Koalition kündigt Reform der Kinder- und Jugendhilfe an
Die Regierungskoalition will bis zum Ende der Legislaturperiode das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und damit verbunden die Kinder- und Jugendhilfe reformieren. In einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD (19/7904), den der Bundestag am Donnerstag, 21. Februar 2019, gegen die Stimmen der AfD und der Linksfraktion bei Enthaltung der FDP und Bündnis 90/Die Grünen annahm, wird die Bundesregierung aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Zwei Anträge der Linksfraktion (19/7909) und der Grünen (19/7921) wurden zur weiteren Beratung in den Familienausschuss überwiesen.
Koalition: Reform des Kinderschutzes
Nach dem Willen von Union und Sozialdemokraten sollen mit der Reform der Kinderschutz, die Übergänge zwischen den verschiedenen Leistungssystemen, die Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen, die Heimaufsicht und die Unterstützung von Herkunftsfamilien verbessert sowie die Qualifizierung und Unterstützung von Pflegeeltern weiterentwickelt werden.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Caren Marks (SPD), betonte, dass das Ministerium die Fachverbände wie im Koalitionsvertrag vereinbart eng in das Gesetzgebungsverfahren einbinde und auch auf die Erfahrungen von Kindern, Jugendlichen und Familien zurückgreifen und diese wissenschaftlich auswerten werde. Marks verwies darauf, dass in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz bereits wertvolle Vorarbeit geleistet worden sei. Dieses Gesetz hatte der Bundestag zwar im Sommer 2017 verabschiedet, aber der Bundesrat stoppte das Gesetzgebungsverfahren.
Norbert Müller (Die Linke) erklärte, die Koalition habe mit ihrem gescheiterten Gesetzgebungsverfahren in der vergangenen Wahlperiode viel Vertrauen bei den Betroffenen verspielt. Müller warnte vor einer weiteren Aushöhlung des SGB VIII. Die Kommunen hätten in der Vergangenheit zu stark bei den Jugendämtern gespart, so dass jetzt überall das Personal fehle. „Wer an der Kinder- und Jugendhilfe spart, betreibt institutionalisierte Kindeswohlgefährdung“, kritisierte der Abgeordnete. In ihrem Antrag fordert die Linksfraktion ebenfalls eine umfassende Reform des SGB VIII, der die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, auch derer mit Behinderungen, berücksichtigt. Zudem müssten die Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden, ihren Verpflichtungen in der Kinder- und Jugendhilfe nachzukommen.
Grüne und Linke fordern inklusive Reform
Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grünen) brachte ihr Unverständnis über den Koalitionsantrag zum Ausdruck. Einerseits kündige die Staatssekretärin in ihrer Rede an, dass bereits an der Reform der SGB VIII gearbeitet wird, gleichzeitig dringe die Koalition auf sofortige Abstimmung über ihren vorgelegten Antrag ohne über ihn in den Ausschüssen beraten zu wollen. Dörner forderte die Verankerung einer unabhängigen Ombudschaft im SGB VIII, an die sich Kinder, Jugendliche und Familien zur Beratung und zur Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe wenden können. Zudem müssten Kinder und Jugendliche als eigenständige Leistungsberechtigte im SGB VIII gemacht werden. Dörner sprach sich ebenso wie Müller für eine inklusive Lösung bei der Reform aus.
Der FDP-Abgeordnete Daniel Föst begrüßte ausdrücklich die Absicht der Koalition, das SGB VIII reformieren zu wollen. Gleichzeitig monierte er, dass der Antrag „mutlos“ und „unkonkret“ bleibe. Nach neun Jahren Koalition von Union und SPD hätte man ein engagierteres Vorgehen erwarten dürfen. Deutschland stecke zwar 40 Milliarden Euro in die Kinder- und Jugendhilfe, gleichzeitig steige der Reformbedarf in der Kinder- und Jugendhilfe aber täglich, sagte Föst.
