„Bestenfalls ein Reförmchen“ sei die von der Bundesregierung angestoßene Reform der Netzentgelte. Das gestand namens der SPD-Fraktion der Abgeordnete Johann Saathoff am Freitag, 30. Juni 2017, im Bundestag ein. Auch sein Kollege Dr. Matthias Heider vom Koalitionspartner CDU/CSU sprach von einem Gesetzesvorhaben, das kurz vor Ende der Legislaturperiode „mit heißer Nadel gestrickt“ worden sei. Ralph Lenkert (Die Linke) sprach von einem „Stückwerk“. Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) befand, es sei „dünn und bedeutungslos“, was die Koalition vorlege.
Es ging um den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur (18/11528). Er wurde nach der Debatte mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlossen wurde in zweiter und dritter Lesung jene Fassung, die der Ausschuss für Wirtschaft und Energie ebenfalls mit den Stimmen der Koalition gegen die der Opposition empfohlen hatte (18/ 12999). Danach werden die Netzentgelte stufenweise bis zum Jahr 2023 angeglichen.
SPD: Planungssicherheit für die Investoren
Dann werden „alle das Gleiche tragen“, meinte Saathoff. Das werde „für mehr Gerechtigkeit bei der Energiewende“ sorgen. Ein spezieller Punkt sind Vergünstigungen beim Netzentgelt für die dezentrale Stromerzeugung („vermiedene Netzentgelte“). Saathoff machte klar, dass sie „stark gestiegen“ sein. Gleichwohl sehe er „ein Abschmelzen kritisch“. Denn von Wind und Sonne unabhängig steuerbare Anlagen wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) würden gebraucht.
Doch die Investoren, meist Kommunen, brauchten „Planungssicherheit“. Dass diese Vergünstigungen zunächst auf der Basis von 2016 festgeschrieben und dann schrittweise bei 2030 abgeschmolzen werden sollen, gebe den KWK-Anlagen „wieder Boden unter den Füßen“.
Linke lehnt Starkstromtrassen zwischen Nord und Süd ab
Ralph Lenkert hob hervor, dass die Netzentgelte „Haupttreiber bei den Strompreisen“ seien. Es sei „absurd“, dass wegen der regionalen Unterschiede beim Netzentgelt ein Stahlwerk in Thüringen im Jahr 900.000 Euro mehr für seinen Stromverbrauch aufwenden müsse als ein Stahlwerk in Nordrhein-Westfalen. „Wir sind ein Land“, hielt er dagegen.
Das Netzentgelt müsse „komplett einheitlich für alle Kunden“ ausgestaltet sein. Den Bau der geplanten Starkstromtrassen zwischen Nord und Süd lehne die Die Linke ab, sagte Lenkert. Den Nutzen hätten „Spekulanten und Stromhändler“, bezahlen müssten dafür alle Kunden. Er meinte, mit dem „verkorksten“ Gesetzentwurf werde eine „faire Kostenverteilung weiterhin nicht gelöst“.
CDU/CSU: Nicht glücklich, aber zufrieden
Heider zeigte sich „nicht glücklich, aber zufrieden“ mit dem Gesetzentwurf. Bei den Netzentgelten sei „einiges aus dem Ruder gelaufen“. „Kein Handeln“ hätte „Versagen der Politik“ bedeutet. Wobei er für die Koalition „Augenmaß“ reklamierte. Schließlich bedeute das Vorhaben, dass insbesondere die Industrie in einigen Bundesländern stärker belastet, in anderen – insbesondere im Osten – entlastet werde.
Mit der jetzt vorgesehenen schrittweisen Angleichung der Netzentgelte würden Wettbewerbsnachteile beseitigt: „Dort geglättet, dort angehoben.“ Es dürfe nirgendwo ein Arbeitsplatz unsicher sein, weil dort der Strom teurer ist. In der nächsten Legislaturperiode müsse die eingeleitete Reform fortgesetzt werden.
Grüne: Gegenteil von dem, was die Energiewende braucht
Oliver Krischer kritisierte, dass ein bundeseinheitliches Netzentgelt nicht sofort, sondern erst in der übernächsten Legislaturperiode erreicht werden solle: „Langsamer geht es überhaupt nicht.“ Dabei gelte doch: Wenn es ein Problem gebe, müsse es sofort angegangen werden; gebe es keines, dann eben überhaupt nicht. Was die Koalition vorhabe, sei „das exakte Gegenteil von dem, was die Energiewende braucht“.
