Die Fraktionen im Bundestag sehen die Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten Brexits mehrheitlich steigen, lehnen jedoch ein Aufschnüren des bereits ausgehandelten, aber vom britischen Unterhaus am 15. Januar abgelehnten Austrittsabkommens ab. Nach rund einstündiger Debatte nahmen sie am Donnerstag, 17. Januar 2019, außerdem mit breiter Mehrheit und gegen die Stimmen der AfD das von der Bundesregierung vorgelegte sogenannte Brexit-Übergangsgesetz (19/5313) auf Empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (19/7087) an, das Vorkehrungen für den vereinbarten zweijährigen Übergangszeitraum nach dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens Ende März trifft.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Unter anderem sollen Bestimmungen im Bundesrecht, die auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union oder in der Europäischen Atomgemeinschaft Bezug nehmen, während dieser Zeit auch Großbritannien erfassen.
Für britische Einwanderungsbewerber in Deutschland und deutsche Einwanderungsbewerber im Vereinigten Königreich, die ihren Antrag noch vor Ablauf des Übergangszeitraums gestellt haben, soll der Zeitpunkt der Antragstellung gelten, auch wenn es längere Bearbeitungszeiten geben sollte. Eine daraus resultierende Mehrstaatlichkeit soll hingenommen werden. Das Gesetz wird erst ab dem Tag gelten, an dem das geplante Austrittsabkommen in Kraft tritt, also mutmaßlich am 30. März.
FDP: Völlig obsoletes Gesetz
Für die Liberalen kritisierte Alexander Graf Lambsdorff die Bundesregierung scharf für ihre „Vogel-Strauß-Politik“ beim Brexit. Das von ihr vorgelegte Übergangsgesetz tue so, als hätte das britische Unterhaus dem Austrittsabkommen zugestimmt. Das sei aber nicht der Fall, insofern sei das Gesetz „völlig obsolet“.
Er forderte die Bundesregierung auf, in allen Bereichen schnellstmöglich Vorkehrungen für einen ungeregelten Austritt Großbritanniens zu treffen.
Minister: Sind auf alle Szenarien vorbereitet
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) versicherte unterdessen, die Bundesregierung intensiviere ihre Planungen für einen ungeregelten Brexit. „Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet“, betonte er. Zugleich forderte der Minister das Vereinigte Königreich auf, klar zu sagen, welche Lösung es anstrebe. „Die Zeit der Spielchen, die ist jetzt vorbei, der Ball liegt im Feld Großbritanniens.“
Die EU sei bereit, sich einen von der britischen Premierministerin Theresa May für den 21. Januar angekündigten Vorschlag für das weitere Vorgehen „sehr genau anzuschauen“, ergänzte er. „Kaum vorstellbar“ sei allerdings, dass der ausgehandelte Brexit-Vertrag „noch einmal aufgeschnürt wird“.
CDU/CSU: Austrittsdeal ein sehr gutes Abkommen
Ähnlich äußerten sich CDU/CSU und Grüne. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU) nannte den Verlauf der Brexit-Verhandlungen „tragisch und erschreckend“, betonte aber, ihre Fraktion sei nicht bereit zu substanziellen Veränderungen am Austrittsdeal.
Dieses sei schon „ein sehr gutes Abkommen“.
Grüne: Abkommen nicht nachverhandeln
Dr. Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, der Brexit zeige „wie unter einem Brennglas, wohin uns nationaler Chauvinismus und Populismus führen“. Sie betonte, jetzt liege ein konkretes Austrittsabkommen vor, über das die britische Bevölkerung in einem zweiten Referendum entscheiden könne.
Das Abkommen selbst dürfe nicht nachverhandelt werden.
AfD: EU-Bürokratie nicht alternativlos
Anders sehen dies AfD und Linke. Martin Hebner (AfD) warf EU und Bundesregierung vor, eine „schmutzige Scheidung“ zu forcieren, um andere Mitgliedstaaten abzuhalten, dem Beispiel des Vereinigten Königreichs zu folgen.
Seine Fraktion wolle den Briten, die wieder Kontrolle über ihr Land übernehmen wollten, „unbedingt helfen“. Die EU-Bürokratie sei schließlich „nicht alternativlos“, betonte Hebner.
Linke: Nachverhandeln ist jetzt die Devise
„Neu verhandeln ist jetzt die Devise“, forderte für Die Linke auch Dr. Diether Dehm. Einen knallharten Brexit mit dem Ziel „andere Völker abzuschrecken und auf EU-Linie zu bringen“ dürfe es nicht geben. Mit einer solchen „Konzernherren-Manier“ drohe die „undemokratische und kapitalliberale EU“ restlos gegen die Wand zu fahren, warnte er.
Entschließungsantrag der FDP abgelehnt
Abgelehnt wurde zudem mit den Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Linke gegen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der AfD ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion (19/7090). Sie hatte darin gefordert, im Gespräch mit den Briten dafür zu werben, dass dem Vereinigten Königreich der Weg einer Rücknahme von Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union offen bleibt. Nachverhandlungen des Austrittsabkommens sollte der Bundestag jedoch ablehnen.
Ferner trat die FDP für einen Sondergipfel der 27 übrigen EU-Staaten ein, um einen ungeregelten Brexit vorzubereiten, falls das britische Parlament das Austrittsabkommen nicht doch noch annimmt. Beschleunigt werden sollten die Vorbereitungen auf einen ungeregelten Brexit auf allen Ebenen, um den zu erwartenden Schaden für Bevölkerung, Wirtschaft und öffentliche Sicherheit zu minimieren, schreibt die Fraktion. (joh/ahe/hau/17.01.2019)