Die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR werden aus der Verantwortung der Stasi-Unterlagenbehörde in den Zuständigkeitsbereich des Bundesarchivs übergehen. Zudem wird beim Bundestag das Amt eines Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur eingerichtet. Der Bundestag billigte am Donnerstag, 19. November 2020, den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen „zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, des Stasiunterlagen-Gesetzes und zur Einrichtung einer oder eines SED-Opferbeauftragten“ (19/23709) in der vom Ausschuss für Kultur und Medien geänderten Fassung (19/24484). Die AfD-Fraktion stimmte dagegen, die Linksfraktion enthielt sich. In zweiter Beratung lehnte der Bundestag zwei Änderungsanträge der AfD-Fraktion (19/24489, 19/24490) jeweils mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen ab.
Mit den Stimmen der übrigen Fraktionen wurde zwei weitere Anträge der AfD abgelehnt: der erste Antrag trägt den Titel „Das Erbe der Friedlichen Revolution bewahren – Den Gesetzentwurf zur Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde zurückziehen und grundlegend überarbeiten“ (19/24420). Zum zweiten abgelehnten AfD-Antrag mit der Überschrift „Gedenktag für die Opfer der politischen Verfolgung während der SED-Diktatur“ (19/14348) lag eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses vor (19/22295).
Angenommener Gesetzentwurf der vier Fraktionen
Das Gesetz sieht vor, das die Stasi-Unterlagen dauerhaft durch das Bundesarchiv gesichert und archiviert werden. Das bisherige Recht auf Akteneinsicht für betroffene Bürger, Medien und Wissenschaft nach den Regelungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bleibt jedoch unverändert bestehen. Ebenso erhalten werden die bisherigen Außenstellen der Stasi-Unterlagen-Behörde in den ostdeutschen Bundesländern.
Das Amt des Opferbeauftragten wird ähnlich wie der Wehrbeauftragte als parlamentarisches Hilfsorgan beim Bundestag angesiedelt werden. Zentrale Aufgabe des Beauftragten ist es, für die Anliegen der Opfer der SED-Diktatur und der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetischen Besatzungszone in Politik und Öffentlichkeit einzutreten. Dem Bundestag soll er regelmäßig Berichte zur aktuellen Situation der Opfer vorlegen und auf Aufforderung an den Beratungen des Bundestages und seiner Ausschüsse teilnehmen. Der Beauftragte wird auf fünf Jahre durch den Bundestag gewählt. Ausgeschlossen ist allerdings die Wahl eines ehemaligen Mitarbeiters der Stasi oder einer Person, „die gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße ihre Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat“.
Staatsministerin: Zugang zu Akten bleibt gewährleistet
Die Kulturstaatsministerin Professor Monika Grütters (CDU) betonte, dass die Verlagerung der Stasi-Akten in das Bundesarchiv „keinen Schlusspunkt“, sondern „die Fortsetzung ihrer Aufarbeitung unter gesamtdeutschen Vorzeichen“ bedeute. Der Zugang zu den Akten werde unverändert gewährleistet. Zugang werde die Expertise der Stasi-Unterlagenbehörde durch die Übernahme ihres Personals in das Bundesarchiv erhalten.
Dieser Argumentation schloss sich auch die SPD-Kulturpolitikerin Katrin Budde an. Sie verwies darauf, wie hart umkämpft die Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vor 30 Jahren gewesen sei. Umso wichtiger sei es, dass die Regelungen des Gesetzes zum Recht auf Akteneinsicht erhalten bleiben.
FDP: Digitalisierung der Akten vorantreiben
Der FDP-Kulturpolitiker Thomas Hacker verwies darauf, dass die Gesetzesvorlage in der öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses von den Sachverständigen und den Opfergruppen ausdrücklich begrüßt worden sei.
Hacker betonte zugleich, dass das Bundesarchiv vor neue große Herausforderungen gestellt werde. So müsste die Digitalisierung der Akten ebenso wie die Rekonstruktion von geschredderten Akten vorangetrieben werden.
