Streit um Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite
Die jüngsten Erfolge bei der Eindämmung des neuen Coronavirus in Deutschland lassen Forderungen nach einer Abkehr von den Restriktionen lauter werden. Die Fraktionen der AfD und FDP sprachen sich am Donnerstag, 18. Juni 2020, dafür aus, die vom Bundestag am 25. März getroffene Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufzuheben. CDU/CSU und SPD sowie die Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wandten sich dagegen und warnten davor, die Corona-Krise als beendet zu betrachten.
In der Aussprache ging es konkret um zwei Vorlagen der FDP-Fraktion, über die erstmals beraten wurde. Die FDP will die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag aufheben, ohne dass zugleich die in der Folge erlassenen Rechtsverordnungen und Anordnungen außer Kraft treten. Zu den weiterhin erforderlichen Regelungen zähle etwa die Unterstützung von medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen, heißt es in einem Gesetzentwurf der Fraktion „zur Weitergeltung von Rechtsverordnungen und Anordnungen aus der epidemischen Lage von nationaler Tragweite angesichts der Covid-19-Pandemie“ (Covid-19-Rechtsverordnungsweitergeltungsgesetz, 19/20042).
Die Abgeordneten schlagen vor, den Passus im Gesetz, wonach die Rechtsverordnungen und Anordnungen mit Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ebenfalls außer Kraft treten, befristet bis zum 30. September zu streichen. Die Rechtsverordnungen und Anordnungen blieben bis dahin in Kraft, sofern sie nicht vom Bundesgesundheitsminister aufgehoben würden. In einem separaten Antrag (19/20046) fordert die FDP die Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Statt einer dynamischen Entwicklung gebe es ein tendenziell abnehmendes Infektionsgeschehen, heißt es zur Begründung in dem Antrag. Beide Vorlagen wurden im Anschluss zur federführenden Beratung an den Gesundheitsausschuss überwiesen.
FDP: Gesundheit der Bevölkerung hat Priorität
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) sagte, die Gesundheit der Bevölkerung habe weiterhin Priorität, allerdings habe sich die Gesamtlage inzwischen verändert. Eine zentrale Steuerung auf Bundesebene sei nicht mehr nötig, die Länder könnten die Krise auch bewältigen. Von einer Überforderung des öffentlichen Gesundheitswesens könne keine Rede mehr sein und damit auch nicht von einer epidemischen Notlage. Die Zahl der Infektionen sei gering, es gebe ausreichend viele Intensivbetten und Schutzausrüstung.
Die FDP-Politikerin betonte: „Corona ist nicht besiegt, aber es ist beherrschbar geworden.“ Gleichwohl sollten nicht alle Beschränkungen fallen. So müssten die Vorgaben an Hygiene und Abstand weiter eingehalten werden. Aber Sonderrechte für die Bundesregierung seien nicht mehr nötig. Parlamentsrechte gälten unabhängig vom Notstand und müssten wieder dorthin zurück.
AfD: Verfehltes Krisenmanagement der Bundesregierung
Nach Ansicht der AfD-Fraktion war das Krisenmanagement der Bundesregierung verfehlt und für die Bevölkerung eine vermeidbare Zumutung. Dr. Robby Schlund (AfD) erinnerte daran, dass seine Fraktion schon Anfang Mai die Aufhebung der epidemischen Lage gefordert habe. Schlund sagte, es wäre besser gewesen, auf den Shutdown zu verzichten und ein gestuftes pandemisches Rastermanagement zu verwenden.
Die Sorgen vor einer möglichen zweiten Infektionswelle nannte der AfD-Politiker „Unfug“. Seuchen gehörten zur Menschheitsgeschichte, die Bevölkerung dürfe nicht verunsichert und zermürbt werden. „Sie haben den negativen Stress erhöht und damit das Immunsystem der Menschen geschwächt.“ Der Bevölkerung sei die Möglichkeit genommen worden, ihr Leben mit Freude und Energie zu führen. Einen solchen planlosen Lockdown dürfe es nie wieder geben. Wegen des Missmanagements sei ein Corona-Untersuchungsausschuss nötig.
