Kontroverse Debatte über Vorlagen zum Atomausstieg
Auf teilweise heftigen Widerspruch stießen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke mit ihrer Forderung, den Atomausstieg zu beschleunigen und in ganz Europa und darüber hinaus voranzutreiben. In zwei Anträgen dazu, die der Bundestag am Donnerstag, 14. März 2019, beriet, hatten beide Fraktionen auf das Atomunglück von Fukushima vor genau acht Jahren verwiesen. Damals hatte ein Seebeben vor der japanischen Küste eine verheerende Tsunamiwelle ausgelöst, der weit mehr als 20.000 Menschen zum Opfer fielen. Im überfluteten Atomkraftwerk von Fukushima kam es zu einer Kernschmelze, weite Landstriche mussten evakuiert werden. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel und die sie tragenden Fraktionen CDU/CSU und FDP war Fukushima Anlass für eine energiepolitische Kehrtwende. Kurz zuvor noch hatten sie den unter Gerhard Schröder beschlossenen Atomausstieg zeitlich gestreckt, nun wurde er beschleunigt.
Grüne fordern weltweiten Atomausstieg
Dass diese Wende aus Parteitaktik und nicht aus Einsicht erfolgte, diese Vermutung äußerte die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl in der Debatte. Sonst, so argumentierte sie, würde die Bundesregierung nicht weiter die Urananreicherung und die Fertigung von Brennelementen für Atomkraftwerke zulassen, und sonst würde sie sich massiver für die Abschaltung von Kernkraftwerken im nahen Ausland einsetzen.
Über die Länder in Europa, die trotz der Havarien von Tschernobyl 1986 und Fukushima 2011 an der Kernenergie festhalten, sagte Kotting-Uhl: „Sie bleiben in der Atomkraft, weil sie mit der Lobby verbandelt sind, weil sie sich vor den Kosten von Rückbau und Endlagerung fürchten, aus Bequemlichkeit, und weil aus Deutschland seit Jahren ein Jammern zu hören ist, dass die Energiewende zu teuer, zu anstrengend sei und der Atomausstieg das Erreichen des Klimaziels behindere.“ Pflicht der Bundesregierung sei es, sich europa- und weltweit „für den Ausstieg aus dieser tödlichen Energie einzusetzen“.
CDU/CSU: Hybris, die uns nicht zusteht
Karsten Möring (CDU/CSU) bekannte sich zum deutschen Atomausstieg. Er teile auch die Meinung, dass die deutsche Politik alles tun müsse, um die Nachbarn zu bewegen, das Maximale für die Sicherheit zu tun. „Wir können sie aber nicht zwingen, zu tun, was wir gerne hätten, nämlich möglichst morgen abschalten oder deutsche Standards zu übernehmen.“ Die Forderung, den Atomausstieg weltweit umzusetzen, sei eine „Hybris, die uns gar nicht zusteht“, betonte Möring. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen ist ein Spruch, der für die Atompolitik nicht geeignet ist.“
Die Forderung von Grünen und Linken nach einem deutschen Ausstieg auch aus der Produktion von Brennelementen nannte Möring eine „symbolorientierte, man kann auch sagen populistische Politik“. Ausländische Kraftwerksbetreiber könnten statt der deutschen auch andere, im Zweifel weniger sichere Brennelemente kaufen. Marie-Luise Dött (CDU/CSU) ergänzte, ein Ausstieg würde Deutschland wichtiger Kompetenzen berauben. Notwendig sei, Forschung und Lehre in der Kerntechnik in Deutschland zu behalten. „Wie sonst sollen wir neue Technologien beurteilen?“, fragte Dött.
