Merkel warnt vor einer Schwächung der deutschen Autofirmen
Mit einer betont scharfen und streckenweise auch polemischen Rede hat Oppositionsführerin Dr. Alice Weidel (AfD) die Generalaussprache zur Regierungspolitik am Mittwoch, 16. Mai 2018, eröffnet.
AfD wirft Großer Koalition „Tarnen und Täuschen“ vor
Weidel warf der Großen Koalition von Union und SPD „Tarnen und Täuschen“ in der Haushaltspolitik vor. Im Bundeshaushalt würden nicht alle Ausgaben aufgeführt. So würden 30 Milliarden Euro, die Deutschland nach Brüssel transferiere, im Budget ebenso verschwiegen wie die Haftungen und Garantien für andere Länder und Garantien für Euro-Rettungsfonds – „ganz zu schweigen von den Target-2-Salden, mit denen wir unsere Exporte selbst bezahlen“. Die Koalition hinterlasse den nächsten Generationen unter Einbeziehung der Sozialversicherung sieben Billionen Euro Gesamtschulden.
Eine „absurde Steuerpolitik“ belaste vor allem kleine und mittlere Einkommen sowie besonders Familien. Zusätzlich bluten müssten die Steuerzahler mit dem Abschmelzen ihrer Ersparnisse durch die Nullzinspolitik. „Der Staat entschuldet sich also auf Kosten der Sparer und Steuerzahler“. Das Reden über die „schwarze Null“ sei nicht sozial, sondern Steuerzahler-Ausbeutung nach Gutsherrenart. „Während die Infrastruktur diese Landes zerfällt, der Staat seine Bürger nicht mehr schützen kann, fließen Abermilliarden in die Aufnahme und Alimentierung illegaler Einwanderer und in die Sozialsysteme.“ Das sei keine zukunftsorientierte Politik, kritisierte Weidel und fuhr fort: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“
Ordnungsruf für Alice Weidel
Für diese Bemerkung, die zu tumultartigen Szenen bei den anderen Fraktionen geführt hatte, bekam die AfD-Abgeordnete von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble einen Ordnungsruf. Weidel diskriminiere alle Frauen, die ein Kopftuch tragen würden, sagte Schäuble. Wie der Bundestagspräsident zu Beginn der Plenarsitzung am Donnerstag, 17. Mai, mitteilte, hat Alice Weidel fristgerecht Einspruch gegen den Ordnungsruf eingelegt. Darüber soll am 17. Mai im Anschluss an die abschließenden Beratungen ohne Aussprache gegen 12.40 Uhr abgestimmt werden.
Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion ging auf die „Kopftuchmädchen“-Äußerung von Alice Weidel ein: Wie die AfD-Politikerin über andere Menschen gesprochen habe, habe nichts mit einem christlichen Menschenbild zu tun. „Was Sie heute gemacht haben, ist das glatte Gegenteil davon, und dafür sollen Sie sich schämen“, so Kauder.
Kanzlerin: Eurozone krisenfest machen
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) ging in ihrer Rede auf die Vorwürfe der Oppositionsführerin nicht ein. Sie nutzte die Debatte über den Haushalt des Kanzleramts (Einzelplan 04), der gemäß dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung (19/1700) für 2018 Ausgaben in Höhe von 2,92 Milliarden Euro und damit 122,41 Millionen Euro mehr als im Vorjahr (2,8 Milliarden Euro) vorsieht, zu einer generellen Darstellung ihrer Politik und streifte auch den Haushalt nur kurz.
Haushalt 2018 und mittelfristige Finanzplanung würden „außerordentlich erfreuliche“ Daten aufweisen. Im nächsten Jahr werde die Gesamtverschuldung unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (der in der Europäischen Währungsunion zulässigen Höchstgrenze) sinken. 2012 habe sie noch bei knapp 80 Prozent gelegen. „Dass wir das schaffen, ist nichts anderes als Generationengerechtigkeit pur“, sagte Merkel. In der Europapolitik sprach sie sich für den Umbau des Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds aus. Die Eurozone müsse gestärkt und krisenfest gemacht werden.
