Wie die Zahl der Organspenden erhöht werden kann
Angesichts der seit Jahren niedrigen Spenderzahlen soll die gesetzliche Grundlage für Organspenden so bald wie möglich verändert werden. Nach einer allgemeinen Orientierungsdebatte Ende 2018 beriet der Bundestag am Mittwoch, 26. Juni 2019, erstmals über zwei konkurrierende Gesetzentwürfe, die jeweils von Abgeordneten verschiedener Fraktionen unterstützt werden, sowie einen Antrag der AfD-Fraktion.
Gesetzentwurf mit Zustimmungslösung
Die Vorlagen verfolgen zwei unterschiedliche Ansätze: Eine Gruppe von Abgeordneten um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock strebt mit ihrem Gesetzentwurf (19/11087) eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende an. So soll Bürgern über ein Online-Register die Möglichkeit gegeben werden, ihre Entscheidung einfach zu dokumentieren, jederzeit zu ändern und zu widerrufen.
Die Abgabe einer Erklärung zur Organ- und Gewebespende soll künftig auch in den Ausweisstellen möglich sein. Ferner ist vorgesehen, dass die Hausärzte ihre Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über die Organ- und Gewebespenden beraten und sie zur Eintragung in das Register ermutigen sollen.
Gesetzentwurf mit Widerspruchslösung
Eine zweite Gruppe von Abgeordneten um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Prof. Dr. Karl Lauterbach strebt mit ihrem Gesetzentwurf (19/11096) eine doppelte Widerspruchslösung bei der Organspende an. Demnach gilt jeder Bürger als möglicher Organ- oder Gewebespender, der zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat. Wenn zugleich auch den nächsten Angehörigen kein entgegenstehender Wille bekannt ist, gilt die Organentnahme als zulässig.
Mit der Einführung der doppelten Widerspruchslösung soll ein Register erstellt werden, in dem Bürger ihre Erklärung eintragen lassen können. Beide Konzepte sehen umfangreiche Aufklärungs- und Informationskampagnen der Bevölkerung vor, um die neuen Regeln bekannt zu machen.
Antrag der AfD-Fraktion
Die AfD-Fraktion verlangt in ihrem Antrag (19/11124) eine Vertrauenslösung für die Organspende. Eine Steigerung der Spenderzahlen setze Vertrauen in das dafür geschaffene System voraus, auf dessen Grundlage dann eine freie Entscheidung in Kenntnis der medizinischen Vorgänge getroffen werden könne. Die letzte Änderung des Transplantationsgesetzes habe nicht zu mehr Transparenz, sondern zu mehr Skepsis geführt.
Wesentlich sei, dass das gesamte Verfahren der Organauffindung und -vermittlung nicht nur durch nichtstaatlich gebundene Organisationen geregelt wird, sondern dass auch die Kontrolle über das Verfahren denselben Organisationen unterliegt. Die Abgeordneten fordern unter anderem, die Aufsichts- und Kontrollpflicht über die Koordinierungsstelle sowie die Aufsicht über die Vermittlungsstelle auf eine unabhängige öffentlich-rechtliche Institution zu übertragen.
„Mehrheit sollte zur Organspende bereit sein“
In der erneut fraktionsoffenen und teilweise emotionalen Aussprache kamen 24 Redner für jeweils fünf Minuten zu Wort. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) warb dabei für eine Entscheidung im Sinne der vielen schwer kranken Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Es gehe jetzt darum, einen großen Schritt zu tun, dies werde von den Betroffenen auch erwartet.
Nüßlein argumentierte, die meisten Menschen würden ein gespendetes Organ annehmen. Dann sollte die Mehrheit der Menschen auch bereit sein, ein Organ zu spenden. Es gebe im Übrigen „nichts Christlicheres, als im Tode einem anderen das Leben zu retten“.
„Rechtliche Bedenken gegen die Widerspruchslösung“
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) machte unter anderem rechtliche Bedenken gegen die Widerspruchslösung geltend. Bei der Organspende gehe es um sehr unterschiedliche Situationen und Menschen. In der Verfassung sei das Recht auf körperliche Unversehrtheit verankert. Im Lichte der Verfassung und auch der Geschichte Deutschlands sei das Zustimmungsrecht zentral. Dieses Prinzip umzukehren wäre unverhältnismäßig.
Die Grünen-Politikerin verwies auf die Diskrepanz zwischen der grundsätzlich großen Bereitschaft der Menschen, Organe zu spenden, und den wenigen tatsächlich ausgefüllten Organspendenausweisen. Es gehe darum, diese Lücke zu schließen und die Menschen zu erreichen.
„Täglich sterbend Patienten auf der Warteliste“
Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) erinnerte daran, dass täglich Patienten auf der Warteliste sterben, weil für sie nicht rechtzeitig ein Organ gefunden wird. Die zu lösenden Probleme seien sehr dringend. Menschen müssten gerettet und Leid gelindert werden. Er argumentierte, in 20 der 28 EU-Länder werde die Widerspruchslösung bereits praktiziert. Wenn die Mehrheit der Menschen spenden wolle, aber nicht könne, müsse die Widerspruchslösung möglich gemacht werden.