AfD: Atomausstieg „Aktion kopfloser Panik“
Für die AfD-Fraktion griff Karsten Hilse die „grünen Gläubigen, die sich in allen Fraktionen eingenistet haben“, an. Der Weltstrahlenschutz-Rat der Vereinten Nationen habe zum Reaktor-Unfall von Fukushima fast 300 wissenschaftliche Publikationen durchforstet mit dem Ergebnis „kein einziges Strahlungsopfer“. Und dabei habe es sich um einen Reaktor aus den fünfziger Jahren gehandelt, der „in Deutschland nie genehmigt worden wäre“. Den deutschen Atomausstieg nach Fukushima nannte Hilse „eine Aktion kopfloser Panik und rein wahltaktisch“. Er wisse, dass bei diesem Thema „viele CDU-Kollegen mit geballter Faust in der Tasche hier sitzen, aber Mutti hat eben gesagt, mit diesem Förmchen spielen wir nicht mehr“.
Dr. Rainer Kraft (AfD) warf den Grünen vor, in ihrem Antrag kein Wort über die Opfer des Tsunamis von 2011 zu verlieren. „Sie instrumentalisieren die Toten der Naturkatastrophe, um ihre ideologische Abneigung von Kernenergie auszuleben.“
Bundesregierung will auf Nachbarn einwirken
Dagegen betonte die Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): „Atomenergie ist ein Irrweg und bleibt ein Irrweg.“ Einige Staaten wollten aber zur Erreichung der Klimaziele weiter auf Atomkraft setzen. Die Bundesregierung kommuniziere bei jeder Gelegenheit gegenüber den Nachbarn, dass sie die Laufzeit älterer Kernkraftwerke nicht verlängern sollten.
Die belgische Regierung, die für zwei Kernkraftwerke Abschalttermine genannt habe, „nehmen wir beim Wort“, erklärte Schwarzelühr-Sutter. Einen Rechtsanspruch gebe es aber nicht.
FDP: Grat zwischen Vorbild und Besserwisser ist schmal
Auch Judith Skudelny (FDP) bekannte sich zu dem seinerzeit von ihrer Fraktion mitbeschlossenen beschleunigten Atomausstieg. Andere Länder sähen das jedoch anders und bauten die Kernenergie aus. In diesem Umfeld müsse Deutschland seine Rolle finden, wie es Einfluss auf die Sicherheitslage nehmen will. „Der Grat zwischen Vorbild und Besserwisser ist sehr schmal“, hob Skudelny hervor.
Die in Deutschland produzierten Brennelemente gehörten zu den sichersten. Wenn man ihre Produktion verbiete, wie es Grüne und Linke fordern, erhöhe man nicht die Sicherheit von Reaktoren in Nachbarländern, sondern verschlechtere sie. „Sie wollen andere belehren, wir wollen die Sicherheitslage ernsthaft verbessern“, rief Skudelny.
Linke fordert Auflösung von Euratom
Dagegen ist nach Ansicht von Hubertus Zdebel (Die Linke) eine Stilllegung der deutschen Brennelemente- und Anreicherungswerke notwendig, um bei der Forderung nach Atomausstieg glaubwürdig zu bleiben. Jahrzehnte nach der Exposion in Tschernobyl litten noch immer Hunderttausende an strahlenbedingten Krankheiten. In Fukushima habe „die Atomenergie 200.000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht“. Die richtige Konsequenz in Deutschland sei der Atomausstieg gewesen.
Aber, beklagte Zdebel, „wirtschaftliche und machtpolitische Interessen stehen nur acht Jahre nach Fukushima in vielen Ländern und bei vielen Interessenvertretern wieder vorne an.“ Die EU-Atomorganisation Euratom gehöre aufgelöst, EU-Subventionen für die Kernkraft beendet. Das könne man aber nur fordern, wenn Deutschland glaubwürdig aussteigt, also auch aus der Produktion von Brennelementen und der Anreicherung.
Gesetzentwurf der Grünen abgelehnt
Der Bundestag lehnte den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/964) ab, in dem ein Aus für Urananreicherung und Brennelementeherstellung in Deutschland bis spätestens Ende 2022 gefordert wird. Gegen den Entwurf stimmten die Koalitionsfraktionen sowie die Fraktionen AfD und FDP, dafür votierten die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag der Linken (19/2520) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der AfD und FDP gegen die Stimmen der Grünen und der Linken. Zu dem Gesetzentwurf der Grünen lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (19/8040) vor.
