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Parlament

Nina Scheer: Atomkonzerne sollen auf weitere Klagen verzichten

Nina Scheer (SPD) telefoniert mit einem Mobilfon

Nina Scheer (SPD) (© DBT/studio kohlmeier)

Dr. Nina Scheer (SPD), Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, hat die Atomkonzerne aufgefordert, einen Verzicht auf weitere Klagen zu erklären. „Gerade wenn man sich als Unternehmen mit der  Bundesregierung an einen Tisch setzt und das Ausstiegsprozedere zur Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bespricht, dann ist das auch eine Frage der Verantwortung und der Opportunität“, sagte Scheer in einem am Montag, 19. Dezember 2016, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Zudem müssten auch die noch offenen Klagen zurückgezogen werden. Das Interview im Wortlaut:


Frau Dr. Scheer, die Atomkonzerne sollen dem Staat 23,5 Milliarden Euro überweisen und sind damit die Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung des Atommülls los. Noch gibt es kein Endlager und niemand weiß, wie lange die Suche dauern und was sie kosten wird. Schießt am Ende der Steuerzahler nach?

Das lässt sich nicht definitiv ausschließen. Es bleibt ein Risiko. Wir wissen von Großvorhaben wie dem Berliner Flughafen, der Hamburger Elbphilharmonie und Stuttgart 21, dass selbst genau planbare Projekte deutlich teurer ausfallen können als angenommen. Bei dem Endlager werden wir die tatsächlichen Kosten erst dann abschätzen können, wenn wir wissen, wo es entstehen soll.

Ist es dann nicht voreilig, sich schon mit den Konzernen auf eine Einigung einzulassen?

Nein, es gibt Handlungsbedarf. Ohne eine Neuregelung wäre kein Mehr an Sicherheit für die Allgemeinheit erreicht, weder im Umgang mit den Stoffen noch ökonomisch. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass sich die Unternehmen so verändern, dass sie ihrer finanziellen Verantwortung nicht mehr gerecht werden können. Damit aber kein Missverständnis aufkommt: Im Grunde sind Themen wie der Umgang mit Geldern oder das Verursacherprinzip keine Dinge, über die man mit den Konzernen verhandeln müsste. Dass man sich mit den Unternehmen zusammensetzt, liegt zum einen daran, dass man auf Informationen aus den Unternehmen angewiesen ist, und zum anderen an den Einzelfallsituationen der jeweiligen Konzerne.

Was wurde konkret versäumt?

Es wurde versäumt, zu Beginn der Atomenergienutzung dafür Sorge zu tragen, dass am Ende tatsächlich auch Gelder für die Endlagerung zur Verfügung stehen. Man hat zwar die rechtliche Verantwortung der Konzerne in Form des Verursacherprinzips unmissverständlich gesetzlich verankert. Sie mussten aber nicht nachweisen, dass sie dieser Verantwortung über liquide Mittel oder reale Endlagerstätten nachkommen können. Die Rückstellungen bei den Unternehmen sind keine greifbaren Rücklagen. Dieses Versäumnis kann man heute nur begrenzt korrigieren. Zudem wurde keine Vorsorge dafür getroffen, dass eine Art Ausfall- oder Nachhaftung existiert, falls ein Unternehmen Pleite geht oder sich trickreich aufspaltet. Wenn der Staat nun die Verantwortung für Zwischen- und Endlagerung übernimmt, ist das mit Blick auf das Verursacherprinzip schon erklärungsbedürftig. Aber wir tragen angesichts der Dimensionen und der Lasten der Endlager-Frage einfach dem Fakt Rechnung, dass wir als Allgemeinheit nichts von einer rechtlichen Konzernverantwortung haben, wenn sie nicht wirklich liquidierbar ist.

Haben die Konzerne die Mittel, um in den Fonds einzuzahlen?

Davon ist auszugehen. Anders hätte es aufgrund der Rückstellungspraxis sicher ausgesehen, wenn die Einzahlungspflicht auch Stilllegung, Rückbau und Verpackung, also die gesamte Abwicklung der Atomenergie, umfasst hätte. Denn hier wird die Problematik der Rückstellungen offenbar: Sie sind nicht liquide, stecken teilweise in Kraftwerken, die schon bessere Zeiten gesehen haben. Mit der Regelung schaffen wir also auch Sicherheit für die Unternehmen, denn nun besteht Klarheit in Hinblick auf Zwischen- und Endlagerung und die finanziellen Verantwortlichkeiten.

