Gesundheits- und Wirtschaftsexperten sind mit der geplanten Anpassung des Medizinprodukterechts an EU-Vorgaben im Grundsatz einverstanden, warnen jedoch vor ausufernder Bürokratie und einer Überforderung hiesiger Firmen. Die Sachverständigen äußerten sich am Mittwoch, 15. Januar 2020, in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) sowie in schriftlichen Stellungnahmen. Gegenstand der Anhörung waren neben dem Entwurf der Bundesregierung für ein Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (19/15620) auch Änderungsanträge von CDU/CSU und SPD dazu sowie zwei Anträge der AfD-Fraktion (19/16057; 19/15070) und ein Antrag der FDP-Fraktion (19/16035) zu dem Thema.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Das sogenannte Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz dient vor allem der technischen Anpassung an EU-Verordnungen. Ziel der Reform ist nach Angaben der Bundesregierung die Gewährleistung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes für Medizinprodukte sowie hohe Standards für die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten. Die EU-Verordnung 2017 / 745 zu Medizinprodukten soll im Mai 2020 in Kraft treten, die EU-Verordnung 2017/746 zu In-vitro-Diagnostika im Mai 2022.
Mit der Novelle sollen zugleich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) auf Grundlage eigener Risikobewertung ermächtigt werden. Die Institute können alle erforderlichen Initiativen ergreifen, um Risiken, die durch ein Medizinprodukt entstehen könnten, auszuschließen. Sie können ein Produkt auf dem deutschen Markt untersagen, das Produkt zurückrufen oder vom Markt nehmen. Bislang fällt das in die Verantwortung der Länderbehörden.
Ferner wird auch die sogenannte Medicrime-Konvention mit Bezug auf die mögliche Fälschung von Medizinprodukten umgesetzt. Die enge Verbindung zwischen den Vertragspartnern soll dazu beitragen, gefälschte Arzneimittel und Medizinprodukte zu verhindern.
„Zusätzliche Bürokratielasten begrenzen“
Die Bundesärztekammer (BÄK) erklärte, die EU-Verordnungen brächten einen Zuwachs an Dokumentations-, Melde- und Anzeigepflichten. Die Umsetzung in nationales Recht sollte so gestaltet werden, dass die zusätzlichen Bürokratielasten, aber auch zusätzliche ärztliche Haftungsrisiken im Umgang mit Medizinprodukten, begrenzt bleiben.
Kritisch wertete die BÄK die Regelung, wonach Änderungen des Prüfplans, die vom Sponsor im Verfahren vorgenommen werden, um Beanstandungen auszuräumen, keiner erneuten Überprüfung durch die Ethikkommission bedürfen. Dies widerspreche internationalen Standards und sei abzulehnen.
Ethikkommissionen sollen einbezogen werden
Ähnlich kritisch äußerte sich dazu auch der Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen. Die Bundesregierung hat zwischenzeitlich signalisiert, in dem Punkt einem Kompromissvorschlag des Bundesrates zu folgen und die Ethikkommissionen einzubeziehen.
Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) äußerte sich besorgt darüber, dass die Kapazitäten der Benannten Stellen zur Zulassung von Medizinprodukten den Erfordernissen der erweiterten Prüfungen nach dem Inkrafttreten der EU-Medizinprodukteverordnung nicht entsprechen könnten.
„Gestaltungsmöglichkeiten werden nicht ausreichend genutzt“
Sehr positiv ist nach Einschätzung des AOK-Bundesverbandes die neue Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Die Kompetenz des BfArM werde deutlich erweitert. Bisher habe die Behörde lediglich die Risikobewertung vorgenommen und Empfehlungen an die Länderbehörden gegeben. Nun könne das Bundesinstitut selbst entsprechend der Risikobewertung nötige Initiativen festlegen, umsetzen und überwachen.
Gleichwohl würden die Gestaltungsmöglichkeiten mit der Reform nicht ausreichend genutzt, monierte die AOK. Insbesondere Vorgaben zum Eigentumsrecht der Patienten an Explantaten, zum Umgang mit produktidentifizierenden Informationen und zu Informationspflichten gegenüber Patienten, Krankenkassen oder der Öffentlichkeit sollten formuliert werden.
Herausforderungen für kleine und mittlere Unternehmen
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) warnten nachdrücklich vor einer möglichen Überforderung der Firmen in dieser Branche und forderten Unterstützung. Der DIHK erklärte, da der neue europäische Rechtsrahmen insbesondere die vielen kleinen und mittleren Unternehmen vor große Herausforderungen stelle, sollten zusätzliche nationale Anforderungen, die über den Regelungsinhalt der Verordnungen hinausgingen, unterbleiben.
Für die Betriebe der Branche sei überdies bundesweit Unterstützung nötig. Auch der ZDH forderte eine mittelstandsfreundliche Umsetzung des Medizinprodukterechts angesichts möglicher Herausforderungen wie Mehrkosten, Personalaufwand oder Schulungsbedarf.
