Drama und Visionen in der Politik und im Theater
Die Beschreibung von Politik durch den Vergleich zum Theater hat eine lange Tradition. Den wechselseitigen Bezügen, den wichtigsten Unterschieden und wesentlichen Gemeinsamkeiten von Politik und Theater gingen am Montag, 7. November 2016, der Theaterregisseur Michael Thalheimer sowie die Bundestagsabgeordneten Dr. Gregor Gysi (Die Linke) und Charles M. Huber (CDU/CSU) in einem Podiumsgespräch der Veranstaltungsreihe „W-Forum“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages nach.
Die Diskussion moderierte Prof. Dr. Ulrich Schöler, Leiter Wissenschaft und Außenbeziehungen der Bundestagsverwaltung. In seiner Einführung warf er dabei unter anderem die Fragen auf: „Ist Theater stets Spiel, Illusion, Inszenierung, und Politik dagegen in aller Regel mühsame Arbeit an realen Problemen? Kann nur die Bühne positive Visionen aufbauen? Wie stünde es um eine Politik, die nicht oder nicht mehr in der Lage wäre, den Bürgerinnen und Bürgern Zukunftsperspektiven aufzuzeichnen ohne billige Boulevardisierung? Brauchen wir eher mehr als weniger Dramatisierung im politischen Handeln?“
Verständigung und Erkenntnisvermittlung
In der Politik wie im Theater müsse es um Verständigung und Erkenntnisvermittlung gehen, darüber herrschte schnell Einigkeit unter den Redner. Das Theater brauche sein Publikum. In der Politik müsse man versuchen, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Beides gehe nur über Inhalte.
Gelegentlich werde in der Politik versucht, Erkenntnisse zu verhindern, kritisierte Gysi. Daher brauche man Strukturen, um die Politik zu zwingen, Erkenntnisse zu vermitteln, und müsse versuchen, Verständnis herzustellen. Das Theater vermittle Visionen, und auch Politik brauche Visionen. Ohne sie habe man keine Orientierung für Politik. Diese werde dann nur situationsabhängig und ohne wirkliches Ziel. Politik müsse attraktiv sein, um auch Demokratie attraktiver zu machen. Auch in der Politik müsse man den Zeitgeist beachten. Der Inhalt dürfe sich jedoch nicht nach dem Zeitgeist richten.
Thalheimer: In Talkshows geht es selten um Wahrheitsfindung
Thalheimer bemängelte, dass es in politischen Talkshows nicht um Inhalte gehe, da dies der Ort sei, an dem, seiner Ansicht nach, die Mehrheit der Bürger Politik überwiegend wahrnimmt. Politik sei dort jedoch langweilig, nie hochgradig diskursiv, immer brav, inhaltsleer und ohne Tiefe. Dabei gehe es immer um Parteipolitik, selten um Erkenntnis oder Wahrheitsfindung. Was vielleicht auch ein Grund für die zunehmende Politikverdrossenheit in der Bevölkerung sei, vermutete er.
Der einzige Ort, an dem man live vor Publikum diskursiv und provokativ sein oder mit bestimmten Themen diskursiv umgehen könne, und an dem versucht werde, Wahrheiten, Realitäten zu finden, sei im Moment das Theater, lautete sein Vorwurf.
„Auch in der Politik geht es um Wahrheit“
Talkshows seien natürlich das Format, das die Leute gerne mögen würden, weil es Fernsehen sei und man hier seine emotionale Position finden könne. Es sei jedoch nicht das geeignete Format, ein Thema in seiner Komplexität zu erfassen. Bürger hätten hier auch eine Verantwortung, sich dezidierter zu informieren, entgegnete dazu Huber.
Auch in der Politik gehe es um die Wahrheit, erklärte er. Man könne nicht irgendetwas vortragen, Aussagen könnten nicht inhaltsleer sein, man müsse zu einzelnen Themen dezidierte Aussagen treffen können, sonst sei man in der Politik schnell erledigt. Einigkeit herrschte indessen darüber, dass der beste Inhalt einer Aussage nur dann glaubhaft sei, wenn dahinter eine erkennbare Haltung und eine Persönlichkeit steckten.
Gysi: Im Vergleich zu früher fehlt Drama in der Politik
Gespalten zeigten sich die Diskussionsteilnehmer in der Frage der Notwendigkeit von mehr oder weniger Dramatisierung im politischen Handeln. Im Vergleich zu früheren Zeiten fehle Drama in der Politik, konstatierte Gysi. Früher habe mal der eine oder der andere verloren. Jetzt verlören beide. Das eigentliche Drama sei, dass Merkel die Union sozialdemokratisiert und Schröder und seine Nachfolger die SPD entsozialdemokratisiert hätten. Es gebe keine Alternativen mehr. Das sei natürlich ein Zustand, den die AfD nutzen würde. Union und SPD müssten sich wieder deutlicher unterscheiden und zu echten Alternativen werden.
Für mehr Drama sei die Große Koalition gänzlich ungeeignet, befand Thalheimer. Dramatische Konflikte entstünden nur, wenn zwei Personen recht hätten und der Konflikt nicht lösbar sei. In einer Großen Koalition könnten sich die Parteien hingegen nicht so antipodisch gegenüberstehen.
Huber: Engere Spielräume für die Parteien
Nach wie vor gebe es lebhafte Debatten, erwiderte Huber. Die Zeiten hätten sich jedoch geändert und die Spielräume für die einzelnen Parteien seien in Zeiten der Globalisierung deutlich enger geworden. Politik müsse sich auch gesellschaftlichen und globalen Gegebenheiten anpassen und nach vorne schauen. Das Drama finde nicht mehr zwischen Strauß und Wehner statt. Das aktuelle Drama sei die AfD - auch wenn dies eine negative Seite des Dramas sei, die der Mehrheit nicht gefalle. Das sei wohl eher eine Tragödie, entgegnete daraufhin Thalheimer.
Kritisch betrachteten sowohl der „Kulturschaffende“ Thalheimer als auch die Abgeordneten Kürzungen im Kulturbereich und die Schließungen von Theatern und Opernhäusern. Einhellig betonten sie die Bedeutung der Kultur für den Erhalt der Demokratie. Gysi betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit von Chancengleichheit in der Bildung und im Zugang zu Kunst und Kultur. Das würde aber auch mehr Förderung bedeuten, ergänzte er. (klz/08.11.2016)