NSU-II-Untersuchungsausschuss: Aufklärung bleibt Daueraufgabe
Nach Abschluss ihrer Arbeit sprechen sich die Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses (NSU II) geschlossen dafür aus, dass die Verbrechen der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) sowie die weiterhin offenen Fragen etwa nach weiteren Tathelfern oder rechtsterroristischen Netzwerken aufgeklärt werden müssen. Dies bleibe auch eine parlamentarische wie gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe, lautet das gemeinsame Fazit des Ausschussvorsitzenden Clemens Binninger (CDU/CSU) und der Obleute aller Fraktionen.
Obleute zeigen sich zufrieden
„Die Arbeit im Ausschuss verlief parteiübergreifend gut. Wir haben es geschafft, den parteipolitischen Streit beiseite zu lassen und haben auch den Abschlussbericht einstimmig beschlossen“, resümiert Binninger. Der Ausschuss habe viele Fragen beantworten können und zahlreiche Impulse für weitere Ermittlungen gegeben. Zugleich sei man mit den Möglichkeiten eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss nun vorerst an ein Ende gelangt. „Wenn nicht grundsätzlich neue Spuren oder Zeugen auftauchen, wird es schwierig sein, die weiterhin drängenden Fragen etwa nach möglichen Hintermännern des NSU oder der Auswahl der Tatorte und Opfer zu klären“, sagt Binninger.
Obmann Armin Schuster (CDU/CSU) zeigt sich rückblickend stolz auf die geleistete Arbeit. Der immense Aufwand, mit dem der Ausschuss über 19 Monate hinweg den gesamten NSU-Fallkomplex noch einmal aufgerollt habe, sei einmalig in der Geschichte des Bundestages. Anfangs beschäftigte sich der Ausschuss eingängig mit den Ermittlungen rund um die Selbstenttarnung der Terrorgruppe am 4. November 2011 in Eisenach und Zwickau. Gerade um die Ereignisse im Eisenacher Stadtteil Stregda, wo sich die NSU-Haupttäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach mehr als 13 Jahren im Untergrund in einem angemieteten Wohnmobil mutmaßlich selbst töteten, rankten sich bis zuletzt eine Fülle an Fragen und Verschwörungstheorien.
Tathergang in Eisenach aufgeklärt
Insofern wertet Schuster es als Erfolg, dass der Ausschuss die Geschehnisse im Wesentlichen habe aufklären können. „Viele denkbare Szenarien haben sich im Zuge unserer Zeugenbefragungen in Luft aufgelöst“, sagt er. Mutmaßungen etwa darüber, dass womöglich eine dritte Person im Wohnmobil anwesend war, habe man zweifelsfrei ausräumen können. Die Nachforschungen des Ausschusses ergaben unter anderem, dass Mundlos zunächst Böhnhardt und danach sich selbst erschoss – und zwar nicht, wie von den Ermittlern zunächst angenommen, sitzend, sondern im Stehen. Mit dieser neuen Erkenntnis ergibt die Spurenlage nunmehr ein kohärentes Gesamtbild des Tathergangs.
Im Folgenden rückte die Rolle des Verfassungsschutzes und verschiedener V-Leute im Umfeld des NSU stärker in den Fokus. Anlass dazu gab unter anderem der überraschende Fund eines Handys des im März 2014 verstorbenen V-Mannes „Corelli“ im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Entscheidende Fragen, etwa ob Corelli tatsächlich Kenntnis über den NSU hatte oder ob er gar zum Unterstützerkreis des Trios gehörte, kann der Ausschuss nicht beantworten. Zugleich stellt er – noch detaillierter als der erste NSU-Ausschuss – im Fall von Corelli und anderen V-Männern im NSU-Umfeld eklatante Defizite in der Werbung und Führung von V-Personen fest.
V-Leute wussten „sehr wahrscheinlich“ vom NSU
Trotz der über vierzig V-Personen, die mittlerweile im Umfeld des NSU vermutet werden, konnte der Ausschuss keine Hinweise darauf finden, dass der Inlandsgeheimdienst vor November 2011 über die Terrorgruppe, ihre Taten und Aufenthaltsorte Bescheid wusste. SPD-Obmann Uli Grötsch vermutet aber: „V-Leute wie Ralf M. alias “Primus„ wussten sehr wahrscheinlich, dass es ein untergetauchtes Trio gibt und wo es sich aufhält, haben es aber ihren V-Mann-Führern nicht berichtet.“ Auch die anderen Ausschussmitglieder wie Irene Mihalic, Obfrau von Bündnis 90/Die Grünen, halten es für „kaum vorstellbar“, dass Corelli und Primus nichts über den NSU gewusst haben sollen.
„Man kann als Ergebnis festhalten, dass die rechte Szene durch das V-Leute-System bestens über das Handeln unserer Sicherheitsbehörden informiert war, dass im Gegenzug aber kaum relevante Informationen geflossen sind“, sagt Mihalic: „V-Leute wussten mitunter vorab von Durchsuchungsaktionen der Polizei, von denen sie niemals hätten wissen dürfen. Wer soll ihnen das erzählt haben, wenn nicht die V-Leute führende Dienststelle?“ Ebenso sah sich der Ausschuss immer wieder mit dem Umstand konfrontiert, dass womöglich relevante V-Mann-Akten in den Verfassungsschutzämtern vernichtet worden oder nicht mehr auffindbar sind. In einem Fall konnte der Ausschuss nachweisen, dass Akten durch einen Mitarbeiter des BfV vorsätzlich geschreddert worden sind, um zu vertuschen, wie viele V-Personen tatsächlich im Umkreis des NSU aktiv waren.