Krischer nannte es einen „Klopper“, dass zuletzt bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuss einem Netzbetreiber im Süden zugestanden worden sei, ein Gaskraftwerk zu bauen. Für ihn ist das ein Zugeständnis an die CSU und ihren Chef Horst Seehofer, das „skandalös“ sei. Denn damit werde der weitere Ausbau von Übertragungsnetzen zugunsten von „Regionalinteressen“ verhindert.
Anstieg der dezentralen Erzeugung
Die Bundesregierung will mit dem Gesetz das System der sogenannten Netzentgelte modernisieren. Zahlungen aus vermiedenen Netzentgelten sollen schrittweise auslaufen. Sie gehen an jene Erzeugungsanlagen, die unterhalb der Höchstspannungsnetze angeschlossen sind. Da diese direkt in ein nachgelagertes Netz einspeisen, werden in diesem Umfang Netzentgelte gespart.
„Ohne diese direkte Einspeisung würde der Strom aus der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene bezogen, wofür deren Netzentgelt zu entrichten gewesen wäre. Daraus ergeben sich dann vermiedene Netzentgelte“, erläutert die Regierung die Hintergründe. Der Anstieg der dezentralen Erzeugung habe jedoch zunehmende Netzkosten verursacht. Denn dezentrale Erzeugung werde zunehmend nicht mehr vor Ort verbraucht, sondern über die vorgelagerten Netzebenen in den Markt gebracht.
Geringere Netzkosten erwartet
Daher werden die vermiedenen Netzentgelte zunächst eingefroren und dann schrittweise reduziert. „Perspektivisch ist vorgesehen, das Instrument der Entgelte für dezentrale Erzeugungsanlagen, die aus den Netzentgelten finanziert werden, bis zum Jahr 2030 abzuschaffen“, heißt es im Gesetzentwurf.
Unter Berufung auf Angaben der Bundesnetzagentur schreibt die Regierung, die Summe der vermiedenen Netzentgelte für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) habe 2015 rund 700 Millionen Euro betragen. Die Regierung erwartet von dem Gesetz eine Reduzierung der Netzkosten und damit mittelbar auch Einsparungen für Haushalte und Unternehmen.
„Abschaffung vermiedener Netzentgelte sachgerecht“
In seiner Stellungnahme erklärte der Bundesrat, aufgrund einiger Fehlentwicklungen im Stromsektor sei eine langfristige Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte grundsätzlich sachgerecht. Erhalten werde sollten die vermiedenen Netzentgelte jedoch für die KWK-Anlagen und Wasserkraft, da diese als nicht volatile Anlagen einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Entlastung der Netze leisten würden. „Um zu verhindern, dass sich daraus eine Schwächung des Schienenverkehrs im intermodalen Wettbewerb ergeben kann, sollten die Auswirkungen auf den Schienenverkehr genau evaluiert und resultierende Nachteile gegebenenfalls vollständig kompensiert werden“, schreiben die Länder außerdem.
Die Bundesregierung lehnte den Erhalt der vermiedenen Netzentgelte für KWK-Anlagen und Wasserkraft in ihrer Gegenäußerung ab, da der Zubau dezentraler Erzeugung zusätzlichen Netzausbaubedarf verursache. Die Regierung sicherte zu, die konkreten Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation des Schienenverkehrs zu evaluieren und entstehende Nachteile gegebenenfalls auszugleichen.
Entschließungsantrag der Grünen abgelehnt
Mit Koalitionsmehrheit gegen das Votum der Opposition fand ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/13047) keine Mehrheit, wonach Netzentgeltprivilegien reduziert und so umgestaltet werden müssten, dass private Verbraucherinnen und Verbraucher entlastet werden und eine echte Flexibilisierung der Netznutzung sowie systemdienliches Abnahmeverhalten angereizt werden.
Darüber hinaus sollten die Kosten für den Ausbau des Stromübertragungsnetzes gerechter verteilet werden. Dazu sei ein bundeseinheitliches Übertragungsnetzentgelt nötig. Die vorgesehene Verordnungsermächtigung müsse durch eine gesetzliche Regelung für ein bundesweit einheitliches Netzentgelt auf Übertragungsnetzebene ersetzt werden, die alle Netzentgeltbestandteile umfasst und zeitnah umgesetzt wird. Schließlich lehnten die Grünen eine Gasreserve ohne jegliche Kontrolle durch die Bundesnetzagentur ab und verlangten bei einer Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte eine Kompensationsmaßnahme für die Kraft-Wärme-Kopplung.