Pro und Contra Innovationsprinzip bei der Gesetzgebung
Über die Einführung des Innovationsprinzip bei Gesetzgebung und behördlichen Entscheidungen sind sich die Fraktionen im Deutschen Bundestag höhst uneinig. Die FDP hatte die Einführung eines Innovationsprinzips bei der Gesetzgebung gefordert, Bündnis 90/ Die Grünen wollen das Vorsorgeprinzip hingegen eher stärken.
Bei der Debatte am Freitag, 12. April 2019, wurde erstmalig über Anträge der FDP-Fraktion (19/9224) mit dem Titel „Innovation und Chancen nutzen – Innovationsprinzip bei Gesetzgebung und behördlichen Entscheidungen einführen“ und dem Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen (19/9270) mit dem Titel „Vorsorgeprinzip als Innovationstreiber“ abgestimmt. Die Federführung war zunächst strittig. Gegen die Stimmen der FDP und zwei fraktionsloser Abgeordneter bei Enthaltung der AfD wurden die Vorlagen zur weiteren Beratung an den nun federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Die FDP und die fraktionslosen Abgeordneten hatten für die Federführung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung plädiert.
FDP: Chancen werden nicht untersucht
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicola Beer forderte das Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprinzip im Gesetzgebungsverfahren zu stellen. Sie sagte: „Bei unserem Antrag geht es um die Art und Weise, wie wir in Deutschland Gesetze machen.“ Es sei stets eine Gesetzesfolgenabschätzung nötig. Nach den derzeitigen Regeln seien aber nur Risiken und Gefahren, die sich aus einem Gesetzesvorhaben ergeben können, zu evaluieren.
„Chancen, die sich durch ein Vorhaben ergeben, aber auch Chancen die durch eine gesetzgeberische oder behördliche Initiative quasi als Kollateralschaden verhindert werden, werden nicht untersucht“, kritisierte sie. In einer Welt des technischen Wandels werde Deutschland auch in Zukunft nur dann erfolgreich sein, wenn Deutschland besonders innovativ, kreativ und schnell in der Umsetzung sei.
CDU/CSU: Innovationen ein Bündnis für die Zukunft
Dr. Silke Launert (CDU/CSU) stimmte dem Anspruch der FDP, Deutschland solle innovatiosfreudig agieren, ausdrücklich zu. Sie sagte: „Innovationen sind ein Bündnis für die Zukunft“ und zitierte damit den Chemiker und früheren Forschungsvorstand von BASF, Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger. Innovationen seien nicht nur eine notwendige, sondern auch eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Deutschland seine Spitzenposition in der Welt halte. Es sei Voraussetzung dafür, dass es Deutschland wirtschaftlich gut gehe ,und zwar nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft.
Gleichwohl nahm sie den FDP-Antrag auch kritisch unter die Lupe. Wenn man den genauen Wortlaut des Gesetzes anschaue, stehe da nichts von Chancen oder Risiken, nichts von Problemen. Wertneutral würden die Begriffe Auswirkungen, Nebenwirkungen, Entwicklungen und Wirkungen benutzt. Launert kritisierte, dass sich der Antrag der FDP lediglich mit Begrifflichkeiten beschäftige. „Dabei wird das Wesentliche, nämlich der Inhalt des Gesetzes, außer Acht gelassen.“ Der FDP-Antrag verhake sich im Klein-Klein.
AfD: Grüne beseelt von Angstmacherei
Der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt nannte den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ein „Ideologiepapier“ und sagte: „Der hier vorliegende Antrag der Grünen ist beseelt von Angstmacherei.“ Den FDP-Antrag bezeichnete er als einen „freiheitlichen“ Antrag, er bemühe sich um eine neutrale Chancen- und Risikobewertung. Die Grünen verbreiteten hingegen „ökologische Heilslehren mit Unantastbarkeitsaura und diktatorischem Sendungsanspruch“.
Der Antrag der Grünen beeinflusse durch Setzung ideologischer Kriterien das Ergebnis der Gesetzesprüfung von vornherein, um so eine objektive Prüfung bereits im Vorfeld zu erschweren. Am Schluss seiner Rede bezeichnete Reichhardt Bündnis 90/Die Grünen als eine „totalitäre Partei, die unter dem Deckmantel von Ökologie und geheuchelter Menschlichkeit unser Gemeinwesen Stück für Stück zerstört“.
