Durchwachsen ist die Einschätzung der Sachverständigen zum Entwurf der neunten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ausgefallen. Zwar wurde bei der Experten-Befragung im Ausschuss für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Dr. Peter Ramsauer (CSU) insgesamt begrüßt, dass die zunehmende Digitalisierung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/10207, 18/10650) ihren Niederschlag im Wettbewerbsrecht findet. Doch gab es etwa zur beabsichtigten Erleichterung von Pressekonzentrationen unterschiedliche Stellungnahmen.
Fusionskontrolle auch bei Start-up-Unternehmen
Namens des Bundeskartellamts unterstützte Präsident Andreas Mundt „nachdrücklich“ die zentralen Regelungsvorschläge. Dazu zählt, dass bei der Fusionskontrolle auch Start-up-Unternehmen berücksichtigt werden, deren Umsätze noch gering sind, deren Kaufpreis aber mit über 400 Millionen Euro besonders hoch ist.
Mundt formulierte es so: Die vorgesehene Gesetzesänderung stelle sicher, dass das Bundeskartellamt „künftig gesamtwirtschaftlich bedeutende Zusammenschlüsse auch dann auf ihre wettbewerblichen Auswirkungen hin untersuchen kann, wenn sich das wettbewerbliche Potenzial der Unternehmen noch nicht in konkreten Umsätzen widerspiegelt“.
Geldbußen auch gegen die Konzernmutter
Mundt hob überdies darauf ab, dass Lücken im Bußgeldrecht geschlossen werden. Geldbußen wegen Kartellrechtsverstößen, so sieht es nämlich der Gesetzentwurf vor, sollen nicht nur gegen die handelnde Tochtergesellschaft, sondern auch gegen die lenkende Konzernmutter, zudem gegen rechtliche wie wirtschaftliche Nachfolger von Unternehmen verhängt werden können.
Die noch gültige Reglung hat laut Mundt zur Folge, dass beim Bußgeld derzeit „ein dreistelliger Betrag unter Feuer steht“. Bündnis 90/Die Grünen dringen in einem Antrag (18/4817) darauf, dass im Falle von Kartellverstößen alle Möglichkeiten zur Umgehung von Bußgeldern ausgeschlossen werden.
„Grundlegende Rechtsprinzipien werden geopfert“
Der Vorstoß zum Bußgeldrecht stehe „im Einklang mit Verfassungsrecht“, befand Prof. Dr. Rupprecht Podszun (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). Demgegenüber meinte Dr. Stefan John vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), in dem Punkt liege der Gesetzentwurf „gänzlich falsch“. Denn „ohne Not“ würden „grundlegende Rechtsprinzipien deutschen Haftungs- und Gesellschaftsrechts“ geopfert - und zwar „auf verfassungsrechtlich nicht zulässige Weise“.
Eine „Weiterentwicklung der wettbewerbsrechtlichen Instrumente in der Digitalwirtschaft“ ist für den Verbraucherzentrale Bundesverband „unbedingt geboten“, so Jutta Gurkmann. Die Durchsetzung von Verbraucherschutzmaßnahmen durch eine Behörde wie das Bundeskartellamt mache Sinn. So sei Schleichwerbung gerade im digitalen Bereich kaum zu erkennen und eventuell erst anhand von Geldflüssen zu ermitteln. John (BDI) lehnte behördliche Durchgriffsrechte strikt ab.
„Ministererlaubnis hat sich grundsätzlich bewährt“
Die Fraktion Die Linke fordert in einem Antrag (18/10240) mit Verweis auf den Fall Edeka/Kaiser's-Tengelmann, die Ministererlaubnis bei Großfusionen durch eine „Parlamentserlaubnis“ zu ersetzen. Dies sei schon deshalb geboten, weil es sich um eine Entscheidung „contra Fusionskontrollrecht“ handele, wie Prof. Dr. Tobis Lettl (Universität Potsdam) ausführte.
Ein solcher Schritt komme allein dem Gesetzgeber zu. Demgegenüber hat sich das Instrument der Ministererlaubnis nach Ansicht der Monopolkommission „grundsätzlich bewährt“. Podszun forderte mindestens eine transparentere Ausgestaltung.
„Wettbewerbspolitisch nicht überzeugend“
„Wettbewerbspolitisch nicht überzeugend“ ist für Kartellamtspräsident Mundt die vorgesehene „Sonderregel“ einer „weitreichenden Freistellung von Kooperationen unter Presseverlagen“. Auch die Monopolkommission bewerte dies „kritisch“, so der Befund von Prof. Dr. Jürgen Kühling. Helmut Verdenhalven vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) sah darin einen „äußerst wichtigen Schritt, um den Gefahren für die Pressevielfalt im Zuge der Digitalisierung der Medien zu begegnen“. So würden durch „Synergien im verlagswirtschaftlichen Bereich“ dann „Mittel zur Stärkung der redaktionellen Arbeit frei, die anders nicht mehr zu erzielen sind“.
Demgegenüber meinte Cornelia Hass (Dienstleistungsgewerkschaft Verdi), es sei durch die angepeilten Gesetzesänderungen „ein weiteres Abnehmen der Medienvielfalt“ zu befürchten, dazu ein fortgesetzter Abbau von Arbeitsplätzen.
