Mit 442 gegen 99 Stimmen bei einer Enthaltung hat der Bundestag am Donnerstag, 1. Dezember 2016, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII) (18/9984, 18/10349, 18/10444 Nr. 1.8) in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geändertes Fassung (18/10519) angenommen. Dazu liegt auch ein Bericht des Haushaltsausschusses (18/10520) vor.
Antrag der Grünen abgelehnt
Mit dem Gesetz werden ab dem 1. Januar 2017 die Regelbedarfe im SGB II und SGB XII angehoben werden. Die Regelbedarfe legen die Höhe der Sozialleistungen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und für Nichterwerbsfähige, Menschen mit Behinderungen und über 65-Jährige (SGB XII) fest. Die Neufestlegung muss alle fünf Jahre erfolgen, wenn neue Daten über das Ausgabeverhalten der Haushalte in Deutschland vorliegen.
Ab 1. Januar steigen die Hartz-VI-Regelsätze für Alleinerziehende beispielsweise um fünf Euro auf 409 Euro monatlich. 21 Euro mehr – nämlich 291 Euro – erhalten künftig Kinder in der Altersgruppe von sechs bis 14 Jahren. Für Asylbewerber sinken die Zahlungen, da einige Leistungen als Sachleistungen abgerechnet werden.
Gegen das Votum der Opposition scheiterten Bündnis 90/Die Grünen mit einem Antrag (18/10250), in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, das Existenzminimum „verlässlich und in ausreichender Höhe“ abzusichern.
Neue Bedarfsstufen für Asylbewerber
Ebenfalls gegen das Votum der Opposition beschloss der Bundestag darüber hinaus den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur dritten Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (18/9985, 18/10351, 18/10444 Nr. 1.9) in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung (18/10521). Auch dazu liegt ein Bericht des Haushaltsausschusses vor (18/10522). Mit dem Gesetz werden vom kommenden Jahr an auch die Leistungen für Asylbewerber angepasst und die Bedarfsstufen neu strukturiert. So werden etwa die Bedarfe für Strom und Wohnungsinstandhaltung aus dem Leistungssatz ausgegliedert und – wie bereits der Hausrat – gesondert als Sachleistung erbracht.
Außerdem wird eine neue Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften festgelegt. Für Einnahmen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit gibt es ferner einen Freibetrag, der nicht auf die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angerechnet wird.
Während der Debatte gab es seitens der Oppositionsfraktionen massive Kritik an den Regelungen. Von einem „gezielten Kleinrechnen des soziokulturellen Existenzminimums“ sprach Katja Kipping (Die Linke). Jeder, der dem zustimme, sage ja zur Armut, betonte sie.
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte ebenfalls die von der Bundesregierung angewandte Berechnungsmethode. Das Ergebnis dessen sei „nicht existenzsichernd“, sagte er.
Hilfebedürftige erhielten weiterhin ausreichend Leistungen im Sinne des Existenzminimums, urteilte hingegen Jana Schimke (CDU/CSU). Dass die Erhöhungen „moderat“ ausgefallen seien, nannte Schimke ein Signal an die Menschen im Land, „die diese Leistungen mit ihren Steuern und Einkommen finanzieren“.
Dagmar Schmidt (SPD) befand, 21 Euro mehr für Kinder in der Altersgruppe von sechs bis 14 Jahren seien super. Zugleich räumte sie ein, die SPD-Fraktion habe sich in anderen Fragen nicht gegen den Koalitionspartner durchsetzen können.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit und Soziales, machte während ihre Rede deutlich, dass die Bundesregierung bei Vorliegen einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) verpflichtet sei, die Höhe der Leistungssätze der Asylbewerberleistungen ebenso neu zu ermitteln wie die Höhe der Regelbedarfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfeempfänger.
Das Gesetz führe zur Erhöhung der Regelsätze bei Kinder, betonte die Staatssekretärin und begrüßte zugleich, dass im parlamentarischen Verfahren auch eine Lösung für die sogenannten Erstrentner gefunden worden sei. Personen, die aus der Grundsicherung, die Anfang des Monats gezahlt wird, in die Rente übergehen, die Ende des Monats gezahlt wird, könnten ein Überbrückungsdarlehen erhalten, welches nur in zumutbarer Höhe zurückgezahlt werden müsse.
Beim soziokulturellen Existenzminimum handle es sich um Grundrecht, das nicht nur das körperliche Überleben sondern auch ein soziales Leben sichern soll, betonte Katja Kipping. Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD), so kritisierte sie, habe aber „alle Tricks ihrer Vorgänger mit CDU-Parteibuch faktisch fortgesetzt“.