CDU/CSU: Infektionslage wird noch nicht beherrscht
Rudolf Henke (CDU/CSU) wertete die Initiative der FDP als konstruktiv, weil deutlich werde, dass mit der Aufhebung der epidemischen Lage bestimmte Rechtsprobleme entstünden. Eine Diskussion darüber sei sinnvoll. Die FDP mache es sich aber zu einfach, weil nur der gute Teil der Lage geschildert werde, aber nicht die Unsicherheiten, die weiter bestünden. Als Beispiel nannte Henke den jüngsten Corona-Ausbruch in einer Fleischfabrik in Nordrhein-Westfalen. Dort müssten 7.000 Menschen in Quarantäne gehen.
Der Fall zeige, dass die Infektionslage noch nicht beherrscht werde. „Wir sind mittendrin in dieser Pandemie.“ Sinnvoll sei weiterhin eine nationale Strategie, daher hätten sich Bund und Länder jüngst wieder auf viele Punkte verständigt. Henke betonte: „Für eine Aufhebung der pandemischen Lage ist es jetzt zu früh.“
SPD: Feststellung epidemischer Lage jetzt nicht aufheben
Zur Vorsicht mahnte auch Sabine Dittmar (SPD), die zugleich daran erinnerte, wie wichtig zu Beginn der Krise ein schnelles und effizientes Handeln gewesen sei. Inzwischen gebe es einen aktuellen Überblick über die verfügbaren Intensivbetten. Arzneimittel und Medizinprodukte würden besser gesteuert, es werde vermehrt getestet. Dies alles habe dazu beigetragen, dass Deutschland bislang gut durch die Krise gekommen sei.
Dittmar räumte ein, dass mit den Verordnungsermächtigungen ein Ausnahmezustand bestehe und die Grundrechte eingeschränkt würden. Es sei daher wichtig, dass der Bundestag über die epidemische Lage und deren Aufhebung befinde. Der Ausnahmezustand werde nicht länger als nötig aufrechterhalten. Gleichwohl wäre es jetzt unverantwortlich, die epidemische Lage aufzuheben. Die aktuellen regionalen Ausbrüche zeigten, wie hochinfektiös und gefährlich das Virus sei. Niemand wisse zudem, wie sich die Lockerungen auswirkten. Aus einem regionalen Hotspot könne ein landesweites Problem werden. Wenn jetzt das Signal zur Entwarnung gegeben werde, könne das fatale Folgen haben.
Linke wirft FDP Populismus vor
Harald Weinberg (Die Linke) sagte, eine Abwägung zwischen Eingriffen in Grundrechte und Gesundheitsschutz sei immer wieder notwendig. Auch er rechtfertigte die zu Beginn der Pandemie verfügten Einschränkungen als notwendige Antwort auf die sprunghaft ansteigenden Infektionszahlen. „Es war wichtig, die Kurve flach zu halten, also entschlossen zu reagieren.“
Der FDP warf er „Geschmeidigkeit und Populismus“ in der Gesundheitskrise vor, die Initiativen der FDP hätten daher einen schalen Beigeschmack. Grundsätzlich sei es jedoch richtig, den Ausnahmezustand mit Sonderrechten für die Bundesregierung so bald wie möglich aufzuheben. Seine Fraktion wolle die Vorlagen der FDP daher wohlwollend prüfen.
Grüne: FDP-Mut gegen alle Vernunft
Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) sprach mit Blick auf die FDP-Vorlagen von „Mut gegen alle Vernunft“. Die Initiative komme zu einem Zeitpunkt, wo Infektionszahlen regional wieder stiegen, sagte sie in Anspielung auf die betroffene Fleischerei in Nordrhein-Westfalen. Auch größere Ausbrüche seien denkbar. Auf solche Fälle müsse schnell reagiert werden, dies sei kaum möglich, wenn die epidemische Lage für beendet erklärt werde. „Das Virus ist da, es verlangt Augenmaß und Umsicht.“
Die FDP setze ein trügerisches Signal, wonach die Pandemie bereits zu Ende sei. „Wir sind nicht am Ende der Krise, wir sind mitten drin.“ Ihre Fraktion sei bereit zu Verhandlungen über den richtigen Weg zwischen Flexibilität und Reaktionsfähigkeit. Was die Bedingungen zur Aufhebung der epidemischen Lage betreffe, sei ein Pandemierat aus Experten sinnvoll. Zugleich müssten dringend die Sorgen der Familien und Kinder in der Krise stärker in den Blick genommen werden. (pk/18.06.2020)