Opposition kritisiert Kindergelderhöhung als Blendwerk
Die Bundesregierung will mehr für Familien tun: Kindergeld und -freibetrag sollen erhöht werden, der steuerliche Grundfreibetrag soll steigen, und auch die heimlichen inflationsbedingten Steuererhöhungen durch die Inflation (kalte Progression) sollen ausgeglichen werden. Für ganz viele Menschen „wird deutlich mehr Geld in der Tasche sein“, lobte Christine Lambrecht (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, am Donnerstag, 11. Oktober 2018, bei der ersten Lesung des Familienentlastungsgestzes (19/4723). Das Echo der Oppositionsfraktionen war selten so einmütig und reichte von Vorwürfen, es handele sich um Stückwerk oder Blendwerk, bis zum Hinweis, der ganze Entwurf sei „Quatsch“ oder ein „Marketing-Gag“.
Ministerium: Guter Tag für Familien in Deutschland
Lambrecht sagte an die Adresse der Kritiker, eine Entlastung um 500 Euro im Jahr sei für Familien mit 40.000 Euro Jahreseinkommen und zwei Kindern „eine ganze Menge Geld“. Auch gegen die kalte Progression werde was getan. Viele Menschen hätten das Gefühl, von den Lohnerhöhungen bleibe nichts übrig. Die Koalition sorge mit dem Gesetz jetzt dafür, dass die Menschen von den Lohnerhöhungen „tatsächlich etwas haben“.
Michael Schrodi (SPD) sprach von einem „guten Tag für Familien in Deutschland“. Es sei zudem im Koalitionsvertrag eine weitere Erhöhung des Kindergelds um 15 Euro für das Jahr 2021 vereinbart worden.
CDU/CSU: Zentrales Entlastungsprojekt der Koalition
„Wir setzen heute eine Milliarden-Entlastung auf die Schiene und helfen damit konkret“, erklärte Johannes Steiniger (CDU/CSU). Die Union habe die Erhöhung im Wahlkampf versprochen. „Wir halten Wort. Ihr könnt uns auf euch verlassen. Wir kümmern uns um die diejenigen, die unsere Gesellschaft am laufen halten.“ Das seien die Familien.
Dieses Gesetz sei das „zentrale Entlastungsprojekt der Koalition“, sagte Steiniger, der auch auf die geplante weitere Erhöhung des Kindergeldes um 15 Euro hinwies.
AfD: Familienpolitik der Koalition ist teuer und ineffizient
„Das Familienentlastungsgesetz verdient weder den Namen noch stellt es eine Entlastung im wesentlichen Wortsinne dar“, stellte Kay Gottschalk (AfD) fest. Es werde nur korrigiert, was das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung „aufgrund ihrer unermesslichen Steuergier“ ins Stammbuch geschrieben habe, nämlich die Freistellung des Existenzminimums und die damit verbundene Erhöhung des Kindergeldes.
Die Familienpolitik der Koalition sei nach Expertenangaben teuer und ineffizient. Das zeige, dass die Koalition „reformunwillig und reformunfähig“ sei. Der Entwurf sei ein Flickenteppich, Etikettenschwindel und Stückwerk ohne Ziel und Kompass.
FDP: Keine echte Entlastung von Familien
Ähnlich drastisch kritisierte Christian Dürr (FDP): „Die Entlastung unserer Mitte ist für Angela Merkel seit 13 Jahren immer nur ein Wahlkampf-, aber kein Regierungsthema. Das ist die Wahrheit“. Dass es hier um Entlastung von Familien gehe, „das ist Quatsch“. Bei der kalten Progression oder beim Kindergeld „tun Sie ausschließlich das, was verfassungsrechtlich geboten ist“.
Die Koalition wolle sich dafür feiern lassen, dass sie nicht gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstoße. Dabei schwimme die Regierung im Geld. Die Einnahmen des Staates würden in dieser Legislaturperiode um 350 Milliarden Euro steigen. „Was Sie den Menschen hinwerfen, sind Brotkrumen“, kritisierte Dürr.
