Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich den Fragen der Abgeordneten
Ob der Brexit, europäische Mindestlöhne, Klimaschutz, Wohnungsmangel oder die Reform des Europäischen Urheberrechts – zum dritten Mal hat sich Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am Mittwoch, 10. April 2019, im Rahmen einer 60-minütigen Regierungsbefragung den Fragen der Abgeordneten gestellt. Erneut gab es keine inhaltlichen Vorgaben, entsprechen breit war das Themenspektrum.
Merkel für Verschiebung des Brexit-Datums
Zum Auftakt der Befragung informierte die Regierungschefin das Plenum über den Stand der Brexit-Verhandlungen im Vorfeld des am Abend beginnenden Sondergipfels des Europäischen Rates. „Es bleiben uns gemeinsam nur noch knapp 59 Stunden Zeit, um einen umgeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU zu verhindern“, erklärte Merkel. Dieses Szenario liege „nicht im Interesse“ der Bundesregierung. Merkel kündigte deshalb an, sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass Großbritannien mehr Zeit eingeräumt werde und das Austrittsdatum, wie von der britischen Premierministerin Theresa May erbeten, auf den 30. Juni verschoben werden könne.
Flexible Brexit-Frist angestrebt
Im Gegenzug müsse Großbritannien aber bereit sein, die Europa-Wahl „ordnungsgemäß durchzuführen“ und an „Entscheidungen konstruktiv mitzuwirken“, betonte die Kanzlerin. Im Europäischen Rat werde nun beratschlagt, „welche Art der Verlängerung Großbritannien eingeräumt werden soll“, sagte Merkel.
Dabei strebe sie eine flexible Frist an: Bei einer erneuten Verschiebung solle ein vorheriger Austritt Großbritanniens jederzeit möglich sein.
AfD: EU-Urheberrechtsreform stoppen
Der AfD-Abgeordnete Tobias Peterka, Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, thematisierte als erster Fragesteller die geplante EU-Urheberrechtsreform. „Mit der Urheberrechtsrichtlinie wird auf Content-Plattformen die Meinungsfreiheit eingeschränkt“, kritisierte er. „Werden Sie gemäß dem Koalitionsvertrag dafür sorgen, dass Deutschland mit einer Enthaltung die Richtlinie im Europäischen Rat noch stoppt?“
Merkel wies darauf hin, dass noch gar nicht absehbar sei, wie die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erfolge. Von einer automatischen Gefährdung der Meinungsfreiheit durch die umstrittenen Uploadfilter sei nicht auszugehen. „Wir sehen vielmehr den großen Missstand, dass Inhalte von Kreativen ohne Bezahlung verwendet werden.“ Den neuen Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland zur Urheberrechtsreform halte sie deshalb für „vertretbar“.
SPD fragt nach Haltung Merkels zu europäischen Mindestlöhnen
Christian Petry (SPD), Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, erkundigte sich nach der Haltung der Kanzlerin in Bezug auf die im Koalitionsvertrag festgeschrieben Forderung nach existenzsichernden, europäischen Mindestlöhnen. „Ihre Nachfolgerin im Amt der CDU-Vorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer, hat sich zuletzt negativ dazu geäußert. Wie stehen Sie dazu?“
Merkel bestätigte, dass sie europäische Mindestlöhne weiterhin unterstütze: „Wir wollen, dass es eine vernünftige Mindestlohn-Szenerie in der Europäischen Union gibt.“ Allerdings sei die Frage der Ausgestaltung entscheidend: Mindestlöhne, Lebenshaltungskosten und Einkommen seien innerhalb der EU-Staaten sehr unterschiedlich. Ein einheitlicher Mindestlohn in ganz Europa sei daher schwer umsetzbar.