Ausweitung der Fusionskontrolle
Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft soll Konsequenzen für das Wettbewerbsrecht haben, dessen Bestimmungen in Zukunft auch auf sogenannte Start-up-Unternehmen ausgeweitet werden sollen. Zudem sollen den wirtschaftlich bedrängten Presseverlagen kartellrechtliche Ausnahmen gewährt werden, schreibt die Regierung in ihrem Gesetzentwurf. Junge, innovative Unternehmen, so genannte Start-ups, könnten durch große etablierte Unternehmen übernommen werden, ohne dass eine Kontrolle durch Kartellbehörden stattfinden könne. Grund sei, dass die Fusionskontrolle nur Zusammenschlüsse von Unternehmen über einem gewissen Schwellenwert bei den Umsätzen erfasse. Viele Start-ups würden unterhalb dieser Werte bleiben.
„Dennoch können ihre Geschäftsideen ein hohes Marktpotenzial und eine große wirtschaftliche Bedeutung für den Werber haben“, verdeutlicht die Bundesregierung, die bei solchen Übernahmen die Gefahr „einer gesamtwirtschaftlich unerwünschten Marktbeherrschung oder erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs“ sieht. Daher solle die Fusionskontrolle ausgeweitet werden und auch Fälle erfassen, in denen der Kaufpreis mit über 400 Millionen Euro besonders hoch ist, obwohl das erworbene Unternehmen keine oder nur geringe Umsätze vorweisen kann.
Ausnahmen vom Kartellverbot
Für Kooperationen von Presseverlagen sollen Ausnahmen vom Kartellverbot geschaffen werden. Waren schon mit der vorigen GWB-Novelle Fusionen erleichtert worden, so sollen jetzt Kooperationen im Anzeigen- und Werbegeschäft, beim Vertrieb, der Zustellung und der Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften einfacher möglich werden. „Der Rückgang insbesondere des Anzeigenaufkommens und der Werbeerlöse im Printbereich hält an, während Finanzierungsmodelle für Presseprodukte im Online-Bereich noch nicht durchgehend erfolgreich sind“, begründet die Bundesregierung ihr Vorhaben.
Verbessert werden soll die Möglichkeit zu Schadenersatzklagen von Verbrauchern und Unternehmen. Deren Schadenersatzansprüche sollen effektiver durchgesetzt werden können, wenn sie durch einen Kartellverstoß einen Schaden erlitten haben. So will die Regierung den Zugang zu Beweismitteln für Geschädigte erleichtern und Verjährungsfristen verlängern. Geldbußen wegen Kartellrechtsverstößen sollen nicht nur gegen die handelnde Tochtergesellschaft, sondern auch gegen die lenkende Konzernmutter verhängt werden können.
Der Bundesrat hat eine Reihe von Änderungswünschen angemeldet (18/10650), unter anderem kartellrechtliche Erleichterungen bei der Zusammenarbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. In ihrer Gegenäußerung sagt die Bundesregierung eine Prüfung dieses Vorschlags zu.
Anträge der Opposition
Die Linke fordert in ihrem Antrag, das bisherige Prinzip der Ministererlaubnis im Kartellrecht abzuschaffen und durch eine Parlamentsentscheidung zu ersetzen. Das Verfahren um den Zusammenschluss von Edeka und Kaiser's Tengelmann habe verdeutlicht, dass die jetzige Ministererlaubnis der politischen Tragweite von Großfusionen nicht gerecht werde. Die Fraktion fordert daher die Einführung einer „Parlamentserlaubnis“ anstelle der bisherigen Ministererlaubnis.
Bündnis 90/Die Grünen wenden sich in einem Antrag (18/4817) gegen Umgehungen von Bußgeldern der Kartellbehörden. Im Fall von Kartellordnungswidrigkeiten sollten alle Möglichkeiten der Umgehung von Bußgeldern ausgeschlossen werden. Vor allem sollten Schlupflöcher durch Umstrukturierungen von Unternehmen geschlossen werden.
Sondergutachten der Monopolkommission
Die Monopolkommission sieht keinen speziellen Regulierungsbedarf bei internetbasierten Diensten, wie aus ihrem Sondergutachten mit dem Titel „Wettbewerbspolitik: Herausforderung digitaler Märkte“ (18/5080) hervorgeht. Statt spezieller Regulierungen in diesem Bereich empfiehlt die Monopolkommission Anpassungen im bestehenden Wettbewerbsrecht.
In einem weiteren Sondergutachten der Monopolkommission (18/7508) werden in der Praxis der Kartellbehörden Regelungs- und Durchsetzungsdefizite festgestellt. Erinnert wird an das „Wurstkartell“. Im Sommer 2014 hatte das Bundeskartellamt wegen illegaler Preisabsprachen Bußgelder in Höhe von 338 Millionen Euro gegen 21 Wursthersteller sowie 33 verantwortlich handelnde Personen festgesetzt. Ein Unternehmen habe versucht, sich der Haftung durch Löschung der betroffenen Firmen aus dem Handelsregister zu entziehen. (hle/23.01.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
Erster Teil: Rechtliche Fragen unter anderem zu Bußgeldern, Schadenersatzklaren, Verbraucherschutz
- Prof. Dr. Rupprecht Podszun, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Andreas Mundt, Bundeskartellamt
- Dr. Stefan John, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)
- Prof. Dr. Jürgen Kühling, Monopolkommission
- N.N.
- Prof. Dr. Tobias Lettl, Universität Potsdam
- Jutta Gurkmann, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv)
Zweiter Teil: Digitales, Medien und Pressekooperationen
- Prof. Dr. Rupprecht Podszun, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Andreas Mundt, Bundeskartellamt
- Prof. Dr. Ulrich Schwalbe, Universität Hohenheim
- Prof. Dr. Jürgen Kühling, Monopolkommission
- Helmut Verdenhalven, Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. (bdzv)
- Cornelia Haß, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi (dju in ver.di)
- Jutta Gurkmann, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv)