Bessere Unterstützung für Opfer von Gewalttaten erörtert
Der Bundestag hat am Freitag, 18. Oktober 2019, den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts“ (19/13824) erstmals beraten und zur federführenden weiteren Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Der Entwurf verfolgt das Ziel verfolgt, Opfer von Gewalttaten schneller und zielgerichteter zu unterstützen.
Roth rügt Rede von Martin Sichert
In der Debatte lieferten sich die Abgeordneten einen heftigen Schlagabtausch. Grund dafür war die Rede des AfD-Abgeordneten Martin Sichert, der das Gesetz als „Blutgeldgesetz“ diskreditierte und dafür nicht nur empörte Zwischenrufe aus dem Plenum, sondern auch eine Rüge von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) kassierte. Die Rede Sicherts habe in hohem Maße die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten, erklärte Roth.
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, Opfern von Gewalttaten schneller und zielgerichteter zu helfen. Dafür wird sogar ein eigenes Sozialgesetzbuch geschaffen, das 14. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV). Mit dem Gesetz reagiert die Bundesregierung laut eigener Aussage auf die Auswirkungen des Terroranschlages auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. Das Soziale Entschädigungsrecht (SER), das auf dem 1950 für die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen geschaffenen Bundesversorgungsgesetz (BVG) basiert, wird damit an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen angepasst und soll sich vor allem an den Belangen der Opfer von Gewalt- und Terrortaten ausrichten.
Höhere Zahlungen und leichterer Zugang zu Hilfen
Unter anderem sollen Entschädigungszahlungen deutlich erhöht und der Zugang zu Hilfen erleichtert werden. So sollen schädigungsbedingte Einkommensverluste von Geschädigten ausgeglichen und Einmalzahlungen für durch Gewalttaten im Ausland Geschädigte deutlich erhöht werden. Außerdem sollen die Waisenrenten und die Übernahme der Bestattungskosten erhöht werden. Auch eine verbesserte Unterstützung für Überführungen ist geplant.
Alle Opfer von Gewalttaten in Deutschland sollen unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus gleichbehandelt werden. Neu eingeführt werden die Schnellen Hilfen, also flächendeckende Trauma-Ambulanzen und ein individuelles Fallmanagement. Der Gesetzentwurf sieht ferner vor, den bisher in der Gewaltopferentschädigung verwendeten Gewaltbegriff neu zu definieren. Erstmals sollen auch Opfer von psychischer Gewalt (zum Beispiel schwerem Stalking und Menschenhandel) eine Entschädigung erhalten können.
AfD: Wir brauchen hier kein Blutgeldgesetz
Auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs ging Martin Sichert (AfD) in seiner umstrittenen Rede gar nicht ein. Im Gegensatz zur Regierung, die die Opfer in den Mittelpunkt stelle, gehe es seiner Fraktion darum, dass diese gar nicht erst zu Opfern werden.
An diesem roten Faden orientierte sich Sichert dann auch, da er der Bundesregierung vor allem vorwarf, nichts gegen den Terrorismus zu unternehmen: „Im Nachhinein die Opfer zu entschädigen, mag manche kurzfristig besänftigen, macht die Taten aber nicht ungeschehen. Wir brauchen hier kein Blutgeldgesetz, sondern eine Bekämpfung von Ursachen“, sagte Sichert und erklärte, das Gesetz sei eine „Bankrotterklärung der inneren Sicherheit“.
Minister: Die Opfer müssen im Mittelpunkt stehen
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, dagegen störte es, dass nach Terroranschlägen wie dem in Berlin oder nun in Halle nur über die Täter und kaum über die Opfer geredet werde. „Die Opfer müssen aber im Mittelpunkt stehen“, betonte Heil. Sie müssten den Weg zurück ins Leben finden, und dies sei ein harter Weg.
Der Gesetzentwurf sorge dafür, dass dies kein einsamer Weg mehr sei, sondern er in ein Hilfesystem integriert werde. Zur Rede Sicherts sagte der Minister in einer anschließenden Kurzintervention: „Sie sollten sich schämen für diese Rede. Sie missbrauchen diese Debatte für Ihre Agitation.“
CDU/CSU: Meilenstein für das Entschädigungsrecht
Peter Aumer (CDU/CSU) warf der AfD vor, weder das Entschädigungsgesetz noch das Grundgesetz verstanden zu haben. Natürlich müsse man versuchen, Anschläge zu verhindern, aber wenn das nicht gehe, dann müsse zumindest den Opfern bestmöglich geholfen werden.
Aumer nannte die Schaffung eines neuen Sozialgesetzbuchs für das Entschädigungsrecht einen Meilenstein, getragen vom Respekt gegenüber den Opfern.
FDP kündigt konstruktive Gesetzesberatung an
Jens Beeck (FDP) betonte, er könne kaum fassen, was er hier zu hören bekomme. An Sichert gewandt, sagte er: „Sie begreifen gar nicht, dass das, was Sie hier machen, auch schon Gewalt ist.“
Es sei „erbärmlich“, von Blutgeld und anschließend von der Würde des Menschen zu reden. Während die AfD kein Wort zum Gesetz verliere, werde sich seine Fraktion konstruktiv an diesen wichtigen Gesetzesberatungen beteiligen, so Beeck.
Linke: Höchste Zeit für ein Entschädigungsrecht
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) betonte, nach dem Terroranschlag von Halle sei es nun höchste Zeit, zügig ein Entschädigungsrecht zu beschließen. Schon im Koalitionsvertrag von 2013 sei ein solches Recht angekündigt worden, aber „sechs Jahre Wartezeit, das ist eine lange Zeit für die Opfer“, sagte sie.
Sie kritisierte, dass das Gesetz erst 2024 in Kraft treten soll und schlug stattdessen rückwirkende Entschädigungszahlungen vor.
Grüne: Sehr viele Verbesserungen für die Opfer
„Ich hoffe, dass viele Ihre Rede gesehen haben, damit sie sehen, wie Sie die Opfer verhöhnen“, erklärte Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen) an Martin Sichert gerichtet.
Lehmann lobte den Vorstoß der Bundesregierung, weil er sehr viele Verbesserungen für die Opfer enthalte. Es dürfe künftig nicht mehr passieren, dass Opfer drei Jahre auf einen endgültigen Bescheid warten müssen, mahnte er.
SPD: Eines der großzügigsten Entschädigungsgesetze weltweit
Dr. Matthias Bartke (SPD) begann seine Rede ebenfalls mit einer AfD-Kritik: „Das ist die schlimmste Rede, die jemals ein Mitglied des Sozialausschusses hier im Deutschen Bundestag gehalten hat“, sagte er. Was hier debattiert werde, sei eines der großzügigsten Entschädigungsgesetze weltweit.
Zwar könne niemand den traumatisierten Opfern ihr altes Leben zurückgeben, aber sie könnten lernen, mit den Folgen zu leben, und dabei unterstütze sie dieses Gesetz, verteidigte Bartke den Entwurf. (che/18.10.2019)