Fraktionen uneins über weiteres Vorgehen
Damit sich die festgestellten Fehler nicht wiederholen, mahnt der Ausschuss eine Reihe von Sofortmaßnahmen an. Auch der vorangegangene NSU-Ausschuss hatte bereits entsprechende Maßnahmen angestoßen. Das Verfassungsschutzgesetz wurde in der laufenden Legislaturperiode umfassend novelliert. Der Opposition gehen die Reformen aber nicht weit genug. Die grüne Fraktion plädiert in ihrem Sondervotum unter anderem dafür, das BfV durch ein neues „Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr“ zu ersetzen. Die Linke geht noch einen Schritt weiter und fordert, den Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst aufzulösen und durch eine Bundesstiftung „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ abzulösen.
„Noch wichtiger ist uns aber, dass im kommenden Bundestag ein Untersuchungsausschuss Rechtsterrorismus und Geheimdienste eingesetzt wird“, sagt Obfrau Petra Pau (Die Linke). CDU und SPD sehen bisher keine Grundlage für einen weiteren Untersuchungsausschuss, für Bündnis 90/Die Grünen ist die Frage noch offen. Grötsch und Mihalic schlagen – genauso wie Pau – vor, in der nächsten Legislaturperiode eine Enquetekommission zum Thema Rechtsterrorismus einzurichten. Schuster und Binninger wünschen sich ein Cold-Case-Verfahren im NSU-Komplex und halten es für den richtigen Ansatz, im Innenausschuss der kommenden Wahlperiode erneut Berichterstatter zum Thema zu benennen.
War der NSU mehr als ein Trio?
Kritik übt der Ausschuss auch an den Ermittlungen des Generalbundesanwaltes (GBA) und des Bundeskriminalamtes (BKA). Die seien nach dem 4. November 2011 zu eng auf die Täterschaft des NSU-Trios und eine zügige Anklage von Beate Zschäpe fokussiert gewesen. Die Suche nach möglicherweise noch unbekannten Tathelfern sowie tiefer gehende Strukturermittlungen in die rechtsextreme Szene seien dagegen vernachlässigt worden. „Gerade beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn haben wir eine ganze Reihe von Indizien herausgearbeitet, die darauf hindeuten, dass mehr als zwei Personen an der Tat beteiligt waren. Konkrete Verdächtige können wir aber nicht benennen“, stellt Binninger fest.
Speziell im Heilbronner Mordfall listet der Ausschuss eine ganze Reihe an Ermittlungsversäumnissen auf. Einer der zentralen Kritikpunkte lautet: An diesem und anderen NSU-Tatorten seien die Möglichkeiten der DNA-Spurenanalyse und Funkzellenauswertung nicht voll ausgeschöpft worden, auch fehlten mitunter die technischen und rechtlichen Voraussetzungen, um im Falle einer bundesweiten Verbrechensserie wie der des NSU einen reibungslosen Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Sicherheits- und Justizbehörden zu gewährleisten. Ein Umstand, der dringend zu beheben sei, empfehlen die Abgeordneten.
Unterstützerstrukturen liegen noch im Dunkeln
„Jeder, der sich mit dem NSU-Komplex eingehend befasst, kommt relativ schnell zu der Überzeugung, dass nicht allein Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Täter gewesen sein können, sondern dass es noch ein breites Netz an Unterstützern aus der Neonaziszene gegeben haben muss“, sagt Grötsch und fordert insbesondere die Neonaziszenen in Mecklenburg-Vorpommern und Nordbayern stärker ins Visier der weiteren Ermittlungen zu nehmen. Petra Pau hält hierzu fest: „Der Ausschuss hat deutlich aufgezeigt, dass es weiterhin drängende Fragen gibt, die nicht nur mit dem NSU, sondern auch mit der aktuellen Situation zu tun haben. Rechtsterroristen verbreiten nach wie vor Angst und Schrecken in der Bundesrepublik. Die Polizei verzeichnet täglich zehn Gewalttaten, die offiziell als rechtsextrem motiviert registriert werden.“
Im Abschlussbericht des Ausschusses heißt es dazu: In Zeiten des Wiedererstarkens von rechtspopulistischem und rechtsextremem Gedankengut müsse alles dafür getan werden, damit sich eine Mordserie wie die des NSU nicht wiederhole. Deshalb sei es unabdingbar, unter anderem Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus nachhaltiger zu fördern und die Zivilgesellschaft zu stärken. Eine umfassende Aufklärung des Unterstützernetzwerks des NSU bleibe unverzichtbar. Nur so könne dem behördlichen Aufklärungsauftrag nachgekommen und das Versprechen der Bundeskanzlerin an die Opfer und ihre Angehörigen eingelöst werden, die NSU-Morde aufzuklären und die Hintermänner und Helfershelfer zu fassen. (fza/07.08.2017)