Zeit:
Mittwoch, 7. Oktober 2020,
14
bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus, Sitzungssaal 1.228
Vor 30 Jahren schaffte der Bundestag das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz ab. Ob dieses Fördersystem für den sozialen Wohnungsbau in neuer Form wiederbelebt werden soll, darüber haben Experten ganz unterschiedliche Ansichten vertreten. „Neue Wohngemeinnützigkeit“ lautete das Thema bei der Anhörung des Ausschusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Grundlage der Sitzung unter Leitung von Mechthild Heil (CDU/CSU) waren am Mittwoch, 7. Oktober 2020, ein Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen (19/17307) und ein Antrag der Fraktion Die Linke (19/17771 neu).
„Eine Frage von Marktwirtschaft oder Sozialismus“
Prof. Dr. Ramón Sotelo (Bauhaus-Universität Weimar) hielt die von den beiden Fraktionen angestrebten wohnungspolitischen Instrumente für teilweise kontraproduktiv und auf jeden Fall ineffektiv und ineffizient zur Erreichung legitimer wohnungspolitischer Ziele. Der Begriff des „bezahlbaren Wohnens“ halte einer ökonomischen Analyse nicht stand. Die Mieten seien nicht unbezahlbar, sondern so hoch, weil sie momentan in dieser Höhe bezahlt werden könnten. Er sprach von einer gravierenden und folgenschweren Verwechslung der Kategorien von Angebot und Nachfrage. Für ihn ist die Thematik eine Frage von Marktwirtschaft oder Sozialismus.
Dr. Josef Ostermayer, Generaldirektor Sozialbau AG, präsentierte das österreichische System der Wohnungsgemeinnützigkeit. Es sei sehr wirksam, funktioniere gut, diene der Wohnungsversorgung breiter Bevölkerungsgruppen und trage gemeinsam mit dem kommunalen Wohnungsbau zur Dämpfung des Wohnungsmarktes bei. Bestandteil sei ein Eigenmittelkreislauf, der auch zu einer regelmäßigen Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestandes führe.
„Wohngemeinnützigkeit mit erheblichen Nachteilen verbunden“
Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, hob als Besonderheit des deutschen Mietwohnungsmarktes hervor, dass er qualitativ sehr hochwertig sei und allen Einkommensschichten zur Verfügung stehe – und nicht wie in vielen anderen europäischen Ländern nur ein Angebot für wirtschaftlich Schwächere darstelle. Die Einführung einer neuen gesetzlichen Wohngemeinnützigkeit würde nach seiner Darstellung erhebliche Nachteile mit sich bringen.
Stefanie Frensch erklärte, der Zentrale Immobilien-Ausschuss teile die Einschätzung, dass vor allem in den angespannten Mietmärkten in den Metropolen deutlich mehr günstiger Wohnraum geschaffen werden müsse. Die Immobilienwirtschaft stehe dabei als starker Partner gerne bereit und wisse um ihre soziale Verantwortung. Trotzdem sei die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit nicht der richtige Weg. Auf kommunaler Ebene solle mehr Bauland für den Wohnungsneubau ausgewiesen werden.
„Regelungsbedarf ist offensichtlich“
Franz Michel vom Deutschen Mieterbund befand, vor dem Hintergrund der sich immer weiter zuspitzenden Wohnungskrise seien dringend Reformen notwendig, die dafür Sorge trügen, dass bezahlbarer Wohnraum wieder in ausreichendem Maße zur Verfügung stehe. Die bisherigen Instrumente seien offensichtlich ineffektiv oder nicht entsprechend ausgestattet, um die steigende Nachfrage zu decken. Ein Regelungsbedarf sei offensichtlich. Bundesgesetzliche Regelungen für die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit und eine entsprechende Rahmensetzung über Steuerbefreiungen, Steuergutschriften und Zuschüsse nannte er als wichtige Bausteine.
Hilmar von Lojewski wandte sich namens der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände gegen die Vorhaben der beiden Fraktionen. Sie lösten nicht das Problem des fehlenden Baulands. Zudem seien alle Anbieter, die moderate Mietpreise aufriefen und nicht grundsätzlich renditemaximierend wirtschafteten, wichtige und willkommene Akteure am Wohnungsmarkt. Das gelte auch für kommunale Wohnungsunternehmen. Auch sei es nachteilig, dass die beabsichtigte Beschränkung für gemeinnützige Wohnbauunternehmen, Wohnungen künftig nur an Personen zu vermieten, die unter einer festzulegenden Einkommensgrenze liegen, die Gefahr berge, dass monostrukturierte Quartiere und „stigmatisierte“ Wohnsiedlungen entstünden.
