Bundestag würdigt Mut der Ostdeutschen bei friedlicher Revolution
Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR und des Mauerfalls am 9. November 1989 plädieren die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD sowie die FDP-Fraktion für eine tiefere Verankerung des Widerstands gegen die SED-Diktatur und ihrer Opfer in der Erinnerungskultur sowie für Verbesserungen bei der Rehabilitierung der Opfer. Über die entsprechenden Anträge der Koalition (19/10613) und der Liberalen (19/10614) debattierte der Bundestag erstmals am Donnerstag, 6. Juni 2019, und überwies sie zur weiteren Beratung in die Ausschüsse unter Federführung des Ausschusses für Kultur und Medien.
Wende eine Leistung der Menschen in Ostdeutschland
In der Debatte würdigten Vertreter aller Fraktionen und der Bundesregierung die Überwindung der SED-Diktatur als eine Leistung der Menschen in Ostdeutschland, die den Mut gefunden hätten, gegen das Regime mit friedlichen Mitteln zu demonstrieren und schließlich seinen Sturz herbeizuführen.
Übereinstimmend sprachen sich Union, SPD und FDP für ein Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft aus und forderten die Bundesregierung auf, dem Bundestag ein entsprechendes Konzept vorzulegen. Zudem soll das Gedenkstättenkonzept des Bundes weiterentwickelt und um einen Ort ergänzt werden, der explizit den Widerstand und die Opposition gegen die SED-Diktatur in den Fokus rückt. Insgesamt müsse den Themen Diktatur und Opposition in der politischen Bildung und den Schullehrplänen mehr Raum eingeräumt werden.
Nach dem Willen der drei Fraktionen sollen zudem die Gesetze zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern der SED-Diktatur entfristet werden und ehemaligen DDR-Heimkinder, deren Eltern in der DDR politisch verfolgt waren, die Rehabilitierung und Entschädigung ermöglicht werden. Zusätzlich müsse die Beweislast bei der Anerkennung von traumatischen Belastungen und gesundheitlichen Schäden umgekehrt werden. Übereinstimmend fordern die Fraktionen die Bundesregierung auf, die Einrichtung eines Härtefallfonds zur Entschädigung von Opfern zu prüfen.
Debatte mit unterschiedlichen Sichtweisen im Detail
Trotz der einhelligen Würdigung der Friedlichen Revolution durch alle Fraktionen, offenbarte die Debatte höchst unterschiedliche Sichtweisen. Die Abgeordnete Gitta Connemann (CDU/CSU) hielt der AfD vor, sie habe kein Recht, sich auf die Montagsdemonstrationen in der DDR zu berufen: „AfD und Montagsdemonstrationen haben nichts miteinander zu tun.“
Die AfD nutze demokratische Rechte, um die Demokratie auszuhöhlen. Vor 30 Jahren sei die Sehnsucht der Menschen in der DDR nach Freiheit und Demokratie größer gewesen als ihre Angst.
AfD kritisiert die Rolle der Treuhandanstalt
Der Abgeordnete Tino Chrupalla (AfD) entgegnete Connemann, die „patriotischen Widerstandskämpfer“ von damals seien die gleichen wie die „patriotischen Widerstandskämpfer“ von heute im Osten Deutschlands. Die Koalition versuche mit ihrem Antrag lediglich „Schadensbegrenzung“ zu betreiben, weil sie das Vertrauen der Bürger im Osten verloren habe.
Statt Mahnmale zu errichten müssten eher die „kriminellen Machenschaften“ im Zuge der Einheit offengelegt werden. „Hören Sie endlich auf, die Ostdeutschen wie unmündige Kinder zu behandeln. Hören Sie ihnen einfach zu!“, rief Chrupalla in die Reihen der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung.
SPD: Lebensleistung der Menschen anerkennen
Katrin Budde (SPD) warnte davor, das Leben der Menschen in der ehemaligen DDR ausschließlich unter dem Aspekt der Diktaturerfahrung zu bewerten. Dies werde den Menschen im Osten Deutschlands nicht gerecht. Zugleich dürfe die DDR rückwirkend nicht „verklärt“ werden.
Zudem müsste die Bewältigung des Einheitsprozesses nach 1990 mit all seinen Problemen als eine gewaltige Lebensleistung der Menschen in den neuen Bundesländern anerkannt werden. Mit Blick auf die AfD forderte Budde, die Demokraten dürften die Rufe von 1989 „Wir sind das Volk!“ und „Wir sind ein Volk“ nicht den Populisten überlassen und müssten sich diese „wieder zurückholen“.
