Die von der Linksfraktion in einem Gesetzentwurf (19/16) vorgeschlagenen direktdemokratischen Elemente der Volksinitiative, des Volksbegehrens und des Volksentscheids auf Bundesebene sowie die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre und die Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten auf Menschen, die – unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft – seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, stößt bei Experten auf Ablehnung ebenso wie auf Zustimmung. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses unter Vorsitz von Jochen Haug (AfD) am Montag, 18. März 2019, deutlich.
„Versachlichung durch direktdemokratische Verfahren“
Begrüßt wurde der Gesetzentwurf unter anderem von Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie. Während auf Länderebene die parlamentarische Demokratie durch die direkte Demokratie ergänzt worden sei und sich dieses Mittel bewährt habe, fehle auf Bundesebene ein verbindliches Beteiligungsinstrument, sagte er. Befürchtungen, die Möglichkeiten der direkten Demokratie könnten von Populisten missbraucht werden, trat Beck entgegen.
Richtig sei, „dass direktdemokratische Verfahren Populismus entlarven und zur Versachlichung beitragen“. Wichtig sei die Ausgestaltung des Regelwerks. Parlamentarische und direktdemokratische Verfahren müssten stark miteinander verschränkt werden, sagte Beck.
Vor „direktdemokratischer Sackgasse“ gewarnt
Vor einer „direktdemokratischen Sackgasse“ warnte hingegen Prof. Dr. Otto Depenheuer von der Universität zu Köln. Dem Befund, die Demokratie steht derzeit stark unter Druck, stimme er zu. Als Antwort darauf sei aber nicht die direkte Demokratie geeignet, sondern vielmehr der Ausbau der repräsentativen Demokratie, für die sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes bewusst entschieden hätten.
Depenheuer sah auch keinen Bedarf dafür, das Wahlalter abzusenken. Es brauche eine Korrelation zwischen Rechten und Pflichten, sagte er. Wenn also das Recht zur Wahl für 16-Jährige gelten solle, müsse für sie auch das Strafrecht für Erwachsene gelten, was sicherlich „aus guten Gründen“ auf Ablehnung stoßen dürfte.
„Einführung geloster Bürgerräte sinnvoll“
Die Stärkung von Beteiligungsmöglichkeiten im Grundgesetz ist aus Sicht von Katharina Liesenberg vom Verein „mehr als wählen“, einer „Initiative für innovative Demokratie“, sehr zu befürworten. Um aber nachhaltige, informationsbasierte Beteiligung, Meinungsbildung und Entscheidungen sicherzustellen, sei die Einführung geloster Bürgerräte sinnvoll.
Die Anzahl der ausgelosten Teilnehmer an den Räten bemesse sich an der Größe der betroffenen Kommune beziehungsweise der Entscheidungsebene. Mittels qualifizierter Zufallsauswahl würden dabei Alter, Geschlecht und Region berücksichtigt. In besonderen Fällen sei außerdem die bewusste Ansprache unterrepräsentierter Gruppen denkbar, um eine möglichst repräsentative Zusammensetzung dieser Gremien zu gewährleisten, sagte Liesenberg.
„Verstärkte Beteiligung der richtige Ansatz“
Mit Blick auf das verstärkte Beteiligungsbegehren der Bevölkerung sei der Gesetzentwurf der richtige Ansatz, befand Prof. Dr. Hans J. Lietzmann von der Universität Wuppertal. Auf den Brexit eingehend sagte der Verfassungsrechtler, das sei ein Plebiszit und habe nichts mit direkter Demokratie zu tun. „Das ist etwas ganz anderes“, betonte er. Dies hervorzuheben sei wichtig, „weil es die Diskussion sonst vergiftet“.
Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 nannte er „politikwissenschaftlich sinnvoll“. Der Bezug auf das Zivil-oder Strafrecht sei hingegen falsch. Was das Wahlrecht für Ausländer angeht, so regte Lietzmann an, das Bundesverfassungsgericht sollte seine Entscheidung von 1990, wonach Ausländer kein Wahlrecht auf Bundesebene haben, überprüfen.
„Einbindung in Entscheidungsprozesse findet nicht statt“
Ihre Zweifel an der Geeignetheit der direkten Demokratie auf Bundesebene seien durch ihre in der Schweiz gemachten jahrelangen Erfahrungen gewachsen, sagte Prof. em. Dr. Regina Ogorek von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Es werde vielfach „in einer Art Verfassungslyrik“ darüber gesprochen, dass man so einen verantwortungsbewussteren, aufgeklärteren Bürger bekomme. Da müsse jedoch ein Fragezeichen gesetzt werden, sagte sie.
Einbindung in Entscheidungsprozesse etwa finde gar nicht statt. Man habe die Chance, Ja oder Nein zur Vorlage zu sagen, die einige wenige erarbeitet hätten. Zudem hätten Umfragen gezeigt, dass bei wichtigen Abstimmungen mehr als die Hälfte der Teilnehmer nicht gewusst hätten, worüber abgestimmt wurde.
„Einführung eines Ausländerwahlrechts unmöglich“
Die Einführung eines Ausländerwahlrechts „selbst durch verfassungsänderndes Gesetz“ ist aus Sicht des Privatdozenten Dr. Ulrich Vosgerau unmöglich. Die Einführung durch einfache Gesetze wäre in jedem Falle verfassungswidrig, wie auch das Bundesverfassungsgericht geurteilt habe. Der Gedanke, man müsse das Ausländerwahlrecht einfach nur in die Verfassung hineinschreiben, damit das Gericht es nicht als verfassungswidrig bewerten könne, sei „zu kurz gedacht“.
Wenn das deutsche Volk als „verfassungsgebende Gewalt“ vorausgesetzt werde, könne auch der „verfassungsändernde Gesetzgeber“ sein eigenes Legitimationsobjekt „nicht einfach austauschen“, sagte Vosgerau. Es sei nicht möglich, das „deutsche Volk“ anders zu definieren als eine Abstammungsgemeinschaft, wie es die Väter und Mütter des Grundgesetzes getan hätten.
Gesetzentwurf der Linken
Die Fraktion Die Linke will die direkte Demokratie im Grundgesetz stärken. Dazu solle das Grundgesetz „um direkt demokratische Entscheidungen durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid“ ergänzt werden.
„Um sicherzustellen, dass alle von den Entscheidungen betroffenen Einwohnerinnen und Einwohner mit abstimmen können, wird der Kreis der Wahlberechtigten auf alle Menschen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, erweitert“, heißt es in der Vorlage weiter. Wie darin ferner ausgeführt wird, müsse die plebiszitäre Gesetzgebung „die Grundrechte und Grundprinzipien des Grundgesetzes sowie das Europa- und Völkerrecht genauso achten wie die parlamentarische Gesetzgebung“ und der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen. (hau/sto/18.03.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher des Vereins „Mehr Demokratie“, Eisenach
- Prof. Dr. Otto Depenheuer, Universität zu Köln
- Katharina Liesenberg, mehr als wählen, Initiative für innovative Demokratie
- Prof. Dr. Hans J. Lietzmann, Universität Wuppertal
- Prof. em. Dr. Regina Ogorek, Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Dr. Ulrich Vosgerau, Privatdozent