„Bedarf wird nicht durch den Markt gedeckt“
Dr. Ulrike Hamann (Wohnraumversorgung Berlin) stellte fest, dass der Bedarf an leistbaren Wohnungen derzeit nicht durch den Markt gedeckt werde. Das gelte insbesondere für Haushalte mit unteren Einkommen. Auch die Mietpreise der kommunalen Wohnungsunternehmen würden diesem Bedarf nicht gerecht. Nach ihrer Ansicht würde hier die Wohngemeinnützigkeit einen wesentlichen Wandel herbeiführen. Sie begrüßte grundsätzlich beide Vorhaben und schlug vor, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen durch Elemente des Antrags der Fraktion Die Linke zu erweitern.
Jan Kuhnert (Kommunal- und Unternehmensberatung) erinnerte daran, dass er 1988 als Sachverständiger angehört wurde, als es um die Abschaffung des Wohngemeinnützigkeitsgesetzes ging. Er habe sich vergebens für eine Reform statt der Abschaffung stark gemacht. Zwar habe das alte Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht einige Schwächen gehabt. Die Vorschläge der beiden Fraktionen bemühten sich, teils unterschiedlich, diese Schwächen nun zu vermeiden. Besonders wichtig sei, dass Mietpreisbindung und Belegungsbindung dauerhaft angelegt seien und nicht etwa auf 30 Jahre begrenzt würden.
Gesetzentwurf der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat ihre Idee einer neuen Wohngemeinnützigkeit mit einem eigenen Gesetzentwurf untermauert. Er solle dazu beitragen, dass Menschen unabhängig von Geldbeutel und Herkunft gleich gute Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben, heißt es in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur neuen Wohngemeinnützigkeit (19/17307). „Gutes Wohnen muss bezahlbar bleiben“, fordert die Fraktion. Eine Wiederauflage der Wohnungsgemeinnützigkeit sei ein Baustein dafür.
Hinter dem Instrument stehe das Prinzip: öffentliches Geld für öffentliche Güter. Konkret schlagen die Abgeordneten vor, dass Wohnungsunternehmen, die gemeinnützig handeln, Steuerbefreiungen in Bezug auf die Körperschaft-, Gewerbe-, Grund- und Grunderwerbsteuer erhalten. Die Umsatzsteuer soll gesenkt werden. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen sollen weiter befugt werden, eine Eigenkapitalrendite von 3,5 Prozent zu erwirtschaften. Gefördert werden dabei sämtliche immobilienwirtschaftlichen Möglichkeiten von Neubau über Vermietung bis hin zum Kauf von Belegungsrechten.
Die Wohnungen dürften dabei nur an Menschen vermietet werden, deren Einkommen unterhalb bestimmter Grenzen liegt und die Wohnungen müssten in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten liegen. Flankierend fordern die Abgeordneten ein Investitionsprogramm zum Bau neuer, günstiger Wohnungen. Finanziert werden soll es maßgeblich mit Bundesmitteln, und zwar in Höhe von drei Milliarden Euro jährlich.
Antrag der Linken
Die Linksfraktion drängt die Bundesregierung zur Wiedereinführung einer Wohnungsgemeinnützigkeit. In Absprache mit Ländern und Kommunen solle der Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, fordern die Abgeordneten in ihrem Antrag (19/17771 neu). Grundsatz müsse sein, dass ein Unternehmen als gemeinnützig gilt, wenn es vorrangig und dauerhaft an mittlere und niedrige Einkommen sowie besondere Bedarfsgruppen vermietet, sich auf wohnungswirtschaftliche Aktivitäten beschränkt und die Rendite auf maximal vier Prozent jährlich begrenzt.
Darüber hinausgehende Überschüsse sollten zweckgebunden reinvestiert werden oder in einen Förderfonds für weitere gemeinnützige Bauvorhaben einfließen. Die Unternehmen müssten auf den Handel mit Wohnungen oder Unternehmensbeteiligungen sowie auf Bau, Umwandlung und den Verkauf von Eigentumswohnungen verzichten. Im Gegenzug erhalten solche Firmen nach Vorstellung der Linksfraktion Steuererleichterungen, einen exklusiven Zugang zu Fördermitteln des Bundes für den sozialen Wohnungsbau und zur Vergabe bundeseigener Grundstücke und Liegenschaften. Einen Missbrauch der besonderen Unternehmensform wollen die Abgeordneten durch ein vierstufiges Kontrollverfahren ausschließen.
Weiter fordern die Abgeordneten von der Bundesregierung ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach dem Vorbild Wiens. Über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren sollten jährlich zehn Milliarden Euro in den Aufbau eines gemeinnützigen Sektors in der Wohnungswirtschaft fließen. (fla/pez/07.10.2020)