FDP will Preise für Kohlendioxidemissionen überall
Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, wollte erfahren, welche Auswirkung eine positive Äußerung der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kamp-Karrenbauer zur Bepreisung von Kohlendioxidemissionen auf die Klimapolitik der Bundesregierung habe. „Ihre Regierung verfolgte bislang einen sektorspezifischen Ansatz mit ordnungspolitischen Maßnahmen. Deutschland hat deshalb die höchsten Kohlendioxid-Vermeidungskosten weltweit“, hielt Lindner Merkel vor. Kramp-Karrenbauer habe nun einen „komplett anderen Ansatz“ vorgeschlagen. Sie befürworte eine sektorübergreifende Herangehensweise und wolle mehr mit Kohlendioxid-Budgets und Kohlendioxid-Preisen arbeiten, so Lindner. „Das ist ein Paradigmenwechsel.“
Davon wollte die Kanzlerin nicht sprechen. Allerdings räumte sie ein, dass ein neues Sachverständigengutachten dafür plädiere, wie im Bereich Energiewirtschaft und Industrie „auch im Nicht-ETS-Bereich den Kohlendioxid-Bepreisungsansatz zu verfolgen“. Mit dem Gutachten, das also Preise für Emissionen von Haushalten und Gewerbe befürworte, setze sich die Bundesregierung auseinander. „Wir wären ja ignorant, wenn wir neueste Gutachten nicht beachten würden.“ Derzeit prüfe die Regierung, ob eine Neuregelung ordnungsrechtliche Maßnahmen allein, steuerrechtliche Maßnahmen – oder auch Bepreisungsansätze umfassen solle.
CDU/CSU fragt nach Außen-und Sicherheitspolitik
Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, wollte erfahren, welche Überlegungen die Bundesregierung anstelle, die Zusammenarbeit mit Großbritannien, „dem engsten Verbündeten der EU in Sicherheitsfragen“, im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Brexit zu gestalten. „Zuletzt hat die Zusammenarbeit über die Pesco eine neue Dimension erreicht“, gab Hardt zu bedenken (Pesco bezeichnet die ständige strukturierte Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik). Aber die Zusammenarbeit sei „unvollkommen“, wenn Großbritannien nicht weiter miteinbezogen werde.
Merkel betonte, dass sich die Bundesregierung auf beide Szenarien – das eines geordneten ebenso wie das eines ungeordneten Brexits – einstelle. Sollte es zu Letzterem kommen, müsse Großbritannien wie ein Drittstaat behandelt werden, erklärte Merkel. „Aber wir beschäftigen uns auch mit der Frage, wie Drittstaaten und Pesco verbunden werden könnten.“ Vorzuziehen wäre aber der geordnete Brexit, so Merkel: „Dann könnten wir in der zweijährigen Übergangszeit diese Frage diskutieren.“
Linke: Maßnahmen gegen „Mietwahnsinn“ gefordert
Caren Lay, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke, warf der Bundeskanzlerin vor, in ihrer Amtszeit zu wenig gegen Mietsteigerungen getan zu haben: „Dieser tickenden Zeitbombe haben Sie tatenlos zugesehen. Bislang habe ich von Ihnen noch keine Antwort auf das Problem des Mietwahnsinns gehört“, kritisierte Lay. „Außer dass Sie das Volksbegehren ,Deutsche Wohnen enteignen' ablehnen.“
Merkel wies den Vorwurf zurück. Die Mietsteigerungen seien in der Tat ein ernstes Problem, mit dem sich die Bundesregierung sehr wohl befasst habe, sagte Merkel. „Enteignungen allerdings halten wir für den falschen Weg“, betonte die Kanzlerin mit Blick auf das Berliner Volksbegehren. Stattdessen gehe es darum, Missbrauch einzudämmen. Dazu habe die Bundesregierung unter anderem die Mietpreisbremse geschaffen. An weitere Maßnahmen werde – wie etwa beim Wohngipfel im Kanzleramt – gearbeitet. Zum geplanten Maßnahmenbündel gehörten unter anderen eine stärkere Förderung des sozialen Wohnungsbaus, ein Baukindergeld sowie eine geplante Wohngeld-Novelle und bessere Abschreibungsmöglichkeiten für den Neubau von Wohnungen.
Grüne kritisieren „desaströse“ Klimapolitik
Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, hakte noch einmal beim Thema Klimaschutz nach: Er hielt der Bundeskanzlerin vor, an den eigenen Klimazielen zu scheitern. „Die Kohlendioxidemissionen sind während ihrer Kanzlerschaft gleich hoch geblieben“, monierte Krischer und fragte: „Wie erklären Sie das desaströse Ergebnis?“
Merkel machte deutlich, dass sie diese Einschätzung nicht teile. Deutschland habe in der Vergangenheit große Fortschritte erzielt. Nun müsse es aber mehr tun, um die Klimaziele bis 2030 zu schaffen. Daran arbeite die Bundesregierung, versicherte die Kanzlerin, etwa durch die Verbesserung des Zertifikatehandels. Merkel lobte die Arbeit der Kohlekommission: „Wir haben jetzt in diesem wichtigen Bereich eine Klarheit, die wir uns vor Jahren noch gewünscht hätten.“ Dies stimme sie optimistisch, die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. (sas/10.04.2019)