auslagenpauschale nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, welcher für die durchschnittlich aufwendige Tätigkeit eines Rechtsanwalts verlangt werden könne. „Diese Gleichsetzung erscheint insbesondere in Zeiten der Digitalisierung für diese Tätigkeit nicht angebracht. Die weitgehend EDV-gestützte Eintreibung einer unstreitigen Forderung ist in keiner Weise mit einem anwaltlichen Vollmandat mit Beratung und Vertretung in einer streitigen Rechtsangelegenheit vergleichbar“, argumentiert die Fraktion. Sie fordert, den Erstattungsanspruch für ein erstes Inkassoschreiben auf die Höhe einer 0,3er Gebühr zu begrenzen, da es sich um ein „Schreiben einfacher Art“ handele. Begrenzt werden sollen nach Ansicht der Fraktion auch die Gebühren für Inkassodienstleister. (mwo/16.09.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dagmar Beck-Bever, Bundesrechtsanwaltskammer, Berlin Vorsitzende des Ausschusses Rechtsanwaltsvergütung, Rechtsanwältin
- Dr. Ludwig Gehrke, Rechtsanwalt, Hamburg
- Frank-Michael Goebel, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, Koblenz
- Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Arbeitskreis InkassoWatch, Münster, Rechtsanwalt
- Kirsten Pedd, Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e. V., Berlin, Präsidentin
- Thomas Seethaler, Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e. V., Mannheim
- Florian Stößel, Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., Berlin, Geschäftsbereich Verbraucherpolitik, Referent Team Recht und Handel
- Birgit Vorberg, Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V., Gruppe Kredit und Entschuldung
- N. N.