Für den Rückbau der Kraftwerke und die Verpackung des Mülls bleiben die Konzerne verantwortlich?

Ja, ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die neuen Nachhaftungsregelungen auch für diese beiden Bereiche umfassend greifen. Anders als bei der Zwischen- und Endlagerung bleibt hier eine Haftungslücke für den Fall der Konzernaufspaltung. Diese Lücke haben wir nicht geschlossen. Die Nachhaftung umfasst nun aber gleichwohl einen großen Bereich: die Konzernaufspaltung in Bezug auf die Phase vor der Zwischen- und Endlagerung und den Bereich möglicher Tochter-Insolvenzen. Das ist eine wichtige gesetzliche Errungenschaft.

Wie erklärt sich die Lücke?

Die Grundlage für das Gesetzespaket war der Beschluss der „Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“ (KFK). Die Kommission war breit besetzt, der Beschluss fiel einstimmig. Insofern war die Erwartungshaltung in unsere Richtung als Gesetzgeber, den Beschluss in wesentlichen Punkten nicht mehr aufzuschnüren, um den Gesamterfolg nicht zu gefährden.

Das klingt problematisch mit Blick auf die Rolle des Parlaments…

Ich sehe das durchaus kritisch, wenn wir einen architektonisch schon relativ weit ausgefeilten Prozess vorgelegt bekommen. Kommissionen sollten nur sehr dosiert eingesetzt werden und nur dort, wo man die Akzeptanz von gesellschaftlichen Gruppen erwartet, die im Gesetzgebungsprozess vielleicht sonst nicht hinreichend Berücksichtigung finden. Aber auch dann muss die Gestaltungshoheit des Parlaments gewahrt bleiben. Wenn ein Thema wie die Finanzierung des Atomausstieges auf breite gesellschaftliche Füße gestellt werden soll, dann ist eine Kommission sehr wohl zu rechtfertigen. Umso wichtiger ist es aber, dass man ein solches Vorgehen auf die bedeutenden Fragen begrenzt. Bei den Regelungen zur Nachhaftung sehe ich diesen Bedarf nicht. Das hätte man auch ohne KFK regeln können. Wir hatten einen Kabinettsbeschluss und einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/6615) dazu. Ein Abschluss scheiterte dann aber am Einigungswillen unseres Koalitionspartners.

Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht in Sachen Atomausstieg nach Fukushima entschieden. Zwar müssen die Kraftwerksbetreiber teilweise entschädigt werden, die ganz großen Summen sind aber vom Tisch. Wie bewerten Sie das Urteil?

Das Urteil empfinde ich als sehr gut nachvollziehbar. Im Wesentlichen wird der politische Atomausstieg als verfassungskonform angesehen. Ich begrüße zudem, dass die Entscheidung auch für Vattenfall als schwedischer Staatskonzern gilt. Im Vorfeld war zweifelhaft, ob das Gericht die Grundrechtsbeschwerdefähigkeit von Vattenfall überhaupt anerkennt. Meiner Meinung nach lassen sich daraus auch Schlüsse ziehen, inwiefern Klagerechte im Kontext von Schiedsgerichten überhaupt existieren beziehungsweise fortexistieren sollten.

Vattenfall klagt aktuell vor einem Schiedsgericht in Washington, auch über die Brennelementsteuer entscheidet das Verfassungsgericht noch. Zahlreiche andere Klagen wollen die Konzerne hingegen aufgeben. Reicht das?

Es ist das Mindeste, dass die Klagen zurückgenommen werden und zwar ausnahmslos alle – auch vor dem Schiedsgericht. Es erschließt sich mir überhaupt nicht, warum die Konzerne nur bestimmte Klagen zurückziehen. Die Konzerne sollten außerdem Klageverzichtserklärungen für die Zukunft abgeben. Gerade wenn man sich als Unternehmen mit der Bundesregierung an einen Tisch setzt und das Ausstiegsprozedere zur Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bespricht, dann ist das auch eine Frage der Verantwortung und der Opportunität. Der gesamte Abwicklungsprozess der Atomenergienutzung wird der Allgemeinheit noch sehr viel Akzeptanz abverlangen. Vor diesem Hintergrund klagt man nicht gegen den Staat und damit die Allgemeinheit.

(scr/19.12.2016)