Der Bundestag hat am Freitag, 31. Januar 2020, einer Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Verkehrsinfrastrukturprojekten zugestimmt. Nach einstündiger Debatte nahm er sowohl den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Vorbereitung der Schaffung von Baurecht durch Maßnahmengesetz im Verkehrsbereich“ (Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz, 19/15619, 19/16405, 19/16578 Nr. 1.12) als auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich“ (19/15626, 19/16403, 19/16578 Nr. 1.10) jeweils in der vom Verkehrsausschuss geänderten Fassung (19/16907) an.
Dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz stimmten CDU/CSU, die große Mehrheit der SPD-Fraktion, AfD und FDP zu. Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und einige SPD-Abgeordnete lehnten es ab. Einem Entschließungsantrag der AfD-Fraktion (19/16911) zu diesem Gesetzentwurf stimmten lediglich die Antragsteller zu, alle übrigen Fraktionen lehnten ihn ab. Einen Entschließungsantrag der Grünen (19/16912) zum Gesetzentwurf stimmte auch Die Linke zu, während die übrigen Fraktionen dagegen votierten.
Dem Gesetzentwurf zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich stimmten alle Fraktionen mit Ausnahme der Linken zu, die sich enthielt. Die Linke war zuvor in zweiter Beratung mit einem Änderungsantrag (19/16913) zu dem Gesetzentwurf gescheitert. Die Grünen hatten sich enthalten, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab.
Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz
Mit dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz wird für zwölf Verkehrsinfrastrukturprojekte ermöglicht, die Genehmigung per Gesetz statt über einen Verwaltungsakt zu erteilen. Betroffen davon sind sieben Schienenbau- und fünf Wasserstraßenbauprojekte. Dazu gehört unter anderen der Ausbau der Eisenbahnstrecke von München über Mühldorf nach Freilassing sowie die Abladeoptimierung der Fahrrinnen des Mittelrheins.
Ziel des Gesetzes ist die Steigerung der Akzeptanz in der Bevölkerung für die darin genannten Vorhaben und ihre beschleunigte Realisierung. Diese Beschleunigung sei auch vor dem Hintergrund wichtig, „dass das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung umfangreiche Maßnahmen zur Verlagerung des Verkehrs auf umweltfreundliche Verkehrsträger vorsieht“, heißt es im Gesetzentwurf der Vorlage. Durch das Gesetz werden die Festlegungen für das Verfahren bis zum Erlass der Maßnahmengesetze für die genannten zwölf Verkehrsinfrastrukturprojekte und deren Bekanntgabe sowie die behördlichen Zuständigkeiten getroffen.
„Zulassung in Einzelfällen und in engen Grenzen zulässig“
Die Zulassung durch ein Maßnahmengesetz sei in Einzelfällen und in engen Grenzen zulässig, schreibt die Bundesregierung und verweist auf ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur „Südumfahrung Stendal“. Soweit das Maßnahmengesetz eine enteignungsrechtliche Vorwirkung anordnet, bedürfe es einer Rechtfertigung für die Zulassung in Gesetzesform, heißt es weiter.
Grundrechtlich relevant sei auch die mit einem planfeststellenden Gesetz verbundene „Minderung des gerichtlichen Rechtsschutzes“. Erfolge die Zulassung durch Gesetz, „ist der verwaltungsgerichtliche Rechtsweg, der gegenüber behördlichen Planfeststellungsbeschlüssen eröffnet ist, ausgeschlossen“.
Abgelehnte Entschließungsanträge von AfD und Grünen
Die AfD hatte in ihrem in dritter Beratung abgelehnten Entschließungsantrag (19/16911) zum Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz gefordert, das Projekt „Ausbaustrecke Niebüll – Klanxbüll – Westerland (Marschbahn)“ in die Liste der Verkehrsinfrastrukturprojekte aufzunehmen. Zur Begründung hieß es, dass die Marschbahn zwischen Hamburg und Sylt das Rückgrat der gesamten Westküstenverbindung in Schleswig-Holstein sei.
Die Grünen hatten in ihrem abgelehnten Entschließungsantrag (19/16912) verlangt, dass keine neue Rechtsunsicherheit bei der Planung und Genehmigung von Verkehrsinfrastrukturprojekten erzeugt werden sollte. Effektiver Rechtsschutz, wie ihn die Aarhus-Konvention vorsehe, sei zu gewährleisten, damit europäische Rechtsschutzstandards eingehalten werden. Die Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit seien zu stärken und Standards zu definieren, die eine frühestmögliche, echte Beteiligung in Form von Konsultationen im Rahmen der Projektplanung garantieren.
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren
Das Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich enthält Regelungen, die die Verfahren für Ersatzneubauten bei Straße und Schiene verschlanken sollen.
Durch die Entlastung der Kommunen von Finanzierungsbeiträgen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz sollen zudem Investitionen in das Schienennetz beschleunigt werden.
Abgelehnter Änderungsantrag der Linken
Die Linke wollte mit ihrem in zweiter Beratung abgelehnten Änderungsantrag (19/16913) einen neuen Passus in das Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich aufnehmen.
Danach sollten es Anlieger nach vorheriger Ankündigung dulden müssen, dass Beauftragte des Eisenbahninfrastrukturbetreibers ihre Grundstücke betreten oder vorübergehend benutzen, wenn es zur Instandhaltung oder Erneuerung einer Eisenbahnanlage erforderlich ist und alternative Zugänge nachweislich nicht möglich sind.
Minister: Geld allein reicht nicht
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte zu Beginn der Debatte, in den Haushaltsplanungen, den Vereinbarungen mit der Bahn, aber auch den in dieser Woche verabschiedeten Gesetzen sei viel Geld für die Schiene und den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bereitgestellt worden. Aber: „Geld allein reicht nicht.“ Es brauche auch eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren, die mit den Gesetzen erreicht werde, sagte der Minister.
Es dürfe künftig nicht mehr so sein, „dass der größte Kampf des Bundesverkehrsministeriums darin besteht, dass das Geld abgerufen wird, weil die Bauprojekte vor Ort kein Baurecht bekommen“. Mit den Maßnahmengesetzen, so zeigte sich Scheuer überzeugt, könne man bei der Planung eine Beschleunigung erzielen, „ohne dass die erforderlichen Umweltprüfungen und die Bürgerbeteiligung irgendwo eingeschränkt werden“.
AfD rechnet mit neuen Rechtsunsicherheiten
Aus Sicht der AfD-Fraktion ist der Weg über Maßnahmengesetze, „also über Projekte, die der Bundestag per Gesetz verabschiedet“, der richtige, um das Flaschenhalsproblem der zu langen Planungs- und Genehmigungsverfahren anzugehen, sagte Leif-Erik Holm (AfD). Allerdings sei seine Fraktion mit der Ausgestaltung nicht zufrieden. Zu befürchten sei zum einen, dass die Beschleunigungswirkung nicht sehr groß sein werde. Außerdem sei mit neuen Rechtsunsicherheiten zu rechnen.
„Eine Straffung der Einspruchswege reicht nicht aus“, sagte Holm. Gleichzeitig müsse die Bürgerbeteiligung an der Ausgestaltung des Projektes gestärkt werden. Klagepunkte müssten frühzeitig ausgeräumt werden. „Das führt dann tatsächlich zu mehr Akzeptanz“, sagte der AfD-Abgeordnete.
SPD: Wir packen Schritt für Schritt an
Die Ursachen für lange Planungszeiten seien vielschichtig und komplex, sagte Mathias Stein (SPD). Sie reichten vom Personalmangel bei Bau- und Planungsbehörden über „immer neue Normen und Regeln“ bis hin zu Rechtsstreitigkeiten mit Bauunternehmen über Nachträge. Dazu gehörten aber auch Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten, sagte Stein. „Wir packen hier Schritt für Schritt an“, so der SPD-Abgeordnete. Ersatzbauten dürften weitgehend ohne Genehmigungen erbaut werden. Auch würden die Kommunen bei höhengleichen Eisenbahnkreuzungen von den finanziellen Belastungen befreit. Dazu kämen noch die Maßnahmengesetze für 14 Projekte.