Linke: Geschichte der DDR nicht nur Diktatur-Geschichte
Auch Matthias Höhn (Die Linke) mahnte, die Geschichte der DDR dürfe nicht nur als Diktatur-Geschichte erzählt werden. Er verwies darauf, dass die Menschen im Osten Deutschlands eine sehr „gemischte Bilanz“ aus den vergangenen 30 Jahren ziehen würden, viele seien von der liberalen Demokratie enttäuscht und hätten sich abgewandt.
Das Vorgehen der Treuhand im Osten sei eben kein Beispiel für jene demokratische Mitbestimmung gewesen, die man sich während der Friedlichen Revolution erhofft habe.
FDP: Menschen hatten den Mut aufzubegehren
Linda Teuteberg (FDP) erinnerte daran, dass die Menschen in der DDR trotz des Massakers auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989 den Mut gefunden hätten, gegen das kommunistische Regime aufzubegehren.
Weil es einen Mangel an Bürgerrechten, freien Wahlen und Reisefreiheit gegeben habe – aber auch einen Mangel an Wohnungen und Umweltschutz, sagte Teuteberg. Dies dürfe mit Blick auf aktuelle politische Diskussionen nicht vergessen werden.
Grüne erinnern an die Rolle der Kirche
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, erinnerte ausdrücklich an die Rolle der Kirche während der Friedlichen Revolution. Zugleich kritisierte sie, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen mit keinem Wort die Rolle der Revolutionen in den damaligen osteuropäischen Nachbarländern Polen, Tschechoslowakei und Ungarn erwähne. Dort seien die Grundlagen des Europas von heute gelegt worden. Vor allem die Solidarność-Bewegung in Polen habe maßgeblich zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen.
Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Christian Hirte (CDU/CSU,) begrüßte den Antrag der Koalitionsfraktionen. Den mutigen Menschen in der ehemaligen DDR gebühre Dank und Respekt, den Opfern der SED-Herrschaft müsse Hilfe und Anerkennung zukommen. Hirte erinnerte in diesem Zusammenhang vor allem an das Schicksal der Kinder politischer Verfolgter, die in Heime geschickt oder zur Adoption freigegeben wurden.
Antrag von CDU/CSU und SPD
CDU/CSU und SPD wollen mit ihren Antrag den Mut und die Leistung der ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger im Prozess des Herbstes 1989 anerkennen und würdigen. Auch die Arbeit von Widerstand und Opposition in der DDR und ihre besondere Gestaltungskraft im Herbst 1989 sowie die positive Rolle der Kirchen werden betont. Darüber hinaus wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, bis Ende des Jahres 2019 dem Bundestag ein Konzept für ein Denkmal zur Erinnerung und Mahnung an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland vorzulegen.
Außerdem soll die Entschließung des Bundesrates (316 / 18) zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter angemessen berücksichtigt und insbesondere die Umkehrung der Beweislast bei der Anerkennung gesundheitlicher Schäden geprüft werden, welche bei den NS-Opfern seit Langem Praxis sei. Auch die Möglichkeit der Einrichtung eines bundesweiten Härtefallfonds zur
Entschädigung von SED-Opfern soll erwogen werden. Darüber hinaus sollen die Aufarbeitung von DDR-Zwangsadoptionen intensiviert und die Forschung über die Diktaturen des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Europa gestärkt werden.
Antrag der FDP
Die Liberalen fordern die Bundesregierung auf, die Leistungen der an der friedlichen Revolution Beteiligten und insbesondere das starke zivilgesellschaftliche Engagement im Lichte einer gesamtdeutschen Erinnerungskultur hervorzuheben, anzuerkennen und öffentlich zu würdigen. Unter anderem sollen die mit der Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur der friedlichen Revolution befassten Institutionen durch geeignete Maßnahmen und zukunftsfeste Strukturen für nachfolgende Generationen bewahrt werden.
Des Weiteren wird verlangt, das Gedenkstättenkonzept des Bundes weiterzuentwickeln, sodass dem Gedenken, Erinnern und Aufarbeiten der Geschehnisse der Friedlichen Revolution und den Opfern der SED-Diktatur hinreichend Raum geboten wird sowie das Freiheits- und Einheitsdenkmal in der beschlossenen Form zeitnah umzusetzen. (aw/hau/06.06.2019)