„Es geht ganz einfach um Ausrüstung“
In der Wirtschaftspolitik warnte die Kanzlerin vor einer Schwächung der deutschen Autofirmen. Sie bezeichnete den Aufwand für die technische Umrüstung von Dieselmotoren, die jahrelang Ingenieurkapazitäten binde, als sehr hoch. Es dürfe aber nicht sein, dass die Autoindustrie so durch politische Maßnahmen geschwächt werde, „dass sie keine Kraft mehr hat, in die eigentlichen Zukunftsinvestitionen etwas hineinzustecken“.
Unterschiedliche Positionen zum Koalitionspartner SPD wurden in den Ausführungen der Kanzlerin zur Bundeswehr-Finanzierung deutlich. Sie sprach sich für höhere Investitionen in das Militär aus. Es gehe „nicht um Aufrüstung, sondern es geht ganz einfach um Ausrüstung“.
„Wir sollten zu den Ankerzentren stehen“
Ausführlich ging die Bundeskanzlerin auf internationale Entwicklungen ein wie die Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch die USA, die sie bedauerte. Die Kanzlerin bekannte sich zur Verantwortung für die europäische Nachbarschaft und nannte besonders Syrien und Afrika. Zugleich sprach sie sich für Regelung und Steuerung der Migration aus.
Auf die Kritik aus der SPD an den geplanten Ankerzentren, aus denen abgelehnte Asylbewerber nach kurzem Verfahren abgeschoben werden sollen, reagierte sie mit dem Hinweis: „Ich finde, jetzt sollten wir auch alle dazu stehen.“ Auch ihren Innenminister Horst Seehofer (CSU) nahm sie vor Kritik wegen der Missstände im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wo offenbar ungeprüft Asylanträgen stattgegeben wurde. Die Regierung sei noch keine 100 Tage im Amt, und wenn jetzt gesagt werde, Seehofer habe die Sache nicht im Griff, sei das ein „bisschen komisch“.
FDP droht mit einem Untersuchungsausschuss
„Diese Vorgänge müssen restlos aufgeklärt werden“, verlangte FDP-Fraktionschef Christian Lindner zur Bamf-Affäre. Seehofers Aufklärungswille überzeuge ihn nicht, sagte Lindner, der warnte: „Sie sind einen Schritt entfernt von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.“ Insgesamt warf Lindner Merkel Führungsschwäche vor und forderte: „Führen Sie. Führen Sie dieses Land.“
Besorgt zeigte sich der FDP-Fraktionschef über die Entwicklung in Europa. In Italien sei von einer Schuldenreduzierung durch die Europäische Zentralbank in Höhe von 250 Milliarden Euro die Rede. Vor diesem Hintergrund hätte er sich ein klares Wort zur Eigenverantwortung gewünscht. Auch das Bekenntnis zu höheren Zahlungen an die EU bezeichnete Lindner als falsch. Kein anderes Land habe sich so verhalten. Deutschland habe die „schlechtmöglichste Verhandlungsposition“.
Die Ausgabenpolitik der Regierung sei „Kamelle-Politik“, kritisierte Lindner. 2007 hätten die Gesamteinnahmen 540 Milliarden Euro betragen, 2020 würden es 905 Milliarden Euro sein. Es hätte nicht nur eine „schwarze Null“ geben dürfen, sondern Überschüsse seien „möglich und nötig“. Stattdessen gebe es 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Lindern verlangte auch Steuersenkungen: „Wir können es uns nicht leisten, die höchsten Steuersätze der Welt zu haben.“
SPD gegen höheren Verteidigungsetat
Lindner habe nicht ein gutes Wort zu Europa gefunden, kritisierte die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles. Dabei seien mehr Zusammenarbeit und mehr finanzielles Engagement Deutschlands auf europäischer Ebene erforderlich. Die von der Unionsfraktion geforderte Erhöhung des Verteidigungsetats lehnte Nahles ab.