„Wir Abgeordneten übernehmen damit eine ganz besondere Verantwortung“, sagte Stein. Er zeigte sich auch überzeugt davon, dass die geschaffene frühe und intensivere Bürgerbeteiligung nicht zu einer Verteuerung der Projekte führen werde. „Wir werden das am Ende einsparen durch weniger Klagen, weniger Planergänzungen und eine schnellere Realisierung“, sagte Stein.
FDP: Beim Straßenbau den Turbo einschalten
Torsten Herbst (FDP) erinnerte an Zeiten, „da war Deutschland absoluter Innovationspionier im Verkehrsbereich“. Derzeit habe man aber größte Mühe, Straßen und Schienenwege zu bauen. „Wir sind kein Vorbild mehr und erregen eher Mitleid“, sagte er. Das müsse sich ändern. Die Gesetzentwürfe seien dazu „kleine Schritte in die richtige Richtung“, so der FDP-Abgeordnete.
Es fehle aber eine Stichtagsregelung für Einwendungen, damit das Verfahren nicht immer wieder aufgemacht werden muss. Gebraucht würden außerdem schlankere Genehmigungsverfahren mit der Vermeidung von Umweltdoppelprüfungen und eine Pflicht der Mitwirkung von Umweltverbänden. Zudem, so Herbst, müsse auch beim Straßenbau „der Turbo angeschaltet werden“.
Linke: Finanzschwache Kommunen entschulden
Um wirklich schneller Planen und Bauen zu können, braucht es aus Sicht von Jörg Cezanne (Die Linke) personell und finanziell so ausgestattete Planungsämter, „damit sie ihre Aufgaben auch erfüllen können“. Zudem müssten finanzschwache Kommunen entschuldet werden. Des Weiteren müsse aus dem Bundesverkehrswegeplan eine Netzplanung erarbeitet werden, in deren Mittelpunkt die Verlagerung des Straßenverkehrs auf die umweltschonenden Verkehrsträger steht. „Mit den vorliegenden Gesetzen wird all das nicht erreicht“, resümierte er.
Stattdessen solle der Bundestag nun selber Baurecht schaffen, der Verkehrsausschuss also zur Planungsbehörde werden. Dieses Verfahren habe aber bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit ebenfalls nicht geklappt. Positiv bewertete Cezanne die geplante frühe Öffentlichkeitsbeteiligung. Allerdings bleibe es im Gesetz bei einer Absichtserklärung. Entscheidend werde aber sein, dass in den vorbereitenden Verfahren „nicht nur beraten wird, wie gebaut werden soll, sondern auch, ob das überhaupt eine sinnvolle Maßnahme ist“, sagte er.
Grüne: Neuer Wein in alten Schläuchen
Stephan Kühn (Bündnis 90/Die Grünen) sieht in dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz „neuen Wein in alten Schläuchen“, der die Vorhaben nicht beschleunigen werde. Es gehe bei der Verlagerung der Entscheidungen auf den Bundestag lediglich darum, „den Rechtsschutz der Bürger und von Umweltverbänden einzuschränken“, befand er. Gegen ein per Gesetz bewirktes Projekt könne lediglich Verfassungsbeschwerde eingelegt werden.
„Das ist ein eklatanter Verstoß gegen europäisches Recht und gegen die Aarhus-Konvention, die den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheit sicherstellt“, sagte Kühn. Offenbar wolle Minister Scheuer ein zweites Mal vor dem Europäischen Gerichtshof scheitern. Zuspruch fand bei dem Grünen-Abgeordneten das Planungsbeschleunigungsgesetz. Hier seien erfreulicherweise mehrere Anregungen seiner Fraktion aufgenommen worden, sagte Kühn.
CDU/CSU: Mehr Personal für die zentralen Genehmigungsbehörden
Reinhold Sendker (CDU/CSU) ging auf die Kritik an zu wenig Personal in den Planungsbehörden ein. Blicke man auf den verabschiedeten Verkehrshaushalt für 2020, so sei zu erkennen, dass deutlich mehr Personal für die zentralen Genehmigungsbehörden vorgesehen ist. „Das ist ein Erfolg unserer Koalition“, sagte der Unionsabgeordnete.