AfD: Ideologie sozialistischer Gleichmacherei
Der AfD-Parlamentarier Johannes Huber bezeichnete die Forderungen von Linken und Grünen als „Ideologie sozialistischer Gleichmacherei“. Statt sich Inklusionsträumereien hinzugeben, sollten die Förderschulen für Kinder mit Behinderung mit ausreichend qualifiziertem Fachpersonal ausgestattet werden. Huber sprach sich zudem dagegen aus, Kinder und Jugendliche zu eigenständigen Leistungsberechtigten zu machen. Wer Kinder und Jugendliche stärken und schützen wolle, müsse die Familien von der wachsenden Steuerlast befreien. Zudem müssten gewalttätige Asylbewerber abgeschoben werden.
Marcus Weinberg (CDU/CSU) warb für eine breite und gründliche Debatte über die SGB- VIII-Reform. Der Staat müsse genau abwägen zwischen seiner Wächterfunktion, dem Kindeswohl und den Rechten der Eltern. Die Horrorgeschichten über missbrauchte Kinder in ihren eigenen Familien oder Pflegefamilien seien zwar immer nur Einzelfälle, aber der Staat müsse in solchen Fällen im Sinne der Kinder und Jugendlichen eingreifen.
Die SPD-Abgeordnete Ulrike Bahr sprach sich ebenfalls für eine behutsame Reform des SGB VIII aus. Sie unterstütze die Forderung nach einer flächendeckenden Ombudschaft und nach einer inklusiven Lösung. Die Inklusion sei der „Elefant im Raum“ und der Koalitionsantrag an dieser Stelle zu ungenau, sagte sie selbstkritisch. Zudem müsste verstärkt die Situation von Kindern psychisch kranker Eltern in den Fokus genommen werden. Hier müssten die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Hilfesystemen verbessert werden.
Antrag der Koalitionsfraktionen
CDU/CSU und SPD fordern die Bundesregierung in ihrer Vorlage unter anderem dazu auf, in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, der unter anderem Weiterentwicklungen in den Bereichen Kinderschutz und Kooperation, verbesserte Übergänge zwischen den verschiedenen Leistungssystemen und Inklusion, Fremdunterbringung, Heimaufsicht, Arbeit mit und Unterstützung von Herkunftseltern, Interessenvertretung, Partizipation, Qualifizierung und Unterstützung von Pflegeeltern, Prävention im Sozialraum sowie Weiterqualifizierung der Professionen vorsieht.
Darüber hinaus sollen Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Kindern psychisch kranker Eltern auf der Grundlage der in der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Kinder psychisch kranker Eltern“ erarbeiteten Ergebnisse bei politischen Prozessen in den Gesetzentwurf einfließen. Die Schnittstellenprobleme bei ihrer Unterstützung sollen mit dem Ziel einer besseren Kooperation und Koordination der unterschiedlichen Hilfesysteme beseitigt werden.
Antrag der Linken
Die Linke will, dass die Kinder- und Jugendhilfe als Gesamtsystem gestärkt wird. Die individuellen Bedarfe der Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe seien rechtlich zu stärken. Armutsbedingte Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen wollen die Abgeordneten deutlich abbauen, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten.
Klargestellt werden müsse rechtlich, so die Fraktion, dass die einschlägigen Leistungen nicht auf Freiwilligkeit der öffentlichen Träger beruhen. Auch sollten barrierefreie Strukturen der Mitbestimmung in der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen werden. Den Kinderschutz solle die Regierung auch durch präventive Arbeit stärken und den Datenschutz achten.
Antrag der Grünen
Die Grünen fordern, im SGB VIII einen Rechtsanspruch auf unabhängige und fachlich nicht weisungsgebundene Ombudschaften festzuschreiben. An diese sollen sich junge Menschen und ihre Familien zur allgemeinen Beratung sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe wenden können.
Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren sollten nach dem Willen der Grünen in allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe als Teil der gesetzlich geforderten Qualitätsentwicklung verpflichtend gemacht werden. Die Umsetzung der Verfahren solle überprüft werden. Zudem sollten Kinder und Jugendliche zu eigenständigen Leistungsberechtigten im SGB VIII gemacht werden, was vor allem für Leistungen bei den Hilfen zur Erziehung und beim Recht auf Beratung ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten relevant sei. (sas/aw/21.02.2019)