Das Kindergeld und die steuerlichen Kinderfreibeträge werden zum 1. Januar 2021 steigen. Der Bundestag hat am Donnerstag, 29. Oktober 2020, dem Entwurf der Bundesregierung für ein zweites Familienentlastungsgesetz (19/21988, 19/22815, 19/23054 Nr.10) in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung (19/23795) zugestimmt. CDU/CSU, SPD und AfD stimmten für das Gesetz, FDP, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich.
Erhöht werden auch die steuerlichen Pauschbeträge für Menschen mit Behinderung. Dazu wurde das Gesetz „zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen“ (19/21985, 19/22816, 19/23054 Nr. 11) in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung (19/23793) einstimmig angenommen. Zu beiden Gesetzentwürfen lag jeweils ein Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit (19/23796, 19/23797) vor.
Abgelehnt wurde hingegen ein Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Steuerliche Entlastung von Menschen mit Behinderung“ (19/18947), zu dem ebenfalls eine Empfehlung des Finanzausschusses vorlag (19/23793). FDP und Grüne stimmten für den Antrag, CDU/CSU und SPD dagegen, die AfD und die Linksfraktion enthielten sich. Einen weiteren FDP-Antrag mit dem Titel „Handeln statt Reden – Kleine und mittlere Einkommen dauerhaft entlasten“ (19/23693) überwies der Bundestag nach erster Aussprache zur weiteren Beratung an den federführenden Finanzausschuss.
Zweites Familienentlastungsgesetz
Mit dem zweiten Familienentlastungsgesetz (19/21988) steigt das Kindergeld ab 2021 um 15 Euro im Monat. Es beträgt damit für das erste und zweite Kind jeweils 219 Euro, für das dritte Kind 225 Euro und für das vierte und für jedes weitere Kind jeweils 250 Euro pro Monat. Der steuerliche Kinderfreibetrag steigt von 5.172 Euro um 288 Euro auf 5.460 Euro.
Der Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines Kindes wird um ebenfalls 288 Euro auf 2.928 Euro erhöht, sodass sich daraus eine Anhebung der zur steuerlichen Freistellung des Kinderexistenzminimums dienenden Freibeträge von derzeit insgesamt 7.812 Euro um 576 Euro auf einen Betrag von insgesamt 8.388 Euro ergibt.
Grundfreibetrag erhöht
Der steuerliche Grundfreibetrag von derzeit 9.408 Euro sollte nach dem Regierungsentwurf auf 9.696 Euro angehoben werden. Aufgrund des inzwischen vorliegenden Existenzminimumberichts (19/22800) hob der Bundestag den Betrag für 2021 um 48 Euro auf 9.744 Euro an. 2022 steigt der Grundfreibetrag wie geplant weiter auf 9.984 Euro.
Änderungen gibt es bei der Rechtsverschiebung des Einkommensteuertarifs zum Ausgleich der sogenannten kalten Progression. Diese Rechtsverschiebung beträgt im kommenden Jahr 1,52 Prozent, damit inflationsbedingte Einkommenssteigerungen nicht zu einer höheren individuellen Besteuerung führen. Sie sollte im Jahr 2022 1,52 Prozent betragen. Aufgrund der Daten des neuen vierten Steuerprogressionsberichts der Bundesregierung (19/22900) wurde die Rechtsverschiebung im Jahr 2022 auf 1,17 Prozent reduziert.
Entschließungsantrag der Grünen abgelehnt
Gegen die Stimmen der Linken und der Grünen lehnte der Bundestag einen Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (19/23799) zum zweiten Familienentlastungsgesetz ab. Darin hatte die Fraktion einen Gesetzentwurf verlangt, der das Kindergeld, den Kinderzuschlag, das Sozialgeld für Kinder und die Kinderfreibeträge in einer Leistung – der Kindergrundsicherung – zusammenfasst.
