Die Bundesregierung will mit einem Sofortprogramm den Personalengpass in der Pflege verringern und die Versorgungsqualität verbessern. Ihr Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (19/4453, 19/4729, 19/4944 Nr. 6) hat der Bundestag am Freitag, 9. November 2018, abschließend beraten und gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der AfD, der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen in der vom Gesundheitsausschuss geänderten Fassung (19/5593) angenommen. Der Haushaltsausschuss hat dazu einen Bericht nach Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierung des Gesetzes (19/5594) vorgelegt.
Entschließungsanträge abgelehnt
Keine Mehrheit fanden Entschließungsanträge der FDP (19/5599) und von Bündnis 90/Die Grünen (19/5600). Der FDP-Initiative stimmten nur die Liberalen selbst zu, die AfD, Die Linke und die Grünen enthielten sich. Die Initiative der Grünen lehnten CDU/CSU, SPD und FDP ab, Die Linke und die AfD enthielten sich.
Die FDP wollte erreichen, dass die strukturelle Benachteiligung der Altenpflege gegenüber der Krankenpflege abgebaut wird. Die Grünen hatten gefordert, die ambulante Pflege und das Pflegepersonal in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen zu berücksichtigen. Auch die Langzeitpflege und die Pflegeversicherung sollten weiterentwickelt werden.
Keine Mehrheit für weitere Oppositionsanträge
Abgelehnt wurden auch ein Antrag der AfD für gleiche Finanzierungsgrundlagen in der Pflege (19/4537) und zwei Anträge der Linken (19/4523, 19/4524). Den AfD-Antrag lehnten alle übrigen Fraktionen ab, die Anträge der Linken lehnten CDU/CSU, SPD und FDP ab, während sich die AfD und die Grünen enthielten. Die Linke setzte sich für eine Stärkung des Krankenhauspersonals und des Personals in der Altenpflege ein und drang auf Nachbesserungen des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes.
Keine Mehrheit fanden schließlich zwei weitere Anträge von Bündnis 90/Die Grünen, die je ein Sofortprogramm für mehr Personal in der Altenpflege (19/446) und ein Sofortprogramm für mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern (19/447) gefordert hatten. Dazu hatte der Gesundheitsausschuss eine Beschlussempfehlung (19/3202) vorgelegt. Die Koalitionsfraktionen und die FDP lehnten beide Anträge ab, Die Linke stimmte mit den Grünen dafür, die AfD enthielt sich.
13.000 neue Stellen in der stationären Altenpflege
Das Gesetz sieht vor, in der stationären Altenpflege 13.000 neue Stellen zu schaffen und zu finanzieren. Je nach Größe sollen die Pflegeeinrichtungen zwischen einer halben und zwei Pflegestellen zusätzlich erhalten. In Krankenhäusern werden die Pflegepersonalkosten ab 2020 aus den Fallpauschalen (DRG) herausgenommen und auf eine krankenhausindividuelle Vergütung umgestellt.
Zudem wird ab 2020 erstmals in Kliniken ein sogenannter Pflegepersonalquotient ermittelt, der das Verhältnis der Pflegekräfte zum Pflegeaufwand beschreibt. So soll eine Mindestpersonalausstattung erreicht werden.
Bereitschaft zur Ausbildung soll gestärkt werden
Jede zusätzliche oder aufgestockte Pflegestelle im Krankenhaus wird künftig vollständig von den Krankenversicherungen refinanziert. Bereits für das Jahr 2018 sollen rückwirkend auch Tarifsteigerungen für Pflegekräfte im Krankenhaus voll refinanziert werden. Das Gesetz sieht auch vor, ab 2019 die Ausbildungsvergütungen in der Kinderkrankenpflege, der Krankenpflege und der Krankenpflegehilfe im ersten Ausbildungsjahr durch die Kassen zu refinanzieren. Damit soll die Bereitschaft zur Ausbildung gestärkt werden.
Mehrere Regelungen zielen darauf ab, die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte zu verbessern. Die Krankenkassen sollen jährlich zusätzlich mehr als 70 Millionen Euro in die Gesundheitsförderung von Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen investieren. Die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf soll ausgebaut werden. Überdies soll eine Digitalisierungsoffensive dazu beitragen, Pflegekräfte im Alltag zu entlasten.