SPD: Deutschland ist keine Innovationswüste
Die SPD-Abgeordnete Saskia Esken kritisierte den FDP-Antrag. Er stelle den Ist-Zustand in Deutschland zu negativ dar. Sie sagte: „Deutschland ist keine Innovationswüste. Im Gegenteil.“ Die Welt beneide Deutschland um seine Innovationsfähigkeit, gerade weil die Innovationen durchdacht und nachhaltig seien. Diese Tradition werde durch das Vorsorgeprinzip verfestigt. Das Vorsorgeprinzip sei aus Fehlern entwickelt worden, wie sie beispielsweise mit Asbest oder Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) gemacht worden seien.
Auch in der Gesetzgebung müsse deshalb stets eine Abwägung zwischen Nutzenversprechen und Besorgnisgründen stattfinden. Das Hauptanliegen der Innovationsoffensive der FDP sei insofern auch nicht die Förderung von Innovationen, sondern das Zurückdrängen von Regulierungen und Nachhaltigkeitszielen in den Gesetzgebungsverfahren. „Ein so verstandenes Innovationsprinzip ist in meinen Augen sogar innovationsfeindlich“, sagte Esken.
Linke: Wunschzettel großer Wirtschaftsunternehmen
Der Abgeordnete der Linken Niema Movassat, sagte, der Antrag der FDP sei ein „in die parlamentarische Form gegossener Wunschzettel von großen Wirtschaftsunternehmen“. Zahlreiche Konzerne wie BASF, Monsanto, aber auch der Bundesverband der Deutschen Industrie würden seit Jahren fordern, das Innovationsprinzip einzuführen.
Durch das Innovationsprinzip sollten wichtige gesetzliche und Umweltstandards geschwächt werden. Movassat: „Der Begriff Innovation dient hier also in erster Linie als Deckmantel für einen schlechteren Umwelt- und Gesundheitsschutz.“
Grüne: Innovationsprinzip ist ein trojanisches Pferd
Es sei unstrittig, dass man angesichts der Herausforderungen wie Klimakrise, Artensterben, Vermüllung der Meere mit Plastik, innovative Ideen und Techniken brauche. „Was wir aber nicht brauchen, ist ein sogenanntes Innovationsprinzip. Das Innovationsprinzip ist nichts anderes als ein trojanisches Pferd, das den Schutz von Umwelt, Gesundheit und Verbraucherrechten aushebeln soll“, sagte Bettina Hoffmann (Bündnis 90/Die Grünen). Erfunden hätten die Begriffe, die Chemie-, die Kohle- und die Tabakindustrie.
Deren Strategie laute, Innovationen in einen künstlichen Widerspruch zum Vorsorgeprinzip zu stellen und diese damit zu schwächen. Das Vorsorgeprinzip schütze die Verbraucher und dürfe nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. „Wenn wir genau hinschauen, brauchen wir eigentlich mehr Vorsorge“, unterstrich Hoffmann. Jeder habe 200 bis 300 Chemikalien im Körper, die da nicht hingehörten.
Antrag der FDP
Die FDP fordert die Bundesregierung auf, die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) zu ändern und das Programm „Digitale Verwaltung 2020“ zu erweitern, um das Innovationsprinzip in allen Verfahren der Bundesgesetzgebung zu installieren. In der GGO will die Fraktion die Regelung zu den Gesetzesfolgen konkretisieren.
Gesetzesfolgen umfassen beabsichtigte Wirkungen und unbeabsichtigte Nebenwirkungen. Nach Meinung der Liberalen muss dargestellt werden, welche langfristigen Wirkungen ein Vorhaben hat. Die Darstellung der voraussichtlichen Gesetzesfolgen müsse auch Chancen und Risiken abwägen, die sich aus dem Regelungsvorhaben ergeben, um die potenziellen Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeit Deutschlands hinreichend zu berücksichtigen.
Antrag der Grünen
Die Grünen wollen von der Bundesregierung eine Klarstellung, dass das Vorsorgeprinzip an sich und sein Verfassungsrang auf EU-Ebene nicht infrage gestellt werden dürfen und es somit eindeutig über einfacher Gesetzgebung steht. Als Innovationsmotor einer nachhaltigen Entwicklung solle es gestärkt werden.
Die Regierung solle darüber hinaus Innovationen fördern, die zur nachhaltigen Lösung der großen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen beitragen, die Verbraucherrechte wahren und Mensch und Umwelt eine gute Zukunft ermöglichen. In internationalen Handelsabkommen solle es als umfassendes Prinzip verankert werden, heißt es in dem Antrag. (rol/vom/sas/12.04.2019)