Dabei sei zu beachten, dass die Kindergrundsicherung ist eine eigenständige Leistung des Kindes ist, die nicht bei den Eltern als Einkommen angerechnet wird, wenn diese Sozialleistungen beziehen. Die Kindergrundsicherung besteht nach Ansicht der Grünen aus zwei aufeinander aufbauenden Bausteinen: einem fixen Garantie-Betrag für jedes Kind und einem ergänzenden Garantie-Plus-Betrag für Eltern mit geringen Einkommen.
Behinderten-Pauschbeträge verdoppelt
Die seit 1975 nicht mehr geänderten steuerlichen Pauschbeträge für Menschen mit Behinderung werden mit dem zweiten verabschiedeten Gesetz (19/21985) ab dem Veranlagungszeitraum 2021 verdoppelt. Auch der Pflegepauschbetrag wird erhöht. Bei einem Grad der Behinderung von 50 Prozent steigt der Pflegepauschbetrag auf 1.140 Euro steigen, bei 100 Prozent auf 2.840 Euro.
Die Erhöhung vermeide in vielen Fällen den aufwendigen Einzelnachweis von Aufwendungen, schrieb die Bundesregierung zur Begründung. Damit könnten die Pauschbeträge ihre Vereinfachungsfunktion auch zukünftig erfüllen. Zudem wird ein behinderungsbedingter Fahrtkosten-Pauschbetrag eingeführt. Bei einem Grad der Behinderung kleiner als 50 soll künftig auf die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen zur Gewährung des Pauschbetrags verzichtet werden. Der Finanzausschuss hatte Änderungen unter anderem bei der Fahrtkostenpauschale vorgenommen. Auch werden Taubblinde in die Regelung einbezogen.
Erhöht wird überdies der Pflege-Pauschbetrag bei der Pflege von Personen mit den Pflegegraden 4 und 5. Für die Pflege von Personen mit den Pflegegraden 2 und 3 wird der Pflege-Pauschbetrag neu eingeführt. Laut Bundesregierung kann der Pflege-Pauschbetrag künftig unabhängig vom Vorliegen des Kriteriums der Hilflosigkeit der zu pflegenden Person geltend gemacht werden.
SPD: Bundestag handlungsfähig in der Krise
Der Deutsche Bundestag zeigt sich handlungsfähig auch in der Krise, freute sich Michael Schrodi (SPD). Er rechnete vor, dass eine Familie mit zwei Kindern mit einem Jahreseinkommen von 40.000 Euro 520 Euro mehr netto haben werde.
Es gebe zwölf Milliarden Euro Entlastung und somit über eine Milliarde mehr „als wir insgesamt tun müssten“, sagte Schrodi.
CDU/CSU: Bei den Familien wird nicht gespart
Die Leistungen der Koalition für die Familien hob auch Johannes Steiniger (CDU/CSU) hervor: Bei den Familien in Deutschland wird nicht gespart. In dieser Legislaturperiode sei das Kindergeld mit dem neuen Beschluss bereits um 25 Euro angehoben worden, was Steiniger als tolle Leistung bezeichnete.
Wie Schrodi sagte auch Steiniger, dass man bei der Entlastung mehr getan habe als nur die kalte Progression auszugleichen: Jeder Steuerzahler, jede Steuerzahlerin in Deutschland profitiere von dem Ausgleich der kalten Progression. Da ab 2021 für die Allermeisten auch noch der Solidaritätszuschlag wegfallen werde, komme es zu einer „riesengroßen Entlastung“.
AfD fordert steuerliches Familiensplitting
Die Maßnahmen trage die AfD mit, erklärte Franziska Gminder (AfD-Fraktion). Sie wies allerdings darauf hin, dass die Behindertenpauschbeträge 45 Jahre lang nicht erhöht worden seien im Gegensatz zu den Diäten der Bundestagsabgeordneten, die seit 1975 von rund 2.000 Euro auf 10.000 Euro gestiegen seien, was eine Verfünffachung bedeute.
