Die von der Regierungskoalition vorgesehene „Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes“ stößt bei Experten auf unterschiedliche Einschätzungen. Dies wurde am Montag, 20. März 2017, bei einer Anhörung des Innenausschusses unter Leitung von Ansgar Heveling (CDU/CSU) zu gleichlautenden Gesetzesentwürfen der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (18/11163) sowie der Bundesregierung (18/11326) deutlich.
Neben der geplanten Einführung der „elektronischen Fußfessel“ für sogenannte Gefährder soll mit den Vorlagen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09) sowie eine EU-Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten vom April vergangenen Jahres umgesetzt werden.
Moderne IT-Architektur für das Bundeskriminalamt
Ziel der Neustrukturierung ist laut Bundesregierung insbesondere die Schaffung einer modernen IT-Architektur für das Bundeskriminalamt (BKA). Das Gesetz solle die Datenqualität verbessern und neue gemeinsame IT-Standards etablieren. Das BKA soll den Angaben zufolge sowohl als Zentralstelle des nationalen polizeilichen Informationswesens als auch als Kontaktstelle für die internationale Zusammenarbeit gestärkt werden.
Zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus kann das BKA den Vorlagen zufolge auf entsprechende richterliche Anordnung Personen verpflichten, am Körper eine elektronische Fußfessel bei sich zu führen. Ziel dieser Maßnahme sei es, den Aufenthaltsort von Personen, von denen die Gefahr der Begehung einer terroristischen Straftat ausgeht, ständig zu überwachen und so die Begehung derartiger Taten zu verhindern.
Experte: BKA wird empfindlich eingeschränkt
Prof. Dr. Matthias Bäcker von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sagte, Ziel der Regelungen zur „Neustrukturierung der Informationsordnung“ des BKA sei deren „fundamentale Umgestaltung“. Werde der Entwurf so in Kraft gesetzt, kippe er entweder vor dem Bundesverfassungsgericht oder man erhalte von einem Verwaltungsgericht Entscheidungen, die dazu führen, dass das BKA „ohne jede Not ganz empfindlich in seiner Tätigkeit eingeschränkt wird“.
Er glaube, dass „hier noch erhebliche konzeptionelle Nacharbeit erforderlich ist“. Sollte dies in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu leisten sei, könne er nur dazu raten, den Gesetzentwurf „in dieser Form nicht in Kraft zu setzen“.
Warnung vor der Umsetzung des Gesetzes
Auch Dr. Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, warnte davor, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form umzusetzen. Die bisher das Datenschutzrecht leitenden Grundsätze der Datensparsamkeit und der Zweckbindung würden in ihr Gegenteil verkehrt. Buermeyer kritisierte zugleich, insbesondere der „Terrorismusteil“ des Gesetzentwurfes leiste keine Abwägung „zwischen Freiheit und Sicherheit“, sondern gehe „an die Grenzen dessen, was von Verfassung wegen gerade noch möglich sein mag“.
Statt sich „in der Mitte einer vorgegebenen Fahrspur möglicher Grundrechtseingriffe“ zu bewegen, schramme der Gesetzgeber „konsequent an der rechten Leitplanke entlang“. Dies sei zwar in weiten Teilen verfassungsgemäß, aber eine „sehr eindeutige Priorisierung“ der Interessen des BKA. Besonders augenfällig werde dies etwa bei den Befugnissen für den Einsatz sogenannter Staatstrojaner.
Sachverständiger: Regelungen zur Fußfessel genügen
Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn betonte, die vorgesehenen Regelungen zur elektronischen Fußfessel genügten den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Natürlich könne man damit nicht einen zum Selbstmordanschlag entschlossenen Attentäter von seinem Vorhaben abhalten, doch in anderen Fällen lasse sich damit bei der Planung eines künftigen Anschlags dessen Vorbereitung erheblich erschweren.
Ferner sei die Befristung auf drei Monate ausreichend. Zudem sei es ein „sinnvoller Kompromiss, mit einer milderen Maßnahme einzusteigen“, da diese Überwachung auch der Versuch sei, „nicht die Inhaftnahme regeln zu müssen, die in denkbaren Extremfällen für diese Zeiträume ja auch durchaus in Betracht käme“.
