Vereinbarte Debatte aus Anlass des Anschlags auf die Synagoge in Halle
Nach dem Terroranschlag von Halle haben Vertreter der Regierungskoalition und der Opposition im Bundestag zu einer entschiedenen Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland aufgerufen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte am Donnerstag, 17. Oktober 2019, in einer Vereinbarten Debatte über die „Bekämpfung des Antisemitismus nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle“, die Sicherheitslage in Deutschland sei in Bezug auf Antisemitismus und Rechtsterrorismus „sehr ernst“. Er stellte zugleich ein Sechs-Punkte-Programm zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vor, das die Koalition zügig angehen wolle.
Sechs-Punkte-Programm des Innenministers
Dazu gehört dem Minister zufolge ein besserer Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland durch Polizei und bauliche Maßnahmen. Auch müssten das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz organisatorisch und personell „massiv“ gestärkt werden, betonte Seehofer. Hierzu würden einige hundert zusätzliche Stellen benötigt. Notwendig sei zudem eine Meldepflicht für Anbieter im Internet bei Straftatbeständen im Netz, „damit diese Dinge dann auch strafrechtlich verfolgt werden können“. Ferner würden mit Hochdruck Verbote rechtsextremistischer Vereine geprüft und, „wann immer es möglich ist, rechtsstaatlich“, auch ausgesprochen.
Darüber hinaus müsse man das Waffen- und Sprengstoffrecht in den Blick nehmen, fügte der Ressortchef hinzu. Man müsse „viel stärker an jene heran, die Waffenbesitzkarten haben und gleichzeitig in rechtsextremen Vereinigungen“ sind, und bei der Ausstellung von neuen Waffenbesitzkarten „sehr viel stärker hinschauen, ob diese Personen in Verbindung mit rechtsextremistischen oder -terroristischen Vereinigungen stehen“, sagte Seehofer. Als letzten Punkt des „Sofortpakets“ nannte er die Prävention, bei der geprüft werden solle, ob man hier „auf der Höhe der Zeit“ sei.
Justizministerin: Rechtsterrorismus größte Bedrohung
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wertete den Rechtsterrorismus als aktuell „größte Bedrohung unseres Gemeinwesens“. Gegen diese Bedrohung müsse mit aller Konsequenz vorgegangen werden. Man müsse den „Nährboden für Hass, Hetze und Gewalt austrocknen“ und dazu auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärfen. Die bestehende Verpflichtung sozialer Netzwerke, strafbare Beiträge zu sperren oder zu löschen, reiche nicht. Vielmehr brauche man eine Pflicht, Morddrohungen und Volksverhetzungen den Strafverfolgungsbehörden zu melden. „Hetzern muss klar sein, dass sie sich nicht in der Anonymität des Netzes verstecken können“ und ihnen Strafe droht, fügte die Justizministerin hinzu.
Zugleich drängte sie auf eine weitergehende Verschärfung des Waffenrechts als derzeit vorgesehen. Die Waffenbehörden müssten eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz vornehmen können, forderte Lambrecht. Waffen gehörten nicht in die Hände von Extremisten, und man dürfe nicht warten, „bis sie sie haben, und sie ihnen dann entziehen - wir müssen vorher handeln“.
AfD: Radikalisierung und Spaltung durch Willkommenskultur
AfD-Fraktionschef Dr. Alexander Gauland nannte es einen „ungeheuren Skandal“, dass „in Deutschland im Jahr 2019 Juden in ihrem Gotteshaus Todesängste ausstehen müssen“. Ein „Angriff auf eine Synagoge in Deutschland - das darf nicht sein“, betonte er.
Gauland wandte sich zugleich gegen den Vorwurf, die AfD habe ein Klima geschaffen, in dem solche Taten wie in Halle möglich seien. Man könne „nüchtern feststellen, dass es seit der Ausrufung der Willkommenskultur 2015 zu einer gewaltigen Radikalisierung und Spaltung der gesamten Gesellschaft gekommen ist“. Für diese Radikalisierung hätten „jene die Ursachen gesetzt, die in einem historisch beispiellosen Akt mehr als eineinhalb Millionen unserer Kultur fremder Menschen ins Land gelassen haben“.
FDP: Antisemitismus ist beschämender Teil des Alltags
Die FDP-Parlamentarierin Linda Teuteberg beklagte, Antisemitismus sei ein „beschämender Teil des Alltags“ im Lande. Dabei habe man die gemeinsame Verantwortung dafür, „dass jüdisches Leben in Deutschland sicher, frei und selbstbestimmt stattfinden kann“.
Dieser Verantwortung würden „Reflexe, Aktionismus und Überbietungswettbewerbe“ nicht gerecht, sagte Teuteberg und wandte sich gegen „altbekannte verdachtsunabhängige Überwachungsphantasien und Datensammelwut“. Vielmehr müsse der Rechtsstaat die „Orte der Verbreitung menschenverachtender Ideologie“ viel intensiver ins Visier nehmen, „egal ob das im Internet, in Kameradschaften, in Parteien“ oder anderswo stattfinde.
Linke kritisiert hetzerische Parolen der AfD
Für Die Linke sprach ihre Abgeordnete Petra Sitte von „rassistischen, antisemitistischen Parolen der AfD“. Es sei deren „Hetze und Menschenhass“ zuzuschreiben, dass in Deutschland wieder ein „Klima von Angst und Ohnmacht“ herrsche. Sitte nannte es zugleich ein „empörendes Versagen deutscher Politik“, dass das „Gedenken gegen Nazis“ immer wieder diffamiert worden sei.
Vereine und Initiativen, die seit Jahren aufklärten und Opfer berieten, müssten dauerhaft unterstützt werden müssten. Dazu gehöre, dass die Bundesregierung nicht Programme wie „Demokratie leben“ kürze. Sie müsse diese vielmehr aufstocken. Dabei gehe es nicht um ein innen- oder sicherheitspolitisches, sondern um ein gesellschaftspolitisches Thema.
Grüne sehen Terrorgefahr in Deutschland
Auch die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, betonte, es gebe in Deutschland eine „reale Terrorgefahr“ auch durch Rechtsextremisten. Bei dieser Gefahr sei jedoch zu lange weggeschaut worden. So gälten 12.500 Rechtsextremisten als gewaltbereit, doch nur 43 seien als „Gefährder“ eingestuft.
Göring-Eckardt forderte zudem die Regierungskoalition auf, beim Waffenrecht „endlich konsequent“ zu werden. Der AfD warf die Grünen-Fraktionschefin vor, sie wolle das „demokratische System“ abschaffen. Die AfD habe aber „keine Chance, dieses Land zu zerstören“.
Koalition: AfD instrumentalisiert den Anschlag
Der CDU-Abgeordnete Thorsten Frei hielt der AfD vor, „an einer erinnerungspolitischen Kurskorrektur“ zu arbeiten. Sie betreibe Geschichtsrevisionismus, verschiebe „rote Linien“ und sorge dafür, „dass Dinge denk- und sagbar sind, die es bisher nicht waren“. Auch das befördere Antisemitismus im Lande.
Der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil kritisierte, die AfD versuche, den Anschlag von Halle politisch zu instrumentalisieren. „Sie spalten und Sie hetzen und Sie machen Politik auf dem Rücken von Minderheiten“, fügte er an die Adresse der AfD hinzu. Dies sei unanständig. (sto/17.10.2019)