Zuschläge für längere Wegezeiten
Über Änderungsanträge im Gesundheitsausschuss wurden weitere Regelungen zugunsten einer besseren Pflegeversorgung getroffen. So dürfen in der häuslichen Krankenpflege tarifliche Vergütungen von den Krankenkassen nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Zudem werden längere Wegezeiten für Pflegekräfte vor allem im ländlichen Raum durch Zuschläge vergütet.
In der Altenpflege werden die gesetzlichen Regelungen so verändert, dass auf den neu geschaffenen Stellen vor allem Fachkräfte und nicht Hilfskräfte zum Einsatz kommen sollen. Außerdem bleiben Teile des wegfallenden Pflegezuschlags für Krankenhäuser erhalten, indem Mittel in Höhe von 200 Millionen Euro in den sogenannten Landesbasisfallwert überführt werden. Zudem werden Krankenhäuser im ländlichen Raum mit rund 50 Millionen Euro zusätzlich unterstützt.
Minister: Erster Schritt, dem weitere folgen müssen
In der Schlussdebatte sprachen Redner von Union und SPD von der wichtigsten Pflegenovelle seit vielen Jahren. Auch die Opposition würdigte die in der Vorlage enthaltenen Verbesserungen, mahnte jedoch weitergehende Schritte an, um die Versorgung nachhaltig zu stärken und die Finanzierung der kostspieligen Pflege zu sichern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, mit der Gesetzesänderung würden die Probleme konkret angepackt. Dies sei wichtig, um die Vertrauenskrise in der Pflege zu überwinden. Insbesondere für die Kliniken sei mit dem Gesetz ein Paradigmenwechsel verbunden. Spahn betonte: „Es ist der größte Schritt in der Pflege seit über 20 Jahren.“ Allerdings sei dies nur ein erster Schritt, dem weitere folgen müssten. So werde in der Altenpflege eine bessere Bezahlung angestrebt.
Spahn räumte auch ein, dass die neu geschaffenen Pflegestellen angesichts des ziemlich leeren Arbeitsmarkts erst einmal besetzt werden müssten. Es gehe jetzt erst einmal darum, ein Signal an die Pflegekräfte zu senden, dass sich Arbeitsbedingungen verbesserten. Was die kritisierten Pflegepersonaluntergrenzen in Kliniken angeht, warnte der Minister davor, die Personalanforderungen zu schnell und zu stark zu erhöhen. Dies würde womöglich dazu führen, dass Krankenhäuser ihr Angebot reduzierten, Stationen schlössen und Betten abbauten. Richtig sei ein schrittweises Vorgehen mit Augenmaß.
SPD: Beste Pflegereform seit 15 Jahren
Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) sprach von einem guten Tag für die Pflege und der wichtigsten und besten Reform seit 15 Jahren in der Pflege. Er zog ein kritisches Fazit zu den Fallpauschalen, die systematisch die Qualität in der Pflege und die Zufriedenheit mit dem Beruf beeinträchtigt hätten. Dieses Problem werde nun beseitigt.
Die zunehmende Ökonomisierung in der medizinischen Versorgung müsse infrage gestellt werden, fügte der SPD-Politiker hinzu. Es sei daher genau zu prüfen, ob auch andere Bereiche aus den DRGs herausgenommen werden sollten. Richtig sei ein Wettbewerb um Qualität und nicht um wirtschaftliche Vorteile im Gesundheitssystem.
FDP hält Abkehr von den Fallpauschalen für falsch
Die FDP hält hingegen eine Abkehr von den Fallpauschalen für falsch. Nicole Westig (FDP) sagte, dies werde zu Fehlanreizen führen. Wenn jetzt die Pflegekräfte aus den Fallpauschalen herausgenommen würden, wollten andere Berufsgruppen dies auch. Wirtschaftliches Arbeiten und mehr Wettbewerb seien aber nichts Falsches. Der Weg zurück in die Selbstkostendeckung sei hingegen „grundfalsch“, sagte sie und sprach von „Planwirtschaft mit bürokratischem Aufwand“. Mit dem Gesetz bleibe zudem die ambulante Pflege auf der Strecke. So würden die pflegenden Angehörigen nicht gestärkt, gerade die seien aber „am Limit“. Die zentrale Schwäche des Entwurfs sei jedoch, dass es keine Strategie zur Gewinnung von Pflegekräften gebe.