Dagegen sei die Verdoppelung der Behindertenpauschbeträge noch als bescheiden zu bezeichnen. In der Familienpolitik forderte sie eine steuerliches Familiensplitting und eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Kinderbedarfsartikel. Auch ein Alleinverdiener sollte eine Mehrkinderfamilie mit seinem Einkommen versorgen können, forderte Gminder.
FDP will weitere Entlastungen
Markus Herbrand (FDP) sah in dem Titel Familienentlastungsgesetz ein bisschen Etikettenschwindel. Zu Steuerfreistellung des Existenzminimums sei man verfassungsrechtlich verpflichtet, und der Ausgleich der kalten Progression beruhe auf einer Selbstverpflichtung des Bundestages.
Herbrand verlangte weitere Entlastungen, zum Beispiel die Möglichkeit, dass Arbeitgeber Betreuungskosten für Kinder steuerfrei ersetzen können. Auch die Alleinerziehungsfreibeträge und der Ausbildungsfreibetrag müssten erhöht werden.
Linke bemängelt ungleiche Entlastung
Stärkere Kritik kam von der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Jörg Cezanne (Die Linke) begrüßte zwar die Anhebung des Kindergeldes, kritisierte aber die ungleiche Entlastung. Bei höheren Einkommen profitierten Eltern durch den Kinderfreibetrag mit bis zu 273 Euro pro Kind und Jahr. Wer den Freibetrag nicht nutzen könne, weil das Einkommen niedriger sei, erhalte durch die Kindergelderhöhung nur 180 Euro. Bei Familien, die auf Hartz IV angewiesen sind, komme die Erhöhung gar nicht an, weil das Kindergeld mit den Sozialleistungen verrechnet werde.
Cezanne sprach sich für eine Kindergrundsicherung aus, um das „ungerechte Nebeneinander“ von Kindergeld, Kinderfreibetrag und Hartz-IV-Leistungzu beenden. Für die Einführung einer Kindergrundsicherung hatte sich auch Schrodi ausgesprochen.
Grüne: Kindergrundsicherung einführen
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) griff dieses Thema ebenfalls auf und nannte es eine Entlastung von Menschen, die es gar nicht nötig haben.
Eine weitere Schieflage sei, dass die Kindergelderhöhung bei Hartz-IV-Beziehern wegen der Anrechnung gar nicht ankomme. Auch Strengmann-Kuhn verlangte die Einführung einer Kindergrundsicherung.
Abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion setzte sich in ihrem abgelehnten Antrag (19/18947) für eine steuerliche Entlastung von Menschen mit Behinderung ein. Sie forderte die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs auf, mit dem der Pauschbetrag auch Menschen mit Behinderungen gewährt werden soll, deren Grad der Behinderung auf mindestens 25 festgestellt ist. Außerdem sollte der steuerliche Pauschbetrag deutlich angehoben werden. Er sei seit 1975 nicht mehr erhöht worden, obwohl sich die Preise für medizinische Erzeugnisse, Geräte und Ausrüstungen seit Beginn der neunziger Jahre mehr als verdoppelt hätten.
In Anbetracht der vor 25 Jahren vorgenommenen Ergänzung des Grundgesetzes („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“) seien die Einschränkungen für Menschen mit einem Grad der Behinderung zwischen 25 und 45 diskriminierend und daher aufzuheben, so die Fraktion.
Überwiesener Antrag der FDP
Die FDP fordert in ihrem an die Ausschüsse überwiesenen Antrag (19/23693) die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes mit einer spürbaren Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen ab dem 1. Januar 2021 vorzulegen.
Darüber hinaus solle die Regierung eine Finanzplanung präsentieren, in der bis 2024 in mehreren Etappen die vollständige Abschaffung der aus Sicht der FDP starken Steuerprogression für kleine und mittlere Einkommen („vollständige Abschaffung des Mittelstandsbauchs“) unter Einhaltung der Schuldenbremse vorgezeichnet und gegenfinanziert wird. (hle/hau/hau/29.10.2020)