Auf ein unterschiedliches Echo der Sachverständigen traf ein Gesetzentwurf des Bundesrates zum besseren Schutz der Symbole der Europäischen Union und ausländischer Flaggen (19/14378). Während die meisten Experten in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses unter Leitung von Prof. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) am Mittwoch, 12. Februar 2020, eine Schutzwürdigkeit bejahten, aber durchaus auch Nachbesserungsbedarf sahen, äußerten mehrere Sachverständige erhebliche Bedenken gegen die Vorlage.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Der Gesetzentwurf sieht im Strafgesetzbuch (StGB) die Einführung eines Paragrafen 90c vor, der die Verunglimpfung der Flagge der EU und ihrer Symbole unter Strafe stellt. Der Strafrahmen der neuen Vorschrift soll sich an Paragraf 90a orientieren und bei Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe liegen. Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der EU für die Bundesrepublik bestehe gesetzgeberischer Handlungsbedarf, heißt es in dem Entwurf.
Gegenstand der Anhörung war auch ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zu dem Gesetzentwurf, nach dem auch ausländische Flaggen durch Änderungen des Paragrafen 104 besser geschützt werden sollen. Bestraft werden soll demnach, wer öffentlich die Flagge eines ausländischen Staates zerstört oder beschädigt.
„Verbrennen ausländischer Flagge bisher nicht erfasst“
Prof. Dr. Jörg Eisele von der Eberhard-Karls-Universität Tübingen erklärte, hinsichtlich der Verunglimpfung der Flagge und der Hymne der EU besteht eine Schutzlücke, da Paragraf 104 nur Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten, nicht aber der EU schütze. Sie werde auch nicht über die Vorschrift des Paragrafen 90a erfasst, der nur die Bundesrepublik Deutschland und seine Symbole schütze.
Das Verbrennen einer Flagge eines ausländischen Staates im Rahmen von Kundgebungen werde bislang nicht erfasst. Eisele machte wie auch weitere Sachverständige eine Reihe von Änderungsvorschlägen.
„Auf tatsächlich strafwürdige Fälle begrenzen“
Prof. Dr. Martin Heger von der Humboldt-Universität zu Berlin erklärte, der vorgeschlagene Paragraf 90c erscheine ihm nicht problematisch, wenngleich das praktische Bedürfnis nicht allzu groß sein dürfte. Auch die vorgeschlagene Einfügung in Paragraf 104 lasse sich durchaus rechtfertigen.
Er schlug unter anderem vor, die Erfassung auch ähnlicher Flaggen klarzustellen und Tathandlungen auf tatsächlich strafwürdige Fälle zu begrenzen.
„Anwendungsbereich des Ordnungswidrigkeitengesetzes“
Prof. Dr. Diethelm Klesczewski von der Universität Leipzig sprach sich wie auch die Berliner Rechtsanwältin Nadja Samour gegen den Gesetzentwurf aus. Klesczewski bestätigte zwar wie seine Vorredner die Schutzwürdigkeit der EU-Symbole, sieht hier aber eine Ausweitung des Strafrechts als nicht notwendig an.
Es handele sich bei Verunglimpfungen um den typischen Anwendungsbereich des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG). So könnte der Paragraf 124 des OWiG ergänzt werden. Dies treffe sowohl auf die Vorschläge zu Paragraf 90 als auch zu Paragraf 104 zu.
„Grundrechtsschutz wird gefährdet“
Samour sagte, der Gesetzesentwurf sei abzulehnen, weil damit dem Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts nicht Genüge getan werde. Gleichzeitig werde der Grundrechtsschutz gefährdet. Es möge zwar sein, dass mit der Einführung von Paragraf 90c der Verrohung des politischen Diskurses entgegnet werden könnte.
Andererseits sei davor zu warnen, dass illiberalen Kräften Instrumente zur Hand gereicht werden, mit denen sie politische Gegner verfolgen könnten. Das zu schützende Rechtsgut müsse demnach mit widerstreitenden Grundrechten wie der Meinungsäußerungs-, der Kunst- oder der Versammlungsfreiheit im Einzelfall abgewogen werden.
„Androhung von Geldbußen hat abschreckender Wirkung“
Universitätsprofessor i. R. Dr. Thomas Weigend von der Universität zu Köln sprach sich ebenfalls für eine Regelung als Ordnungswidrigkeit aus. Legitimer Kern der angestrebten Gesetzesänderung sei der Wunsch, gegen das Zerstören und Beschädigen sowie andere beschimpfende Behandlungen der Europaflagge in der Öffentlichkeit rechtlich vorgehen zu können.
Bei einer Einstufung als Ordnungswidrigkeiten könnte die Polizei zur Verhinderung der Taten präventiv eingreifen, und die gesetzliche Androhung von Geldbußen hätte abschreckende Wirkung.
„Nach geltender Gesetzeslage besteht eine Strafbarkeitslücke“
Einhellig begrüßt wurde der Entwurf von den beiden eingeladenen Vertretern der Anklagebehörde. Oberstaatsanwalt Andreas Franck von der Staatsanwaltschaft München I erklärte, die gegenwärtige Gesetzeslage weise einen Wertungswiderspruch auf.
Während die Symbole der Bundesrepublik Deutschland und ausländischer Staaten strafrechtlich geschützt seien, gelte dies nicht für Symbole der EU. Auch gemessen am Schutzzweck von Paragraf 104 bestehe nach geltender Gesetzeslage eine Strafbarkeitslücke.
„Strafrechtlicher Schutz der EU-Symbole gerechtfertigt“
Auch Kai Lohse, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, hatte keine Einwände gegen den Entwurf. Der strafrechtliche Schutz der Symbole der EU sei gerechtfertigt. Eine hinreichende Beachtung der Grundrechte im Einzelfall sei sichergestellt.
Absehbar werde dies vielfach im Ergebnis zur Straffreiheit führen. Bezüglich Paragraf 104 erklärte Lohse, eine Strafandrohung sei auch mit Blick auf die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes gerechtfertigt. (mwo/12.02.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Jörg Eisele, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Straf- und Strafprozessrecht, Wirtschaftsrecht und Computerstrafrecht
- Andreas Franck, Staatsanwaltschaft München I, Leiter der Abteilung I (politische Strafsachen), Oberstaatsanwalt
- Prof. Dr. Martin Heger, Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte
- Prof. Dr. Diethelm Klesczewski, Universität Leipzig, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Rechtsphilosophie
- Kai Lohse, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe
- Nadija Samour, LL.M. (Galway), Rechtsanwältin, Berlin
- Univ.-Prof. i. R. Dr. Thomas Weigend, Universität zu Köln