Linke befürchtet „Ausverkauf der Altenpflege“
Ähnlich kritisch äußerte sich auch Pia Zimmermann (Die Linke), die einen „Ausverkauf der Altenpflege“ befürchtet. Bei allen Verbesserungen, die das Gesetz beinhalte, werde die Altenpflege immer weiter abgehängt.
Die 13.000 neuen Stellen bedeuteten im Übrigen in der Praxis nur wenige Minuten mehr Zeit für Menschen mit Pflegebedarf. Der Fachkräftemangel sei angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen und Einkommen hausgemacht. Die Regierung habe die Chance vertan, die Branche aufzuwerten.
AfD stört sich an hohen Eigenanteilen
Die AfD stört sich vor allem an den hohen Eigenanteilen in Pflegeheimen. Dr. Robby Schlund (AfD) machte deutlich, dass dieses Problem wesentlich damit zusammenhänge, dass die medizinische Behandlungspflege pauschal über die Pflegekassen abgegolten werden.
Das Geld reiche aber nicht aus und lasse die Eigenanteile steigen. Dies sei unsozial und ungerecht. Er kritisierte außerdem die unterschiedliche Bezahlung von Pflegekräften in Ost und West und warnte, es werde inzwischen weltweit um Pflegefachkräfte gebuhlt.
CDU/CSU verspricht bessere Arbeitsbedingungen
Dr. Georg Nüsslein (CDU/CSU) ermahnte die Opposition, nicht alles schlechtzureden und die Verbesserungen in der Pflege auch zu würdigen. Das Thema beschäftigte sehr viele Menschen, die womöglich nervös würden und den Eindruck gewinnen könnten, die Politik sei nicht handlungsfähig.
Nüsslein versprach bessere Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte und erinnerte auch an die Ausbildungsreform. Vor allem würden in der Pflege Menschen mit Empathie gebraucht.
Grüne befürchten „Sogwirkung“ beim Pflegepersonal
Die Grünen erneuerten ihre Forderung nach einer Pflegebürgerversicherung, um die Finanzierung langfristig abzusichern. Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, immerhin sei endlich die Bedeutung des Pflegepersonals in der gesellschaftlichen Debatte angekommen.
Gleichwohl sei eine „Sogwirkung“ beim Pflegepersonal zu befürchten, sowohl in den Krankenhäusern zwischen Stationen wie auch aus der Altenpflege hin in die Kliniken. Diese Abwanderung in besser dotierte Stellen könne eine Katastrophe werden für die häusliche Pflege.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion hatte Änderungen an den Finanzierungsgrundlagen für die medizinische Behandlungspflege gefordert. Derzeit übernehme die Pflegekasse für Bewohner in vollstationären Einrichtungen der Altenpflege die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege, heißt es in ihrem Antrag. Da die Pflegekassen jedoch nur die gesetzlich festgelegten Pauschalbeträge zahlten, trügen die Heimbewohner einen großen Teil der Kosten selbst.
In der häuslichen Pflege hingegen übernehme die gesetzliche Krankenversicherung alle Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Diese Ungleichbehandlung müsse beendet werden, verlangt die AfD. Die Krankenkasse müsse die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege übernehmen. Es müssten gleiche Finanzierungsgrundlagen für die Erbringung behandlungspflegerischer Leistungen in der ambulanten, häuslichen und vollstationären Pflege geschaffen werden.
Erster Antrag der Linken
Die Linke hatte gefordert, den Regierungsentwurf zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes nachzubessern. So beziehe die Vorlage nur Pflegekräfte ein und lasse andere Berufe in Krankenhäusern außen vor, so die Kritik der Fraktion.
Zudem sei das Instrument der Pflegepersonalquotienten zur Ermittlung der nötigen Sollzahl anstelle einer bedarfsgerechten Personalbemessung ungeeignet, um den tatsächlichen Pflegeaufwand zu beschreiben. Richtig wäre dagegen, die Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen herauszulösen und nach der Selbstkostendeckung zu finanzieren.