Bei der Berechnung habe man ein Modell gewählt, wo mehrere Haushalte über drei Monate ihre Konsumausgaben festhalten. Von den ärmsten 15 Prozent werde dann abgeleitet, „wo angeblich das Existenzminimum liegt“. Das durchschnittliche Einkommen der betrachteten Haushalte, so Kipping, habe bei 764 Euro gelegen – „also weit unter der Armutsgrenze“. Dazu seien noch jede Menge Abschläge gekommen.
„Das ist große Bevormundung durch materielle Daumenschrauben. Das ist übel“, befand die Linke-Abgeordnete. Ihre Fraktion habe eine namentliche Abstimmung beantragt, sagte Kipping und rief den Parlamentariern zu: „Jeder von Ihnen steht ganz persönlich in der Verantwortung.“
Jana Schimke verwies darauf, dass man bei der Festlegung der Regelsätze die Verantwortung habe, Wünschenswertes zu berücksichtigen, aber vor allem im Rahmen des Machbaren zu bleiben. Wenn es ums Geld geht, so sei es fast nie möglich alle Beteiligten zufriedenzustellen, weshalb auch eine Reihe von Forderungen keinen Zugang ins Gesetz gefunden habe, sagte die Unionsabgeordnete.
Mit Blick auf die gewählte Methodik sagte sie, maßgeblich für die Ermittlung sei die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 gewesen. Diese Methodik zur Berechnung des Regelsatzes hat sich nach Meinung Schimkes bewährt und sei verfassungskonform.
Sozialpolitik, so die CDU-Politikerin weiter, sei oft eine Gratwanderung zwischen Anreiz und Fehlanreiz. Die Union stehe für das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. „Ausufernde Regelsätze und Zusatzleistungen hier und da können dazu führen, dass Hilfe zur Abhängigkeit führt“, sagte Schimke.
Die Bundesregierung habe eine Referenzgruppe zur Ermittlung der Regelsätze gewählt, deren Einkommen nur knapp über der Grundsicherung gelegen habe, bemängelte Wolfgang Strengmann-Kuhn. Von den 764 Euro, die diese Gruppe an Ausgaben habe, rechne die Bundesregierung noch 140 Euro ab. „Damit rechnen Sie das Existenzminimum klein“, sagte der Grünen-Abgeordnete.
Statt über die Fehler bei der Berechnung zu reden, wolle er aber lieber über Alternativen diskutieren, sagte Strengmann-Kuhn. Es würden Konzepte benötigt, um Menschen aus der Grundsicherung herauszuholen, die derzeit rund acht Millionen Menschen in Deutschland beziehen würden.
Der Grünen-Abgeordnete wies in diesem Zusammenhang auf die von seiner Fraktion befürwortete Garantierente hin ebenso wie auf die „grüne Kindersicherung“, mit der es geschafft werden könne, einen großen Teil der Kinder aus Hartz VI herauszubekommen.
Dagmar Schmidt sagte, man müsse genau anschauen, „ob wir mit unserer Methodik ein valides Verfahren haben, gerade für Kinder angemessene Regelsätze zu ermitteln“. Das sei eine Aufgabe für die Zukunft. Erfreulich sei, dass eine Lösung für das Problem der Erstrentner gefunden wurde, sagte die SPD-Abgeordnete.
Angesichts der Lücke, die es dort im sozialen System gebe, sei ein Darlehen mehr als angemessen. Schmidt bedauerte, dass es ihrer Fraktion nicht gelungen sei, in anderen Bereichen – wie etwa bei der sogenannten weißen Ware oder im Falle unerwartet steigender Stromkosten – dasselbe Prinzip anzuwenden, „nämlich, dass wir die Menschen nicht aus der Verantwortung entlassen, ihnen aber auch nichts aufbürden, was sie schlussendlich nicht stemmen können“. Ihre Fraktion, so Schmidt, habe leider nicht die Kraft gehabt, dies in der Koalition durchzusetzen.
Entschließungsanträge der Linken abgelehnt
Zu den Regelbedarfen in der Grundsicherung (18/10532) und zum Asylbewerberleistungsgesetz (18/10531) hatte Die Linke je einen Entschließungsantrag eingebracht, die mit Koalitionsmehrheit abgelehnt wurden. Beim erstgenannten enthielten sich die Grünen, beim zweiten stimmten sie mit der Linken dafür. Die Linke hatte gefordert, dass erwachsene Leistungsberechtigte einen Regelsatz von 560 Euro, Kinder und Jugendliche gestaffelt nach Alter von 326, 366 und 401 Euro erhalten sollten.
Im zweiten Entschließungsantrag hatte Die Linke unter anderem verlangt, das Asylbewerberleistungsgesetz aufzuheben und in das allgemeine System der sozialen Sicherung einschließlich der Gesundheitsversorgung zu überführen. (hau/sas/01.12.2016)