Problemtisch sei aber, dass Projekte, die für das Gesamtnetz in Deutschland von hoher Bedeutung seien, zu langsam vorankämen. Diese auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Erreichung der Klimaziele wichtigen Projekte schneller realisieren zu können, sei das Ziel des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes, betonte Sendker.
Anträge der FDP und der Linken abgelehnt
Der Bundestag lehnte darüber hinaus einen Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel „Mehr Tempo bei der Infrastruktur – Planungsturbo jetzt“ (19/16040) sowie einen Antrag der Fraktion Die Linke „Planungskapazitäten ausbauen und Bürgerbeteiligung wirksamer machen und Aushöhlung durch Maßnahmengesetze verhindern“ (19/16042) ab. Auch dazu lag eine Beschlussempfehlung des Verkehrsausschusses vor (19/16907). Dem FDP-Antrag stimmte nur noch die AfD zu, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab. Den Antrag der Linken unterstützen auch die Grünen, während ihm die anderen Fraktionen die Zustimmung versagten.
Laut FDP-Antrag gehören die Planungsverfahren in Deutschland zu den bürokratischsten und längsten in der Welt. Es vergehe viel zu viel Zeit, bis die bereitgestellten Mittel auch tatsächlich investiert werden können, schreiben die Liberalen. Die Beschleunigung einiger weniger Projekte per Gesetz reiche nicht aus, um die Infrastruktur in Deutschland zu ertüchtigen und zu modernisieren. Zusätzlich müssten weitere Beschleunigungsmaßnahmen eingesetzt werden, um die Infrastruktur verkehrsträgerübergreifend voranzubringen.
Linke kritisiert eingeschränkte Klagemöglichkeiten
Die Linksfraktion lehnte in ihrem Antrag (19/16042) das Vorhaben der Bundesregierung ab, Baurecht im Verkehrsbereich durch Maßnahmengesetz zu schaffen. Sie wollte die Bundesregierung auffordern, ihren Entwurf eines Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes „umgehend zurückzuziehen und keine weiteren Initiativen zur Schaffung von Baurecht für einzelne Verkehrsinfrastrukturprojekte durch Gesetz zu ergreifen“.
Da Gesetze im Gegensatz zu behördlich verfügten Planungsentscheidungen effektiv nur vom Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof überprüft werden könnten, werde durch das Vorhaben der Regierung dem bewährten Rechtsbehelf, „nämlich dem Gang vor die verschiedenen Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit“, die Grundlage entzogen, hieß es in dem Antrag.
AfD will „echte Beteiligung der Öffentlichkeit“
Zur federführenden Beratung an den Verkehrsausschuss überwiesen wurde ein neuer Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Wirksame Maßnahmegesetze – Beschleunigung durch echte Beteiligung der Öffentlichkeit erzielen“ (19/16861). Die AfD kritisiert darin den Entwurf des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes der Bundesregierung (19/15619), in dem Klagen gegen Infrastrukturprojekte als ursächlich für die stark verzögerte Fertigstellung von Projekten und dadurch ausgelöste Kostensteigerungen identifiziert würden.
Verkannt werde dabei, „dass eine Verkürzung des Klagewegs die tieferen Ursachen nicht zu beseitigen vermag“, so die AfD. Hauptursächlich für eine Vielzahl von Klagen ist aus Sicht der AfD neben einer zu unbestimmten Gesetzgebung und Verwaltungsfehlern „die mangelnde Akzeptanz“. Die AfD fordert die Bundesregierung auf, Raumordnungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens beziehungsweise der Vorbereitungsverfahren für Maßnahmengesetze „so weit wie möglich zu integrieren, um redundante Doppelprüfungen und -strukturen zu beseitigen“. Zudem müsse mit der interessierten und betroffenen Öffentlichkeit „auf Augenhöhe“ kommuniziert und eine wirksame Beteiligung an der Planung von Infrastrukturvorhaben gewährleistet werden. (hau/eis/31.01.2020)