Karlsruhe erklärt Ausschlüsse vom Wahlrecht für verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat Regelungen im Bundeswahlgesetz zum Ausschluss vom Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. In einem am Donnerstag, 21. Februar 2019, veröffentlichten Beschluss (Aktenzeichen: 2 BvC 62 / 14) hat der Zweite Senat im Verfahren einer Wahlprüfungsbeschwerde von acht Beschwerdeführern entschieden und in sieben Fällen festgestellt, dass sie durch ihren Ausschluss von der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 in ihren Rechten verletzt sind. Konkret geht es dabei um die Regelungen der Wahlrechtsausschlüsse für in allen ihren Angelegenheiten betreute Personen gemäß Paragraf 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes und für Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind (Paragraf 13 Nr. 3 des Bundeswahlgesetzes).
Wahlrechtsausschluss betreuter Personen
Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht könne zwar verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht, heißt es in dem Beschluss. Paragraf 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes genüge aber den Anforderungen an gesetzliche Typisierungen nicht, weil der Kreis der von der Regelung Betroffenen ohne hinreichenden sachlichen Grund in gleichheitswidriger Weise bestimmt werde.
Nach Paragraf 13 Nr. 2 ist derjenige vom Wahlrecht ausgeschlossen, für den „zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist“. Dies gelte auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in Paragraf 1896 Absatz 4 und in Paragraf 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuches bezeichneten Angelegenheiten nicht erfasst. Dies bezieht sich auf die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr des Betreuten und über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten seiner Post (Paragraf 1896 Absatz 4) sowie auf die Sterilisation des Betreuten (Paragraf 1905).
Wahlrechtsausschluss schuldunfähiger Straftäter
Paragraf 13 Nr. 3 des Bundeswahlgesetzes sei schon nicht geeignet, Personen zu erfassen, die regelmäßig nicht über die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügen, schreibt das Gericht. Nach dieser Vorschrift ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer sich auf Grund einer Anordnung nach Paragraf 63 in Verbindung mit Paragraf 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.
Danach ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat und wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm aufgrund seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verletzt
Das Gericht stellt fest, dass die Regelung im Paragrafen 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes sowohl gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes) als auch gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung (Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes) verstößt. Die Vorschrift schränke den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ein, ohne dass dieser Eingriff den Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen an gesetzliche Typisierungen genügenden Weise bewirkt.
Indem sie Personen, für die ein Betreuer zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten bestellt ist, von der Ausübung des Wahlrechts ausschließe, sei die Gewährleistung, dass jeder Staatsbürger sein Wahlrecht in gleicher Weise ausüben kann, betroffen. Dieser Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl sei nicht gerechtfertigt.
Verstoß gegen Benachteiligungsverbot aufgrund einer Behinderung
Die Regelung im Paragrafen 13 Nr. 3 des Bundeswahlgesetzes verstoße ebenfalls gegen verfassungsrechtliche Anforderungen, heißt es weiter. Der Ausschluss des Wahlrechts von Personen, die sich aufgrund einer Anordnung nach den Paragrafen 63 und 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, sei weder mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl noch mit dem Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung vereinbar. Sie greife in den Regelungsgehalt es Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl ein, ohne dass dieser Eingriff durch zwingende Gründe gerechtfertigt wäre.
Auch sei diese Regelung nicht geeignet, Personen zu erfassen, die typischerweise nicht über die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügen. Weder die Feststellung der Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt und die ihr zugrunde liegenden Krankheitsbilder nach Paragraf 20 des Strafgesetzbuches noch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß Paragraf 63 des Strafgesetzbuches erlaubten den Rückschluss auf das regelmäßige Fehlen der für die Ausübung des Wahlrechts und die Erfüllung der Integrationsfunktion der Wahl erforderlichen Einsichtsfähigkeit, heißt es in der Urteilsbegründung.
„Regelung führt zu Ungleichbehandlungen“
Die Regelung führe auch zu Ungleichbehandlungen. Im Ergebnis werde der Kreis der Regelungsbetroffenen in willkürlicher, die Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess unzureichend berücksichtigender Weise bestimmt. Sie verstoße zudem gegen das Verbot einer Benachteiligung wegen einer Behinderung.
Der Ausschluss von Personen vom Wahlrecht, die wegen einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Straftat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, entziehe Menschen mit Behinderungen das zentrale demokratische Mitwirkungsrecht. Dieser Eingriff in den Schutzgehalt von Artikel 3 Absatz Satz 2 des Grundgesetzes sei nicht gerechtfertigt. (vom/21.02.2019)