Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen und die Wirksamkeit des Entgelttransparenzgesetzes werden von Sachverständigen und Interessenvertretern höchst unterschiedlich bewertet. Dies zeigte sich in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses unter Vorsitz von Sabine Zimmermann (Die Linke) am Montag, 18. März 2019. Gegenstand waren Anträge der Fraktion Die Linke (19/1005) und Bündnis 90/Die Grünen (19/1192) zur Bekämpfung von Lohndiskriminierung von Frauen.
Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag unter anderem, dass der Auskunftsanspruch über die betriebliche Entlohnung im Entgelttransparenzgesetz für alle Beschäftigten unabhängig von der Betriebsgröße gelten muss, dass Stillschweige-Klauseln in Arbeitsverträgen über die Entlohnung für nicht erklärt werden und alle Unternehmen ab 25 Beschäftigten zu einer verbindlichen und regelmäßigen Überprüfung der Entgeltgleichheit verpflichtet werden. Übereinstimmend fordern Linke und Grüne ein Verbandsklagerecht gegen Lohndiskriminierung.
„Einführung eines Verbandsklagerechts nicht angemessen“
Die Volkswirtin Dr. Christina Boll vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) verwies darauf, dass das im Entgelttransparenzgesetz genannte Lohnbewertungskriterium keine belastbare Aussage über eine Entgeltdiskriminierung zulasse, sondern allenfalls einen Verdacht. Dem trage das Gesetz mit dem individuelle Auskunftsrecht Rechnung. Die Einführung eines Verbandsklagerechts sei hingegen nicht angemessen.
Boll argumentierte, dass der hohe Anteil von teilzeitbeschäftigten Frauen eine der Hauptursachen für die Gehaltsschere von 21 Prozent zwischen Männern und Frauen sei. Zudem sei das Entgelttransparenzgesetz erst im Sommer 2017 in Kraft getreten. Daher sei es noch zu früh, um eine Bewertung bezüglich seiner Wirksamkeit abzugeben.
Arbeitgeber gegen Verschärfung des Entgelttransparenzgesetzes
Auf Seiten der Arbeitgeber stießen die Forderungen der Linken und der Grünen nach einer Verschärfung des Entgelttransparenzgesetzes und einer Einführung eines Verbandsklagerechts durchgehend auf Ablehnung. Claudia Große-Leege vom Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) verwies darauf, dass die Arbeitgeber großen Wert auf eine faire und leistungsgerechte Entlohnung der Beschäftigten unabhängig vom Geschlecht legten. Die unbereinigte Lohnlücke von 21 Prozent zwischen Männern und Frauen sei nicht auf unterschiedliche Gehälter bei gleicher Arbeit und Qualifikation zurückzuführen.
Selbst in der bereinigten Lohnlücke von rund sechs Prozent seien Erwerbsunterbrechungen nicht einbezogen, Frauen seien aber wegen Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen sehr viel öfter von Erwerbsunterbrechungen betroffen. Bei Einberechnung dieser Erwebsunterbrechungen sei die Lohnlücke deutlich kleiner.
„Deutlich geringere Lohnlücke im Osten Deutschlands“
In diesem Sinne argumentierte auch Anja Klie von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die bereinigte Lohnlücke liege zwischen 2,3 und 5,8 Prozent. Deutschland habe in Europa eine der geringsten Lohnlücken. Dieser statistische Wert lasse sich auch nicht automatisch mit Diskriminierung von Frauen in Unternehmen erklären. Klie verwies auf die deutlich geringere Lohnlücke im Osten Deutschlands. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Frauen in den ostdeutschen Bundesländern sehr viel häufiger in Vollzeit beschäftigt seien als in den West-Ländern.
Ebenso wie Große-Leege und Klie lehnte auch Steven Haarke vom Handelsverband Deutschland (HDE) weitere Auflagen für die Arbeitgeberseite ab. Bereits das Entgelttransparenzgesetz habe zu unverhältnismäßig hohen bürokratischen Belastungen geführt. Statt weiter in die Tarifautonomie einzugreifen, sollten ganztägige Betreuungsangebote in Kitas und Schulen ausgebaut werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
„Großteil vom Auskunftsanspruch ausgeschlossen“
Unterstützt wurden die Anträge von Linken und Grünen hingegen von der Arbeitsrechtlerin Gisela Ludewig vom Deutschen Juristinnenbund (djb), der Rechtsanwältin Dr. Lena Oerder von der Düsseldorfer Anwaltskanzlei „silberger.lorenz.towara“, der Rechtswissenschaftlerin und früheren Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts, Prof. Dr. Heide Pfarr, sowie der Wirtschaftswissenschaftlerin und Beraterin Dr. Andrea Jochmann-Döll (GEFA, Forschung und Beratung).
