Die geplante Neuorganisation der Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen (MDK) wird von den Krankenkassen heftig kritisiert. Nach Ansicht des AOK-Bundesverbandes beinhaltet der Entwurf für das MDK-Reformgesetz (19/13397) einige inakzeptable Regelungen. Die Vorlage stelle mit ihren organisationsrechtlichen Änderungen zudem ein vollkommen unbegründetes Misstrauensvotum gegen die Kranken- und Pflegekassen und ihre Selbstverwaltung dar, erklärte der Verband anlässlich einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) zu dem Gesetzentwurf am Montag, 14. Oktober 2019, in Berlin. Vertreter der Ärzte und Krankenhäuser lobten hingegen die geplanten Änderungen. Die Gesundheitsexperten äußerten sich in der Anhörung sowie in schriftlichen Stellungnahmen.
Die Sitzung wird am Montag, 14. Oktober, ab 15.30 Uhr zeitversetzt im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Gesetzentwurf sieht eine Abkopplung des MDK von den Krankenkassen vor. Bisher sind die MDK als Arbeitsgemeinschaften der Krankenkassen organisiert. Künftig sollen sie eine eigenständige Körperschaft bilden und Medizinischer Dienst (MD) heißen. Auch der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (MDS) wird vom Verband abgelöst. In die neugebildeten Verwaltungsräte der Medizinischen Dienste sollen Vertreter von Patienten, Pflegebedürftigen, Verbrauchern, Ärzten und Pflegeberufen entsandt werden.
Der MDK befasst sich unter anderem mit der Pflegebegutachtung und entscheidet über die Pflegebedürftigkeit. MDK-Fachleute prüfen außerdem die Qualitätsstandards in Pflegeeinrichtungen. Im Auftrag der Krankenkassen prüft der MDK auch die Krankenhausabrechnungen in ausgewählten Fällen. Der MDK unterstützt zudem Patienten bei Verdacht auf Behandlungsfehler. Die 15 MDK in den Ländern und der MDS bilden gemeinsam die MDK-Gemeinschaft.
„Mehr Transparenz bei den Abrechnungen der Krankenhäuser“
Das Gesetz soll auch dazu beitragen, die Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern über Abrechnungen der Kliniken einzugrenzen. Der Entwurf sieht dazu mehr Transparenz bei den Abrechnungen der Krankenhäuser vor. So soll die Abrechnungsqualität einer Klinik den Umfang der zulässigen Prüfungen durch die Krankenkassen bestimmen. Ab 2020 soll eine maximale Prüfquote je Krankenhaus festgelegt werden. Bei einer schlechten Abrechnungsqualität muss eine Klinik mit finanziellen Konsequenzen rechnen. Der Schlichtungsausschuss auf Bundesebene soll Konflikte zwischen Kassen und Kliniken schneller lösen. Künftig soll außerdem die Aufrechnung mit Rückforderungen der Krankenkassen gegen Vergütungsansprüche der Krankenhäuser nicht mehr zulässig sein.
Die Bundesregierung will verschiedene Vorschläge der Länder für Detailänderungen am MDK-Reformgesetz prüfen, wie aus ihrer Gegenäußerung der Bundesregierung auf eine Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf hervorgeht.
AOK: Vertretung der Beitragszahler wird geschwächt
Der AOK-Bundesverband warnte, mit der Reform werde die Vertretung der Beitragszahler im Verwaltungsrat des geplanten Medizinischen Dienstes (MD) erheblich geschwächt. Um einen Verlust an Wissen und Erfahrung für die Arbeit im Verwaltungsrat zu vermeiden, sei es unabdingbar, dass Vertreter der sozialen Selbstverwaltung in der Krankenkasse gleichzeitig eine Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des MD innehaben könnten. Angesichts der Funktion der Krankenkassen als Auftraggeber und Finanzierer des MD bedürfe es einer organisatorischen Anbindung.
Als nichts sachgerecht bewertete der AOK-Verband die geplanten Änderungen bei der Prüfung von Krankenhausabrechnungen. Es könne nicht Sinn der Reform sein, einen Großteil der fehlerhaften Abrechnungen gar nicht mehr in die Prüfung einzubeziehen. Das hieße letztlich, Krankenhäuser zu einem strategischen Abrechnungsmanagement aufzufordern. Das neue Modell werde die Zahl der Rechtsstreitigkeiten deutlich erhöhen.
„Faktische Ausschaltung der sozialen Selbstverwaltung im MDK“
Grundsätzliche Kritik an dem Reformvorhaben kam auch vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der vor weitreichenden negativen Folgen für die Selbstverwaltung der Krankenkassen und die Funktionsfähigkeit des Medizinischen Dienstes warnte. Die faktische Ausschaltung der sozialen Selbstverwaltung im MDK werde abgelehnt. Die Unvereinbarkeitsregelung bei der Besetzung der Verwaltungsräte müsse in jedem Fall gestrichen werden.