Linke kritisiert Kinderarmut in Deutschland
Fabio De Masi (Die Linke) wies auf die Kinderarmut in Deutschland hin. Jedes fünfte Kind lebe in Armut. „Das ist ein Skandal und gefährdet die Zukunft dieses Landes.“ Das Familienentlastungsgesetz müsse sich an dem Anspruch messen lassen, ob es Kinder stärke. „Ein Gesetz, das das Kind eines Bundestagsabgeordneten stärkt oder einen Spitzenverdiener entlastet, wird diesem Anspruch nicht gerecht.“
Während die Kindergelderhöhung um zehn Euro bei Hartz IV komplett angerechnet werde, „profitieren Spitzenverdiener durch die Anhebung des Kinderfreibetrages mit bis zu 182 Euro im Jahr am stärksten“. Mit den Tarifänderungen wegen der kalten Progression würden Spitzenverdiener mit bis zu 676 Euro pro Jahr entlastet. Auf mittlere Einkommen entfalle nicht einmal die Hälfte der Entlastung. Man brauche keinen Ausgleich der kalten Progression für Spitzeneinkommen.
Grüne: Wohlhabende werden deutlich entlastet
Von einem „großartigen Marketing-Gag“ sprach Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grüne). Bei den Maßnahme handele es sich um eine neue Verpackung für etwas, was der Bundestag seit 1996 in steter Regelmäßigkeit tue und normalerweise nicht einmal ein Extra-Gesetz sei. In Wirklichkeit sei dies ein Gesetz zur Verhinderung verfassungswidriger Steuermehrbelastungen. Das wäre der richtige Titel gewesen. Diesen Politikstil finde sie nur zum Fremdschämen.
Der Name sie auch deswegen falsch, weil das meiste Geld gar nicht speziell an Familien gehe, sondern an alle Steuerzahler. „Und vor allem: Arme Familien bekommen von diesem Gesetz nicht einen einzigen Euro.“ Kinder aus Hartz IV Familien würden leer ausgehen. Auch gebe es keine Anpassung des Freibetrages für Alleinerziehende. Dagegen würden Wohlhabende deutlich entlastet, kritisierte Paus.
Gesetzentwurf der Regierung
Mit dem zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Entlastung der Familien sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen soll die Steuerbelastung in den Jahren 2019 und 2020 um rund 9,8 Milliarden Euro (volle Jahreswirkung) sinken. Zu den einzelnen Maßnahmen gehört eine Erhöhung des Kindergeldes um zehn Euro monatlich ab 1. Juli 2019. Außerdem werden die steuerlichen Kinderfreibeträge ab 1. Januar 2019 von derzeit 7.428 um 192 auf 7.620 Euro angehoben. Zum 1. Januar 2020 steigt der Kinderfreibetrag weiter um 192 Euro auf dann 7.812 Euro. Zur Sicherstellung der Freistellung des steuerlichen Existenzminiums wird der Grundfreibetrag (derzeit 9.000 Euro) erhöht. 2019 erfolgt eine Erhöhung um 168 Euro, 2020 um 240 Euro. Um den Effekt der „kalten Progression“ auszugleichen, werden außerdem die Eckwerte des Einkommenstarifs verschoben, wodurch es zu einer Entlastung der Steuerzahler kommt.
Zu den einzelnen Maßnahmen gehört eine Erhöhung des Kindergeldes um zehn Euro monatlich ab 1. Juli 2019. Allein dies führe zu Mehrausgaben von rund 3,3 Milliarden Euro, erwartet die Bundesregierung, die die Bedeutung der familienpolitischen Maßnahmen betont: „Familien halten unsere Gesellschaft zusammen. Familien zu stärken und zu entlasten, ist deshalb ein wichtiges Ziel.“ Die Erhöhung des Kindergeldes führt im Gegenzug allerdings zu einer Anrechnung bei den Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende, so dass der Staat dort 2019 rund 130 Millionen Euro und ab 2020 rund 260 Millionen Euro spart.
Der Bundesrat begrüßt in seiner Stellungnahme die Erhöhung des Kindergeldes. Zugleich wird die Regierung aber aufgefordert, dass sich Bund dauerhaft an den Kosten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung von jährlich mindestens zwei Milliarden Euro beteiligt. In ihrer Gegenäußerung stellt die Bundesregierung fest, sie sehe derzeit keinen Grund für eine Verbindung des Familienentlastungsgesetzes mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung. (hle/hau/11.10.2018)