Grüne: Situation der Opfer bleibt wichtiges Thema
Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) argumentierte, mit dem Erhalt der Außenstellen der Stasi-Unterlagen-Behörde werde weiterhin ein niedrigschwelliger Zugang zu den Akten für die Stasi-Opfer gewährleistet.
Zugleich garantierte das Amt des Opferbeauftragten, dass die Situation der Opfer und die Aufarbeitung der Geschichte der SED-Diktatur auch weiterhin ein wichtiges Thema für den Bundestag bleibe.
AfD: Feigenblatt statt Ruhmesblatt
Der AfD-Kulturpolitiker Dr. Götz Frömming begründete die Ablehnung seiner Fraktion. Der Bundestag beerdige mit der Annahme des Gesetzes eine der großen Errungenschaften der deutschen Einheit. Die Schaffung des Amtes eines Opferbeauftragten 30 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur sei auch „kein Ruhmesblatt“, sondern allenfalls „ein Feigenblatt“. Es habe auch keine zwingende Notwendigkeit für das Gesetz gegeben. Vorstellbar wäre auch eine Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und der Stasi-Unterlagen-Behörde gewesen, um die Akten dauerhaft zu erhalten.
Ein wesentlicher größeres Augenmerk müsse zudem auf die pädagogische Vermittlung von Erkenntnissen über die SED-Diktatur gelegt werden. Deutsche Schüler wüssten heute kaum etwas über die DDR, argumentierte Frömming.
Linke vermisst Angaben zur Finanzierung
Die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Simone Barrientos, betonte, dass ihre Fraktion die Verlagerung der Stasi-Akten in die Verantwortung des Bundesarchivs ausdrücklich begrüße. Zustimmen könne man der Gesetzesvorlage allerdings nicht. So mache der Gesetzesentwurf keine Angaben darüber, wie die zusätzlichen Aufgaben für das Bundesarchiv finanziert werden sollen.
Die Außenstellen seien sanierungsbedürftig und es müssten auch neue Archive gebaut werden. Ebenso sei nicht geklärt, wie die zukünftige Erforschung der Stasi-Akten gesichert werden soll. Am besten sei die Einrichtung eines entsprechenden Lehrstuhls in Ostdeutschland, forderte sie.
Erster abgelehnter Antrag der AfD
In ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/24420) hatte die AfD gefordert, der Bundestag möge den von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen eingebrachten Gesetzentwurf unberücksichtigt lassen. Statt der abzustimmenden Vorlage sollte vielmehr ein neuer Gesetzentwurf formuliert werden. Demzufolge sollte etwa „das bisherige Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen zum ,Amt eines Bundesbeauftragten beim Deutschen Bundestag für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, für deren Opfer und für die pädagogische Weitergabe gewonnener Erkenntnisse' weiterentwickelt“ werden.
Auch sollte sichergestellt werden, dass die aus der Aufarbeitung der Stasi-Akten gewonnenen Erkenntnisse über die Herrschaftspraktiken der SED-Diktatur als warnendes Beispiel für jegliche totalitäre Ideologie im Wege pädagogischer Konzepte bereitgestellt werden, schrieb die Fraktion.
Zweiter abgelehnter Antrag der AfD
Das Datum des von der AfD in ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/14348) geforderten Gedenktags für die Opfer der SED-Diktatur sollte nach Beratung mit Opfervertretern und einer gesellschaftlichen Debatte festgelegt werden, schrieben die Abgeordneten. Der Bundestag sei sich bewusst, hieß es in dem Antrag, dass die Rehabilitierungsgesetze an vielen Stellen nachgebessert werden müssten, um die rechtliche Aufarbeitung des Unrechts zu erleichtern.
30 Jahre nach dem Mauerfall und der friedlichen Revolution in der DDR sei es aber auch an der Zeit, den Opfern der politischen Verfolgung durch die sozialistische Diktatur in der DDR im Rahmen eines bundesweiten Gedenktags würdig zu gedenken. (aw/sas/vom/19.11.2020)