Lena Oerder verwies darauf, dass der Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz nur für Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Angestellten gelte. Damit sei ein Großteil der Beschäftigten von diesem Anspruch ausgeschlossen. Selbst die Europäische Kommission empfehle, diese Schwelle auf 50 Beschäftigte zu senken.
„Unternehmensgröße darf nicht ausschlaggebend sein“
Auch Andrea Jochmann-Döll plädierte dafür, dass die Unternehmensgröße nicht ausschlaggebend sein dürfe bei der Gewährung des Auskunftsanspruch. Das Entgelttransparenzgesetz zeige insgesamt nur geringe Wirkung.
Heide Pfarr plädierte für eine Verpflichtung der Unternehmen, ihre betrieblichen Entgeltsysteme mithilfe zertifizierter Verfahren zu überprüfen. Allein mit einem individuellen Auskunftsanspruch der Beschäftigten lasse sich keine echte Transparenz schaffen. Übereinstimmend forderten Jochmann-Döll, Ludewig, Order und Pfarr ein Verbandsklagerecht gegen Lohndiskriminierung. Der Weg einer individuellen Klage gegen den eigenen Arbeitgeber werde nur von sehr wenigen Frauen eingeschlagen, da diese mit negativen Auswirkungen rechnen müssten.
Antrag der Linken
Die Linksfraktion fordert die Bundesregierung in ihrem Antrag mit dem Titel „Lohndiskriminierung von Frauen beenden – Equal Pay durchsetzen“ (19/1005) auf, einen Gesetzentwurf zur Beseitigung der Lohndiskriminierung einzubringen. Sie weist darauf hin, dass Frauen in Deutschland durchschnittlich noch immer 21 Prozent weniger verdienten als Männer. Deutschland sei Schlusslicht in der Europäischen Union, lediglich in Tschechien und Estland sei der sogenannte „Gender Pay Gap“ noch größer.
Konkret fordert die Linksfraktion, dass der Auskunftsanspruch über die betriebliche Entlohnung für alle Beschäftigten unabhängig von der Größe des Betriebs gelten müsse. Zudem müssten Klauseln in Arbeitsverträgen, die Beschäftigten Stillschweigen über ihr Entgelt vorschreiben, für nichtig erklärt werden. Ebenso müssten alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber ab 25 Beschäftigten verpflichtet werden, die Entgeltgleichheit auf Grundlage eines EU-rechtskonformen Instrumentariums regelmäßig verbindlich zu prüfen. Um einen effektiven Rechtsschutz gegen Entgeltdiskriminierung zu gewähren, sollte nach dem Willen der Linksfraktion ein Verbandsklagerecht eingeführt werden. Verstöße gegen ein solches Entgeltgleichheitsgesetz müssten mit Geldbußen von bis zu 500.000 Euro geahndet werden können.
Antrag der Grünen
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem Antrag mit dem Titel „Entgeltdiskriminierung verhindern – Verbandsklagerecht einführen“ (19/1192) ein Verbandsklagerecht im Fall von systematischer Lohndiskriminierung. Das Entgelttransparenzgesetz solle entsprechend geändert werden. Frauen, die von Lohndiskriminierung betroffen sind, schreckten häufig davor zurück, ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber gerichtlich durchzusetzen. Fehlende finanzielle Mittel und die Tatsache, dass die Arbeitgeberseite über größere Ressourcen an Zeit und Energie verfüge, erwiesen sich als Barriere bei der Durchsetzung bestehenden Rechts, schreibt die Fraktion.
Nach den Vorstellungen der Grünen soll der Betriebsrat, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder ein anerkannter Verband Klage auf Feststellung eines Verstoßes gegen das Entgeltgleichheitsgebot erheben dürfen. Frauen seien auf dem Arbeitsmarkt noch immer benachteiligt und verdienten rund 21 Prozent weniger als Männer, argumentieren die Grünen. Zudem fordern sie, dass der im Entgelttransparenzgesetz verankerte Auskunftsanspruch auf die betrieblichen Entgeltstrukturen, nicht nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten gelten soll, sondern ausgeweitet wird. (aw/19.03.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Christina Boll, Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut
- Claudia Große-Leege, Verband deutscher Unternehmerinnen e. V. (VdU), Berlin
- Steven Haarke, Handelsverband Deutschland (HDE)
- Dr. Andrea Jochmann-Döll, GEFA Forschung + Beratung, Essen
- Anja Klie, Bundesverband de Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
- Gisela Ludewig, Deutscher Juristinnenbund e. V. (djb), Berlin
- Dr. Lena Oerder, silberberger.lorenz.towara, Kanzlei für Arbeitsrecht, Düsseldorf
- Prof. Dr. Heide Pfarr, Kassel