Der Spitzenverband rügte auch die geplante Neuordnung der Abrechnungsprüfungen. Jede zweite geprüfte Krankenhausrechnung sei fehlerhaft. In der Folge hätten Krankenhäuser 2017 rund 2,8 Milliarden Euro an die Krankenkassen zurückzahlen müssen. Die geplante Reform berge die Gefahr drastischer Mehrausgaben und strategischer Fehlanreize. Eine maximale Prüfquote von zehn Prozent pro Krankenhaus statt der im Schnitt 17,1 Prozent für das Jahr 2017 sei viel zu gering. 2020 sei in der Folge mit Mehrausgaben von mindestens 1,2 Milliarden Euro zu rechnen. Der Verband forderte die Streichung der maximal zulässigen Prüfquote.
„Beachtlicher Schritt in die richtige Richtung“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hielt den Krankenkassen im Gegenzug vor, die Rechnungsprüfungen als Geschäftsmodell zu nutzen. Der Gesetzentwurf stelle einen beachtlichen Schritt in die richtige Richtung dar, da er elementare Probleme des MDK-Prüfverfahrens identifiziere. Das Prüfsystem sei außer Kontrolle geraten und geprägt von einer überzogenen Misstrauenskultur, beklagte die DKG. Die MDK-Prüfungen führten bei den Kliniken zu einem stetig steigenden und nicht vertretbaren Aufwand, zu erheblichen Liquiditätsverlusten und langwierigen Rechtsstreitigkeiten. MDK-Prüfungen würden von den Kassen nicht verdachts-, sondern potenzialbezogen veranlasst und seien inzwischen ein Wettbewerbsfaktor für die Krankenkassen.
Lob für den Reformvorschlag kam auch von der Bundesärztekammer (BÄK). Die Neuaufstellung des Verwaltungsrates sei sachgerecht und werde eine deutlich verbesserte Integration unabhängiger medizinischer Expertise in die Begutachtungsverfahren der Medizinischen Dienste ermöglichen. Es sei auch richtig, Anreize für plausible Krankenhausabrechnungen vorzusehen und Abstand von der überbordenden Einzelfallprüfung zu nehmen. Das Ziel sollte darin bestehen, Abrechnungsverfahren einfach und rechtssicher zu gestalten. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass angesichts der komplexen Vergütungs- und Kodiersystematik mögliche Fehlkodierungen nicht immer zu vermeiden seien.
„An der Alleinherrschaft der Kassen ändert sich nichts“
Nach Ansicht des Sozialverbandes VdK werden die Krankenkassen weiterhin großen Einfluss auf die Medizinischen Dienste haben. In den Verwaltungsräten könnten die Kassen deutlich mehr Vertreter stellen als die Patienten und Pflegebedürftigen. An der Alleinherrschaft der Kassen ändere sich dadurch nichts. Neben der Unabhängigkeit der Medizinischen Dienste sei auch die Qualität der Gutachten zentral für Pflegebedürftige und Patienten. Es würden jedoch manche Gutachten fachfremd erstellt sowie rein nach Aktenlage. Bei Patienten komme daher immer wieder der Verdacht auf, dass der MD der verlängerte Arm der Krankenkassen sei und nur dazu diene, Kosten einzusparen. Der MD müsse mehr Ressourcen in die persönliche Begutachtung und weniger in Abrechnungsstreitigkeiten mit Krankenhäusern stecken.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht keinen Anlass für die geplante Reform, zumal der MDK jetzt schon durch Unabhängigkeit und eine sachgerechte Integration der Sozialpartner geprägt sei. Die Novelle diene offenbar dazu, die politische Einflussnahme im Gesundheitssektor auf Kosten der Sozialversicherungen auszuweiten. Dies sei weder begründbar noch hinnehmbar. In der Anhörung äußerten mehrere Experten Bedenken, dass künftig ausreichend qualifizierte Anwärter für die Verwaltungsräte gefunden werden könnten. (pk/14.10.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
Verbände/Institutionen:
- AOK-Bundesverband GbR (AOK-BV)
- BKK Dachverband e. V.
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) e. V.
- Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen (BAGP)
- Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE)
- Bundesärztekammer (BÄK)
- Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)
- Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände - Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv)
- Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. (DKG)
- Deutsche Rentenversicherung Bund
- Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
- Deutscher Gewerkschaftsbund Bundesvorstand (DGB)
- Deutscher Pflegerat e. V. - DPR
- Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
- IKK e. V. - Gemeinsame Vertretung der Innungskrankenkassen
- Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK)
- Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
- Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS)
- Sozialverband VdK Deutschland e. V.
- UPD Patientenberatung Deutschland gGmbH
- Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek)
- Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e. V. (VDAB)