Chemnitz dominiert die Generalaussprache des Bundestages
Die Migrationspolitik und jüngste Gewalttaten in Chemnitz sowie in anderen Orten haben die Generaldebatte über den Bundeshaushalt 2019 bestimmt. Beraten wurden dabei auch der im Regierungsentwurf für den Haushalt 2019 (19/3400, 19/3401) enthaltene Etat von Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt (Einzelplan 04), der Ausgaben in Höhe von 3,1 Milliarden Euro (2018: 3,04 Milliarden Euro) vorsieht.
Oppositionsführer Dr. Alexander Gauland (AfD) eröffnete die Debatte am Mittwoch, 12. September 2018, mit scharfen Angriffen auf die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU). Merkel verbarrikadiere sich im Kanzleramt vor der Wirklichkeit, erklärte Gauland. Anderen Fraktionen warf er vor, „die Opposition zu kriminalisieren, in dem sie eine Art Volksfront gegen die AfD aufbauen“, und so zu tun, als gebe es nur eine Wahl zwischen Multikulturalismus und Faschismus. „Dass man auch leben kann wie Schweizer, Dänen oder Schweden, kommt Ihnen nicht in den Sinn.“
AfD: Bürger machen von Grundrecht Gebrauch
Gauland zählte verschiedene Gewalttaten von Migranten in jüngster Zeit auf und erklärte: „Wie ideologisch verbohrt, wie verfangen im politischen Taktieren muss man sein, wenn die erste Reaktion auf die Ermordung eines Landsmannes die Sorge ist, der Tod könne dem politischen Gegner nutzen?“ Er kritisierte, dass Merkel eine Demonstration in Chemnitz, wo Migranten zuvor mutmaßlich einen jungen Mann getötet und zwei weitere schwer verletzt hatten, als „Zusammenrottung“ kritisiert habe. Der Begriff „Zusammenrottung“ stamme auch dem DDR-Strafgesetzbuch. „Wenn Bürger von ihrem Grundrecht Gebrauch machen und die Regierungschefin das im Duktus eines totalitären Staates brandmarkt, sollten die Alarmglocken bei uns allen in diesem Hause läuten“, so Gauland.
Hitler-Grüße und „Ausländer raus“-Schreie habe es von einer Minderheit gegeben, sagte Gauland. So widerlich solche Hitlergrüße seien, „das wirklich schlimme Ereignis in Chemnitz war die Bluttat zweier Asylbewerber“. Hetzjagden habe es in Chemnitz nicht gegeben, sagte Gauland unter Berufung auf Äußerungen von Landesregierung bis Polizeibehörden.
Kanzlerin: Täter mit der Härte des Gesetzes bestrafen
Merkel sagte in ihrer Rede: „Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter.“ Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebe und arbeite für ein gutes und tolerantes Miteinander. Deutschland sei eines der sichersten und wohlhabendsten Länder der Welt, unterstrich die Kanzlerin. Sie zeigte aber auch Verständnis, dass viele Menschen durch Straftaten aufgewühlt seien, bei denen die mutmaßlichen Täter Asylsuchende waren. „Solche Taten machen mich betroffen und machen uns alle betroffen“, sagte Merkel, die sich für eine Bestrafung der Täter „mit der Härte des Gesetzes“ aussprach.
Demonstrationen seien ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht. „Es gibt aber keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Naziparolen, Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, für Angriffe auf Polizisten.“ Die Kanzlerin versicherte, es werde nicht zugelassen, dass klammheimlich ganze Gruppen aus der Gesellschaft ausgegrenzt würden. Sie erwähnte besonders Juden und Muslime. Aber auch Pauschalurteile über Gruppen oder Länder wie Sachsen seien „falsch und völlig unangebracht“.