In den letzten Jahren seien die Mittel für Verteidigung nicht einmal ausgeschöpft worden. Die SPD-Politikerin lobte die Beschlüsse zu Verbesserungen in der Pflege und zusätzlichen Stellen bei Justiz und Polizei. Der Rechtsstaat werde nicht aufgegeben. „Wir packen die großen Themen an und wir handeln“, versicherte sie.
Linke fordert Stopp deutscher Waffenlieferungen
Dr. Sahra Wagenknecht (Die Linke) begrüßte Merkels Kritik an der Iran-Politik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Eine eigenständige und selbstbewusste europäische Außenpolitik fordere Die Linke schon lange, so Wagenknecht. „Und wir sind froh, dass wir mit dieser Politik heute nicht mehr alleine stehen.“ Sie kritisierte den letzten Militärschlag in Syrien als völkerrechtswidrig und fordert einen Stopp deutscher Waffenlieferungen „in dieses Pulverfass“. Deutschland liefere Diktatoren wie Erdoğan oder den Saudis „genau die Waffen, die sie brauchen, um ihre blutigen Kriege in Syrien oder im Jemen zu führen“.
Wagenknecht kritisierte die zu geringen Investitionen und sagte, diese „grandiose Mannschaft von schwarzen und roten Nullen schaut lieber weiter zu, wie Straßen und Brücken und öffentliche Gebäude verrotten, wie innovative Unternehmen am langsamen Internet verzweifeln und wie Funktelefonate in Deutschland in manchen Gegenden anstrengender sind als in vielen Entwicklungsländern“.
Grüne: Haushalt gefangen in alten Routinen
Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Regierung vor, die Umbruchsituation in Deutschland nicht zu erkennen. Der Haushalt sei nicht für die Zukunft gemacht, sondern sei gefangen in den alten Routinen. Unzureichend seien die geplanten Maßnahmen gegen steigende Mieten und den Wohnungsmangel. Für das Baukindergeld seien 22 Milliarden Euro eingeplant, „die keinem einzigen helfen, der die Miete nicht mehr bezahlen kann“.
Zur Europapolitik sagte sie, eine Friedensmacht sei Deutschland nicht, indem über Europa und eine gemeinsame Außenpolitik geredet und auf der anderen Seite nur der Etat der Bundeswehr aufgestockt werde, die einen „verdammt schlechten Umgang“ mit ihren Finanzmitteln habe. Europa müsse „groß gedacht“ werden – als Gegenüber für Trump und als Unterstützung für die Zivilgesellschaft in den USA.
Knapp die Hälfte des Etats für Kultur und Medien
Gut die Hälfte der geplanten Ausgaben sind für die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Staatsministerin Professor Monika Grütters (CDU), eingeplant, nämlich 1,5 Milliarden Euro (2017: 1,46 Milliarden Euro), von denen 1,19 Milliarden Euro (2017: 1,07 Milliarden Euro) Zuweisungen und Zuschüsse sind. Auf die Kulturförderung im Inland entfallen 546,28 Millionen Euro (2017: 460,56 Millionen Euro), auf den Auslandsrundfunk (Hörfunk und Fernsehen) 325,3 Millionen Euro (2017: 331,34 Millionen Euro). 300,93 Millionen Euro (2017: 298,78 Millionen Euro) gehen als Zuschuss an die „Deutsche Welle“. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz soll mit 276,11 Millionen Euro bedacht werden (2017: 285,48 Millionen Euro). Für allgemeine kulturelle Angelegenheiten sind 160,96 Millionen Euro (2017: 200,4 Millionen Euro) eingestellt.
Der Bundesnachrichtendienst soll einen Zuschuss von 920,45 Millionen Euro erhalten (2017: 832,86 Millionen Euro), für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung sind 32,36 Millionen Euro (2017: 49,7 Millionen Euro) vorgesehen, für das Bundesarchiv 62,26 Millionen Euro (2017: 68,16 Millionen Euro). Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Roland Jahn, soll 103,13 Millionen Euro erhalten (2017: 106,11 Millionen Euro), die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU), 32,47 Millionen Euro (2017: 27,26 Millionen Euro). (hle/sas/vom/17.05.2018)