Zur Begründung ihres Gesetzentwurfs verwiesen die Grünen auf den in Deutschland bereits beschlossenen Atomausstieg zum 31. Dezember 2022. Dieser beziehe sich aber nur auf Kraftwerke und nicht auf die Anreicherung von Uran beziehungsweise die Herstellung von Brennelementen. Da auch von diesen Betrieben atomare und chemotoxische Risiken ausgingen, müsse der Betrieb beendet werden, schreiben die Grünen. Zudem dienten die Produkte aus solchen Anlagen „dem Betrieb von grenznahen ausländischen Atomkraftwerken, deren Betriebsrisiken auch Menschen in Deutschland und die Umwelt betreffen“.
Antrag der Grünen abgelehnt
Gemäß einer weiteren Beschlussempfehlung des Umweltausschusses (19/8039) wurde ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Abschaltung der belgischen Reaktoren Tihange 2 und Doel 3 (19/6107) mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD, und FDP gegen die Stimmen der Linken und Grünen bei Enthaltung eines fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt. Die Grünen verlangten von der Bundesregierung, deren frühere Forderung, die beiden Reaktoren zumindest vorübergehend abzuschalten, beizubehalten.
Mit Blick auf den von den Grünen ebenfalls kritisch beäugten AKW-Neubau Flamanville 3 in Frankreich dürfe sich die Bundesregierung zudem nicht auf den „Verweis nationaler Zuständigkeiten“ zurückziehen. Stattdessen sollte die Bundesregierung nach Auffassung der Grünen „in kohärenter Art und Weise Regelverstöße bei europäischen Reaktoren“ öffentlich benennen.
Antrag der Linken abgelehnt
Nur Die Linke und die Grünen stimmten für den Antrag der Linken (19/2520), wonach die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Stilllegung von Anlagen zur Kernbrennstoffversorgung vorlegen sollte. Auch dazu lag eine Beschlussempfehlung des Umweltausschusses vor (19/8040). Außerdem sollte der Export von Uranbrennstoff für Atomreaktoren im Ausland zukünftig untersagt werden können.
Bislang seien eine Urananreicherungsanlage in Gronau und eine Brennelementfabrik in Lingen vom Atomausstieg ausgenommen. Die Fabriken belieferten jedoch weltweit Atomkraftwerke und stellten deren Weiterbetrieb sicher, so Die Linke in der Begründung des Antrags. Eine Stilllegung der Fabriken sei darum eine konsequente und glaubwürdige Fortsetzung der Politik zum Ausstieg aus der Atomenergie.
Zwei Anträge überwiesen
In erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zur Weiterberatung überwiesen wurden die Anträge der Linken (19/8271) und der Grünen (19/8284), in denen an den Unfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima erinnert wird.
Im Antrag der Linken wird die Auflösung des Euratom-Vertrags gefordert. Stattdessen solle sich die Bundesregierung für den Abschluss eines neuen Vertrags als Grundlage für die Einrichtung einer alternativen Europäischen Gemeinschaft zur Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeinsparung einsetzen. Auch solle eine Regelung des Verbots der Nutzung der Atomenergie zu friedlichen und militärischen Zwecken im Grundgesetz verankert werden.
In ihrem neuen Antrag (19/8284) fordern die Grünen die Bundesregierung unter anderem auf, den durch Atomunfälle betroffenen Menschen und Ländern weiterhin Hilfe und Unterstützung zur Minderung der gesundheitlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen zu gewähren. International solle sich die Regierung für einen möglichst raschen Ausstieg aus der Atomkraft und den Umstieg auf eine Energieversorgung aus erneuerbaren Energien einsetzen. Verlangt wird ferner eine weltweite Ächtung des Uranabbaus. (pst/14.03.2019)