FDP fordert Zusammenschluss der Demokraten
Versagen im Umgang mit der AfD warf Christian Lindner, Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP, den anderen Parteien vor. Notwendig sei ein Zusammenschluss der Demokraten jenseits der parteipolitischen Parolen, um sich der „Herausforderung des Populismus“ zu stellen. Dazu seien die Grünen aber nicht in der Lage. Zur Äußerung von Innenminister Horst Seehofer (CSU), die Migration sei die Mutter aller politischen Probleme, sagte der FDP-Chef, nicht die Migration, sondern das schlechte Management der Migration sei das Problem.
Lindner kritisierte andererseits, dass die Debatte allein von der Migrationsthematik bestimmt werde. Die Menschen hätten kein Verständnis, „wenn wir uns nur beschäftigen mit den ritualisierten Empörungen der AfD und den ritualisierten Antworten darauf“.
Linke: Nicht Migration, Kriege sind das Problem
Wie Lindner griff auch Dr. Dietmar Bartsch, der Vorsitzende der Linksfraktion, Seehofer an.
Seehofer diskriminiere 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Nicht die Migration, sondern die Kriege in der Welt seien das Problem.
SPD: AfD hat in Chemnitz ihre Maske fallen gelassen
Für die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hat die AfD in Chemnitz ihre „Maske fallen gelassen“, indem sie Seite an Seite mit Neonazis marschiert sei. Die AfD verhöhne die gemeinsamen Werte, Kreistagsfraktionen würden die rechte Revolution ausrufen und zum Sturm auf Funkhäuser aufrufen. „Wer Sie unterstützt, der öffnet Nazis in unserem Land wieder Tür und Tor. Das kann kein Demokrat, keine Demokratin in unserem Land wollen.“
Auch CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder erklärte mit Blick auf die AfD: „Die Maske der Bürgerlichkeit ist gefallen. Sie sind keine bürgerlichen Patrioten.“
Grüne loben breite Allianz für Mitmenschlichkeit
Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, forderte, Demokratinnen und Demokraten müssten zusammenstehen gegen Antidemokraten, Antisemiten, gegen die Rechtsradikalen und „gegen den parlamentarischen Arm dieser Hetzer, gegen die AfD“. Es sei gut, dass es eine breite Allianz für Mitmenschlichkeit gebe. „Das ist gut und das macht Mut“, erklärte Göring-Eckart, die allerdings Seehofer vorwarf, das gefährliche Spiel der sprachlichen Eskalation immer weiter zu treiben. Seehofer, der als Innenminister schützen und befrieden sollte, schüre Unsicherheit und Zerrissenheit und lasse Hans-Georg Maaßen, den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, im Amt, der immer wieder lüge. Man müsse die Frage stellen, ob Maaßen vielleicht mit der Kritik an einem Demonstrationsvideo davon ablenken wolle, dass rechte Hetzer in Chemnitz unterwegs gewesen seien und dass sie nicht gehindert worden seien, den Hitler-Gruß offen zu zeigen.
Auch Nahles hatte sich kritisch über Maaßen geäußert. Der Verfassungsschutz habe Vertrauen verspielt, beklagte sie. Bartsch sagte über Maaßen: „Das Maß ist voll, und es muss personelle Konsequenzen geben.“ Statt sich zum Antisemitismus zu äußern, verunsichere, diskreditiere und beschwichtige er nur.
CDU/CSU: Straftäter schneller abschieben
Kauder kritisierte die in der Debatte laut gewordenen Rücktrittsforderungen gegen Maaßen. Erst werde eine Sitzung des Innenausschusses verlangt, wo Maaßen sich erklären solle. Ehe er sich erklären könne, gebe es aber schon Rücktrittsforderungen. „Das ist kein fairer Umgang. So kann man nicht arbeiten. Das ist auch ein Vertrauensverlust“, erklärte Kauder.
Kauder bezeichnete es zudem als nicht akzeptabel, dass es nach Tötungsdelikten und schwerer Kriminalität immer wieder heiße, einer der Täter hätte schon längst abgeschoben werden müssen. Er verlangte eine „große Kraftanstrengung“, um Straftäter schneller abschieben zu können. (hle/12.09.2018)