Die Abgeordneten forderten, weitere Berufe aus den Fallpauschalen herauszunehmen und bedarfsgerecht zu finanzieren, so etwa Hebammen, Entbindungspfleger, Heilmittelberufe, Ärzte und Reinigungspersonal. Der Pflegepersonalquotient sollte verworfen und stattdessen ein valides Instrument zur Ermittlung des Personalbedarfs entwickelt werden.
Zweiter Antrag der Linken
Darüber hinaus monierte Die Linke in ihrem zweiten Antrag, dass das geplante Pflegepersonal-Stärkungsgesetz keine Lösung für grundlegende Probleme in der Altenpflege biete. Die geplante Teilfinanzierung für 13.000 zusätzliche Fachkräfte decke nicht den bestehenden Bedarf. Zudem werde nicht klar geregelt, dass die Pflegekräfte tariflich bezahlt und in derselben Höhe vergütet werden müssten wie ihre Kollegen in den Krankenhäusern. So drohe eine einseitige Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Kliniken. Fachkräfte könnten in der Folge aus der Altenpflege und der häuslichen Krankenpflege in die Krankenhäuser abwandern.
Die Abgeordneten forderten deshalb die vollständige Refinanzierung tariflicher Bezahlung auch in der häuslichen Krankenpflege. Eine verbindliche Personalbemessung für die stationäre Altenpflege bis zur Einführung eines Personalbemessungsverfahrens müsse eingerichtet werden. Ferner müssten die Kosten der medizinischen Behandlungspflege in stationären Altenpflegeeinrichtungen sowie in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe vollständig refinanziert werden.
Erster Antrag der Grünen
Die Grünen-Fraktion verlangte ein Sofortprogramm für mehr Personal in der Altenpflege. Die Sorge um eine menschenwürdige Versorgung bei Krankheit und im Alter bewege die Menschen in Deutschland stark. Die extrem hohe Arbeitsbelastung in der Altenpflege erfordere schnell wirksame Maßnahmen zur Entlastung des Personals, heißt es. Zudem gehe es darum, die Pflegequalität zu gewährleisten, den neuen teilhabeorientierten Pflegebegriff umzusetzen sowie die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern.
Konkret forderten die Abgeordneten, den Pflegevorsorgefonds aufzulösen und aus diesen Mitteln ein Sofortprogramm in Höhe von 1,2 Milliarden Euro im Jahr aufzulegen, um damit zusätzliche Pflegekräfte mit tarifgerechter Entlohnung zu fördern. Begleitet werden müsse das Sofortprogramm durch eine Ausbildungsoffensive, Anreize für eine einfachere Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, ein Wiedereinstiegsprogramm, eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten sowie eine Weiterqualifizierung von Pflegehelfern zu Pflegefachkräften.
Zweiter Antrag der Grünen
Die Grünen forderten zudem ein Sofortprogramm in Höhe von 1,3 Milliarden Euro im Jahr für mehr Pflegepersonal in den Krankenhäusern. Die auch im internationalen Vergleich sehr hohe Personalbelastung in einem Großteil der Krankenhäuser erfordere schnell wirksame Maßnahmen, heißt es. Eine angemessene Pflegepersonalausstattung im Krankenhaus sei für die Qualität der stationären Versorgung, für den Patientenschutz und die Arbeitssituation der Beschäftigten unabdingbar. Die geplante Festlegung von Personaluntergrenzen in besonders pflegeintensiven Bereichen reiche nicht aus. Um das Personal zu entlasten, Patientensicherheit und Pflegequalität zu gewährleisten sowie die Attraktivität des Pflegeberufes zu steigern, müssten schnell weitreichende Initiativen ergriffen werden.
Neben dem Sofortprogramm zur Förderung zusätzlicher Pflegekräfte forderten die Abgeordneten auch, verbindliche Personalbemessungsinstrumente für die gesamte pflegerische Versorgung im Krankenhaus zu entwickeln, die sich am individuellen Pflegebedarf der Patienten orientieren. (pk/09.11.2018)