Entwicklungen im deutschen Bildungssystem unterschiedlich bewertet
Sehr unterschiedlich haben die Fraktionen in der Debatte zum „Nationalen Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2016“ am Freitag, 11. November 2016, die Entwicklungen im Bildungssystem. Während Dr. Rosemarie Hein (Die Linke) betonte, dass es „sehr viel Grund zu kritischem Nachfragen“ gebe, lobte Xaver Jung (CDU/CSU) den Fortschritt und unterstrich, dass der Bildungsbericht der Bildungslandschaft in Deutschland ein „hervorragendes Zeugnis“ ausstelle.
Zur Beratung standen die Unterrichtung durch die Bundesregierung „Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2016 und Stellungnahme der Bundesregierung“ (18/10100) sowie die Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Anerkennungsgesetz 2016 (18/8825) und der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Nationaler Bildungsbericht – Bildungsinstitutionen zukunftsfest machen – Für eine gerechte und soziale Gesellschaft“ (18/10248) auf der Tagesordnung.
CDU/CSU: Lese- und Sprachförderung weiter ausbauen
Gute Bildung, so betonte Jung, sei ein Menschenrecht und „das größte Kapital unseres Landes“. Der Bildungsstand und die Bildungsbeteiligung hätten sich kontinuierlich positiv entwickelt. Die Bildungsausgaben des Bundes hätten 2015 gut 80 Prozent über denen von 2008 gelegen. Gute Bildungsförderung beginne in frühen Kinderjahren. Er verwies darauf, dass 2015 ein neuer Höchststand bei der Beschäftigung pädagogischer Fachkräften erreicht worden sei.
Gleichwohl sei nicht nur der quantitative, sondern auch der qualitative Ausbau von Kindertagesstätten wichtig. Er forderte den weiteren Ausbau von Lese- und Sprachförderung und begrüßte zudem, dass die Bildungsbeteiligung der unter Dreijährigen um weitere 3,6 Prozent auf nun 32,9 Prozent gestiegen sei. Ferner hätten Jugendliche mit niedrigem sozialen Hintergrund aufgeholt. Ihre Lesekompetenz habe sich deutlich verbessert.
Linke: Viele Schulen bleiben unsaniert
Rosemarie Hein bemängelte, dass die ursprüngliche Absicht, zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bildung zu investieren, auch 2014 nicht erreicht worden sei. Die Differenz betrage 26 Milliarden Euro.
Allein für die Investitionen in Schulgebäude würden 34 Milliarden Euro fehlen. Die Bundesländer könnten diese Ausgaben nicht allein stemmen. Viele Schulen blieben unsaniert, und in der Fläche würden viele öffentliche Schulen verschwinden. In der Not entstünden dort Privatschulen, damit es überhaupt noch ein Schulangebot vor Ort gebe.
Bildung sei eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, und dazu gehöre auch eine ordentliche Bildungsinfrastruktur. Dass der Bund beschlossen habe, 3,5 Milliarden Euro in den Schulbau „rückwirkend“ einzubringen, sei zwar eine „schöne Sache“, aber es reiche nicht, den Investitionsstau aufzulösen.
„Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängig“
Das größte Problem sei jedoch die immer noch bestehende Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft. Kinder aus einem Akademikerelternhaus hätten immer noch viel bessere Chancen ein Abitur zu machen.
Zum Ende ihrer Rede betonte Hein die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen und schlug ein bundesweites Bildungsrahmengesetz vor. Darin sollten die soziale und rechtlichen Bedingungen für die Arbeit in der Bildung und die Rechtsansprüche festgeschrieben werden, sodass die Arbeit für die Bildung in allen Bundesländern besser und auch besser vergleichbar wird.
SPD: Mehr für die Bildungsintegration von Migranten tun
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) betonte vor allem die positive Dynamik der Entwicklung im Bildungssystem, denn diese sei ein Erfolg: Mehr Krippen, bessere Kindertagesstätten, mehr Ganztagsschulangebote, mehr Lesekompetenz, mehr Schulabschlüsse, mehr Studienanfänger.
Zugleich forderte er, dass die Koppelung von sozialer Herkunft und Bildungschancen weiterhin angegangen werden müsse. Die Folgen wie Armut und Bildungsferne könnten die Politik nicht zufrieden machen. In diesem Zusammenhang betonte er in Anspielung auf seine Vorrednerin Rosemarie Hein, dass die 3,5 Milliarden Euro, die nun in finanzschwachen Kommunen in Schulen und Bildungseinrichtungen eingesetzt werden sollen, keine Kleinigkeit seien.
Deutlich mehr müsse für die Bildungsintegration von Migranten getan werden, forderte Rossmann. Zudem machte er deutlich, dass die Übergänge zur beruflichen Bildung stärker Beachtung finden müsste. Der Einstig in die berufliche Bildung sei eine „entscheidende Klippe“ für viele.
Grüne: Wir verschleudern Potenziale
Katja Dörner (Bündnis 90/Die Grüne) räumte ein, dass es im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommen in den letzten Jahren Fortschritte gegeben habe. Gleichzeitig brachte sie ihr Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass in keinem Industrieland der Bildungserfolg so von der sozialen Herkunft abhängig sei wie in Deutschland. Sie sagte: „Ich finde das unwürdig. Wir verschleudern Potenziale der Kinder und Jugendlichen, und wir nehmen ihnen Lebenschancen.“
In diesem Zusammenhang lobte Dörner, dass viel für den Kita-Ausbau getan worden sei und immer mehr Kinder, auch mit Migrationshintergrund, diese Einrichtungen besuchten. Aber auch hier gelte: Es sei nun an der Zeit, stärker in die Qualität der Kitas zu investieren.
Ministerin: Chancengleichheit ein zentrales Thema
Prof. Dr. Johanna Wank (CDU), Bundesministerin für Bildung Forschung, betonte ebenfalls, dass sich Bildungsstand und Bildungsbeteiligung kontinuierlich verbessert hätten. Auch sie ging auf die Krippen ein und lobte, dass mittlerweile über ein Drittel der Kinder unter drei Jahren eine Krippe besuchen würden. Auch die Anzahl der Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf, die inklusiv beschult werden, habe sich in den letzten Jahren erhöht. Wanka sagte: „Wir sind auf einem guten Weg.“
Zudem ging sie auf den Grundtenor der Forderungen der Opposition ein, der Bund müsse bei der Bildung „miteinsteigen, also mitfinanzieren“. Das könne man sich ja wünschen, aber das sei kein Allheilmittel, unterstrich sie und nannte als Beispiel Frankreich. Wie auch ihre Vorredner strich Wanka heraus, dass die Chancengleichheit in der Bildung ein zentrales Thema sei. Erschreckend seien für sie die hohen regionalen Unterschiede in der Bildungslandschaft. Auch das sei eine Art von Ungerechtigkeit, wenn Bildung vom Wohnort abhänge. (rol/11.11.2016)