Viele Haftungsfälle aufgrund fehlerhafter Medizinprodukte
Der auf Medizinrecht spezialisierte Rechtsanwalt Jörg Heynemann erwähnte in der Anhörung die vielen Haftungsfälle, die auf fehlerhafte Medizinprodukte zurückzuführen seien. An der kritischen Lage habe sich in den vergangenen Jahren nichts geändert.
Als Grund führte er gravierende Mängel bei der Zulassung und Überwachung von Medizinprodukten an. Zudem gebe es Lücken bei der Meldepflicht. Es bleibe abzuwarten, ob sich die Lage mit der Gesetzesreform bessere.
Erster Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem ersten Antrag mit dem Titel „Gesundheits-Apps auf klinische Wirksamkeit prüfen und Patienten schützen“ (19/16057) klare Qualitätsanforderungen an sogenannte Gesundheits-Apps. Einen systematischen Überblick über die mehr als 300.000 Apps, ihre wissenschaftliche Fundierung und Wirksamkeit gebe es nicht.
Daher müssten Apps als Voraussetzung für die Aufnahme in das Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte mindestens in einer wissenschaftlichen Studie ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben. Die Probezeit von bis zu 24 Monaten sei zu streichen. Ferner müsse der Begriff „positive Versorgungseffekte“ genau definiert werden. Hersteller von Gesundheits-Apps müssten dazu verpflichtet werden, genaue Angaben zur Zielgruppe, Funktionsweise, Wirkungsweise und Zweckbestimmung zu machen.
Zweiter Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem zweiten Antrag mit dem Titel „Nationaler Notfallplan zur Sicherstellung der Patientenversorgung – Patientenbehandlung nicht durch die EU-Medizinprodukteverordnung gefährden“ (19/15070) einen Notfallplan zur Sicherung der Versorgung mit Medizinprodukten. Trotz einer Übergangsfrist von drei Jahren lägen die Voraussetzungen zur reibungslosen Umsetzung der 2017 beschlossenen europäischen Medizinprodukteverordnung nicht vor, heißt es darin. Inzwischen werde befürchtet, dass in den Krankenhäusern bestimmte Medizinprodukte ab Mai 2020 nicht mehr zur Verfügung stünden.
Die Abgeordneten fordern daher, bis spätestens Ende des ersten Quartals 2020 einen nationalen Notfallplan vorzulegen, um die Versorgung sicherzustellen. Zudem müsse gewährleistet sein, dass Bestandsprodukte für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren weiter in den Verkehr gebracht werden können, wobei zugleich die Dokumentationsanforderungen stark verringert werden müssten. Zudem solle für die Neuzulassung ein verkürztes Prüfverfahren geschaffen werden.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag mit dem Titel „EU-Medizinprodukte verantwortungsvoll implementieren – Patientenversorgung sicherstellen“ (19/16035) dazu auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die wesentlichen Voraussetzungen für die Verordnung geschaffen werden. Von bisher 58 „Benannten Stellen“ zur Zertifizierung von Medizinprodukten seien bislang nur wenige nach neuem Recht zugelassen und notifiziert. Den „Benannten Stellen“ wie auch den Herstellern fehle es darüber hinaus an Umsetzungsvorschriften. Ob genügend Personalkapazitäten bei den „Benannten Stellen“ vorhanden sein werden, sei ebenfalls offen, so die Fraktion.
Da rund 500.000 Medizinprodukte nach dem neuen Rechtsrahmen komplett neu zertifiziert werden müssten, sei ein erheblicher Kapazitätsengpass absehbar. Gerade kleine und mittlere deutsche Medizintechnik-Unternehmen befürchteten, dass sie viele Produkte nicht oder nicht rechtzeitig zertifizieren können. Damit bestehe die Gefahr, dass für die Patientenversorgung notwendige Produkte vorübergehend oder dauerhaft nicht verfügbar sind. Die FDP fordert einen Maßnahmenplan, damit mögliche Engpässe in der medizinischen Versorgung vermieden werden. (pk/15.01.2020)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände/Institutionen:
- Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS)
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)
- Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (AkEK)
- Bundesärztekammer (BÄK)
- Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv)
- BVMed – Bundesverband Medizintechnologie e. V.
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) • DIHK | Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V.
- Eurocom – Europäische Herstellervereinigung für Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel e. V.
- Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA)
- Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV)
- Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband)
- Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V. (EbM)
- SPECTARIS – Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien e. V.
- VDGH – Verband der Diagnostica-Industrie e. V.
- Verband der TÜV e. V. (VdTÜV)
- Zentralverband des Deutschen Handwerks e. V. (ZDH)
Einzelsachverständige:
- Martin Stockheim, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
- Jörg Heynemann, Rechtsanwalt