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit werde nicht infrage gestellt, denn jeder könne einer Organentnahme widersprechen. Jeder Bürger sollte sich aber wenigstens einmal im Leben mit dem Thema befassen. Das sei die geringste Pflicht.
„Widerspruchslösung verfassungsrechtlich untragbar“
Jens Maier (AfD) erklärte hingegen, die Widerspruchslösung sei aus verfassungsrechtlichen Gründen untragbar. Jeder Bürger habe auch das Recht, keine Entscheidung zum Umgang mit seinen Organen zu treffen, ohne irgendwelche Folgen befürchten zu müssen.
Bei der Widerspruchslösung müsste damit gerechnet werden, dass jene Bürger, die darüber nichts wüssten, künftig die Hauptspendergruppe stellten. Das Konzept der Entscheidungslösung sei besser, aber handwerklich schlecht gemacht. So sei die Vergütungsregelung für die Ärzte unscharf.
„Besorgte Bürger werden keine Organspender“
Auch Karin Maag (CDU/CSU) positionierte sich gegen die Widerspruchslösung. Die Organspende müsse eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben, andernfalls könnte das Vertrauen der Menschen weiter beschädigt werden, warnte sie.
Das Vertrauen in die Organspende sei aber zentral, denn besorgte Bürger würden sicher keine Organspender.
„Es geht um einen fundamentalen Systemwechsel“
Ähnlich argumentierte Hilde Mattheis (SPD), die wie Maag daran erinnerte, dass erst unlängst das Gesetz für verbesserte Strukturen in Entnahmekliniken verabschiedet worden sei. Nunmehr gehe es um einen fundamentalen Systemwechsel.
Die besseren Spenderzahlen in Spanien hätten vor allem mit den guten Strukturen dort zu tun und mit dem Vertrauen der Bevölkerung. Es sei daher richtig, die Zustimmung der Menschen aktiv abzuholen, auch in den Ausweisstellen.
„Bis zu zehn Jahre Warten auf ein Spenderorgan“
Aus ihrer Erfahrung als Ärztin forderte Sabine Dittmar (SPD) dagegen vehement die Einführung der Widerspruchslösung. In Deutschland warteten Patienten teilweise bis zu zehn Jahre auf ein passendes Spenderorgan. Die Bürgerämter seien zudem jetzt schon dazu verpflichtet, über die Organspende zu informieren, dennoch seien die Zahlen schlecht. Warum sollten sich die Menschen plötzlich aktiv in ein Register eintragen wollen, fragte sie.
Eine gesetzliche Änderung, die lediglich mehr Informationen vorsehe, sei ihr zu wenig, das wäre eine „Verzögerungslösung“. Angesichts der dramatischen Zahlen sei den Menschen zuzumuten, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu dokumentieren. Das Grundrecht auf Leben sei aus ihrer Sicht höher zu bewerten als das Grundrecht auf Nichtbefassung.
„Hausärzten kommt eine Schlüsselrolle zu“
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) hielt mit der Verfassung dagegen und betonte, aus freiwilliger Solidarität dürfe der Staat keinen Pflichtakt machen. Eine Spende sei eine freie Entscheidung, und es müsse auch möglich sein, sich nicht zu entscheiden. Die Widerspruchslösung komme jedoch ohne Zwang nicht aus. Für jede medizinische Aktion sei eine Einwilligung der Patienten erforderlich.
Es könne auch nicht sein, dass für jede Internet-Veröffentlichung eine Zustimmung gegeben werden müsse und ausgerechnet bei dem sensiblen Thema Organspende das Schweigen als Zustimmung gelten solle. Entscheidend sei, sich mit den Ängsten und Fragen der Menschen zu befassen. Den Hausärzten komme dabei eine Schlüsselrolle zu, denn ihnen vertrauten viele Bürger.
„Freiwilligkeit muss erhalten bleiben“
Ulrich Oehme (AfD) betonte, dass sich etwas ändern müsse, werde auch von seiner Fraktion nicht infrage gestellt. Es sei jedoch nicht hinnehmbar, aus dem Altruismus einer Spende einen Zwang zu machen. Die Freiwilligkeit müsse erhalten bleiben, dies schaffe Vertrauen in die Organspende.
Dass die Zahlen derzeit so schlecht seien, liege nicht an der mangelnden Bereitschaft der Bürger, sondern an dem verspielten Vertrauen in die Institutionen. Zudem seien ausreichende Informationen auch für Angehörige von Organspendern wichtig.
„Kein Nein ist noch lange kein Ja“
Auch Kathrin Vogler (Die Linke) sagte, der Mangel an rettenden Organen lasse sich nicht mit autoritären Entscheidungen ausgleichen, sondern nur mit mehr Vertrauen. Die Widerspruchslösung würde dazu führen, dass Menschen bevormundet werden in Fragen des Sterbens und des Todes.
Sie gab außerdem zu bedenken, dass gerade junge Leute vermutlich andere Dinge im Kopf hätten, als sich mit Fragen der Organspende zu befassen. Manchmal brauche es eben mehrere Anstöße für eine Entscheidung. Das Vertrauen in die Transplantationsmedizin könne nicht erzwungen werden, sagte Vogler und fügte hinzu: „Kein Nein ist noch lange kein Ja.“ (pk/26.06.2019)