Änderung des polizeilichen Datenschutzrechts
Diethelm Gerhold, leitender Beamter der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, urteilte, dass der Entwurf das polizeiliche Datenschutzrecht „grundlegend verändern“ werde. Beim neuen Informationssystem des BKA sei zu berücksichtigen, dass „all das, was in den letzten Jahrzehnten seit dem Volkszählungsurteil“ an datenschutzrechtlichen Sicherungen im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeführt worden sei, „jetzt abgelöst werden soll“.
Jeder müsse damit rechnen, „dass er in dieses Informationssystem hineinkommen“ kann, was „mitunter ganz schnell“ gehe. „Da reicht, dass Sie am falschen Ort gewesen sind“, sagte Gerhold. Es genüge ein einfacher Verdacht. Während die bisherigen Regelungen davor schützten, „dass Sie dann auf Ewigkeit in dem System drinbleiben“, werde sich da „in Zukunft einiges ändern“.
„Entstehung einer Gefahr verhindern“
Prof. Dr. Markus Möstl von der Universität Bayreuth verwies darauf, dass es sich bei den neuen Befugnisse der elektronischen Aufenthaltsüberwachung sowie des Aufenthalts- und Kontaktverbots nicht „um reine Ermittlungseingriffe, sondern um aktionelle Anordnungen“ handle, mit denen die „Gefahrentstehung unterbunden werden soll“.
Im Bereich der Terrorismusbekämpfung dürfe der Gesetzgeber aber zu Recht davon ausgehen, „dass es bisweilen zu riskant sein kann, die polizeilichen Aktivitäten im Gefahrenvorfeld auf reine Beobachtung zu beschränken, da zu befürchten steht, dass sich eine Gefahr vielleicht plötzlich und mit großem Schaden realisiert, noch bevor sie als solche erkannt und aufgeklärt werden konnte“. In solchen Fällen könne es zulässig sein, „vorgelagert bereits die weitere Entstehung einer Gefahr verhindern zu wollen“.
BKA-Präsident: Fussfessel beschränkt sich auf Ausnahmen
Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagte mit Blick auf die Regelung zur sogenannten Fußfessel und die Ermächtigungsgrundlage zu Aufenthalts- und Kontaktverboten, für sein Haus beschränke sich diese Befugnis auf Ausnahmefälle.
Münch betonte, das „Risiko eines Informationsverlustes“ in Form der Unkenntnis über den Aufenthalt eines sogenannten Gefährders dürfe man nicht eingehen. „Dem staatlichen Schutzauftrag und der berechtigten Erwartungshaltung der Bevölkerung würden dann wir nicht gerecht“, fügte er hinzu. Insofern halte er diese Erweiterung für sinnvoll.
„Freiheit ohne Sicherheit ist undenkbar“
Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg sagte zur Debatte über das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit, während „Sicherheit ohne Freiheit sofort denkbar“ sei, wenn auch nicht erstrebenswert, sei „Freiheit ohne Sicherheit undenkbar“. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung sei „eine Akt experimenteller Gesetzgebung“. Natürlich werde diese Maßnahme „einen zu allem Entschlossenen nicht verhindern können“.
Man könne aber überlegen, „ob in einem verhältnismäßig ausgestalteten System präventiver Maßnahmen man nicht noch auf weitergehende Maßnahmen zurückgreifen könnte“. So wäre der Entwurf zur Änderung bayerischer Sicherheitsgesetze, der von einem „Präventivgewahrsam“ ausgehe, „doch eine deutlich weitgehendere Maßnahme und deutlich freiheitsbeschränkender als die bloße elektronische Aufenthaltsüberwachung“. (sto/20.03.2017)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Matthias Bäcker, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
- Dr. iur. Ulf Buermeyer, LL.M., Richter am Landgericht Berlin
- Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
- Diethelm Gerhold, Ministerialdirigent, Leitender Beamter bei der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Bonn
- Prof. Dr. Markus Möstl, Universität Bayreuth
- Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, Wiesbaden
- Prof. Dr. Kyrill-A. Schwarz, Universität Würzburg