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Parlament

Gehring fragt nach Entlassungen an Türkisch-Deutscher Universität

Im Anschluss an die Regierungsbefragung folgt in der Plenarsitzung am Mittwoch, 9. November 2016, die Fragestunde. Sie beginnt voraussichtlich gegen 16.05 Uhr und soll eineinhalb Stunden dauern. Vertreter der Bundesregierung beantworten Fragen der Abgeordneten (18/10201), die getrennt nach Ressortzuständigkeit aufgerufen werden.

Die Fragestunde wird live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen.

Nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei hat die Welle der Verhaftungen und Suspendierungen auch die Türkisch-Deutsche Universität erfasst: In der vergangenen Woche wurden sechs Mitarbeiter der 2010 gegründeten und mit deutschen Geldern geförderten Hochschule in Istanbul entlassen. In der Fragestunde will Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung von Bündnis 90/Die Grünen, erfahren, welche Konsequenzen die Bundesregierung daraus ziehen will.

Ein Sprecher von Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka hatte erklärt, die Vorkommnisse seien ein „weiterer Anlass zur Sorge“. Eine zu schwache Antwort, findet Gehring. Zu lange habe die Bundesregierung „nur zögernd und lasch“ reagiert, kritisiert er. „Wenn wie im Sommer mehr als 1.500 Hochschuldekane zurücktreten müssen, dann ist das keine Petitesse, sondern ein tiefer Eingriff in die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre“. Im Interview fordert der Essener Bundestagsabgeordnete deshalb „den nötigen Gegenwind, damit Präsident Erdoğan merkt, dass er die demokratischen Freiheitsrechte nicht weiter mit Füßen treten darf“. Der Austausch in Bildung und Wissenschaft dürfe aber trotzdem nicht eingestellt werden. Das Interview im Wortlaut:


Die Türkisch-Deutsche Universität gilt als Leuchtturm der deutsch-türkischen Wissenschaftskooperationen. Trotzdem fällt der Protest der Bundesregierung verhalten aus. Vermissen Sie ähnlich deutliche Worte der Kanzlerin wie anlässlich des Vorgehens der türkischen Regierung gegen die Zeitung „Cumhuriyet“?

Ich hätte mir viel früher deutliche Worte der maximalen Missbilligung und des klaren Widerspruchs gegen den Eskalationskurs von Präsident Erdoğan gewünscht. Die Türkisch-Deutsche Universität ist ein bilaterales Renommierprojekt. Beide Seiten haben ein großes Interesse daran, dass diese Brücke hält. Aus diesem Grund dürfen jetzt auch nicht einseitig Steine herausgebrochen werden. Das Problem ist ohnehin viel größer: Erdoğan höhlt die geschwächte türkische Demokratie aus. Er spaltet, er eskaliert, er beugt die Verfassung – und trotzdem hat die Bundesregierung monatelang nur zögernd und lasch auf diese ungeheuerliche autoritäre Wende reagiert. Wenn Teile der Opposition verhaftet sowie die Presse- und Wissenschaftsfreiheit de facto außer Kraft gesetzt werden, dann muss die Bundesregierung dagegen protestieren. Wenn wie im Sommer mehr als 1.500 Hochschuldekane zurücktreten müssen, dann ist das keine Petitesse, sondern ein tiefer Eingriff in die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre in der Türkei. Da hätte ich von Bundesbildungsministerin Wanka klarere Worte erwartet. Sorge haben wir alle, aber es braucht auch den nötigen Gegenwind, damit Präsident Erdoğan merkt, dass er die demokratischen Freiheitsrechte nicht weiter mit Füßen treten darf.

Sie fordern von der Bundesregierung Konsequenzen. Wie müssten diese aussehen?

Klare Antworten an Erdoğan wären längst angebracht gewesen. Allerdings sind wir gut beraten, nicht in erster Konsequenz den Austausch in Bildung und Wissenschaft einzustellen. Gerade das ist ein Bereich, in dem Kooperationen oftmals auch dann noch gelingen, wenn es auf allen anderen Ebenen kriselt. Wissenschaftskooperationen können als ein bedeutsamer Anker fungieren und die Zivilgesellschaft stärken. Deswegen muss man gerade in der jetzigen Situation die Möglichkeit für den wissenschaftlichen Austausch offenhalten – und damit auch die Tür zu einem ganzen Land.

Aber was wäre stattdessen ein geeignetes Vorgehen?

Die Bundesregierung sollte sich mit ihren europäischen Partnern zusammentun, um mit gemeinsamer Stimme gegen die autoritäre Wende von Erdoğan vorzugehen. Bundesregierung, Bundestag und Mittlerorganisationen müssen zudem gemeinsam überlegen, wie die Wissenschaftler, die in Kooperationsprojekten forschen, unterstützt werden können, damit sie ihre Arbeit fortsetzen zu können.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf?

Die rote Linie ist angesichts des massiven Abbaus demokratischer Grundrechte in der Türkei eigentlich längst überschritten. Nehmen wir nur die Todesstrafe, die wieder eingeführt werden soll – das ist antieuropäisch und widerspricht komplett unseren Menschenrechtsvorstellungen. Oder die Massenentlassungen infolge des Putschversuchs: Das gleicht schon einer Säuberung von Regimegegnern. Es bringt aber nichts, jetzt ausgerechnet im Wissenschaftsbereich ein Exempel zu statuieren. Letztlich ist es im beiderseitigen Interesse, dass die Türkisch-Deutsche Universität – ebenso wie die vielen anderen Wissenschaftskooperationen zwischen Deutschland und der Türkei – nicht gefährdet wird. Das würde das Land weiter isolieren. Mit ihrer Politik hat die türkische Regierung schon jetzt alles andere als Werbung für das türkische Wissenschaftssystem gemacht.

Welche Folgen werden die Restriktionen für die enge deutsch-türkische Wissenschaftszusammenarbeit haben?

Für die Türkei werden die Folgen verheerend sein. Vor allem droht ihr die weitere Abwanderung von Spitzenkräften. Schon jetzt haben zahlreiche Journalisten und Wissenschaftler das Land verlassen. Der Brain Drain hat eingesetzt. Viele, die auf Forschungsfreiheit setzen oder an einer demokratischen Entwicklung des Landes interessiert sind, kehren der Türkei den Rücken. Wenn nun sogar Wissenschaftskooperationen mit Deutschland als wichtigster Wirtschaftsnation der EU wackeln, dann hat Erdoğan ein Problem. Die Aussichten für die türkische Wissenschaftscommunity und damit auch für Innovationen, Wirtschaft und Arbeitsplatzsicherung sind düster. Denn Bildung und Wissenschaft sind die Quellen künftigen Wohlstands und Wachstums.

Tut Deutschland genug, um türkische Wissenschaftler, die ihr Land verlassen haben, zu unterstützen?

Die deutschen Wissenschaftsorganisationen ermöglichen bereits einiges: Es gibt zahlreiche Kooperationen wie die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander-von-Humboldt-Stiftung oder auch Stipendienprogramme von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Damit finden türkische Wissenschaftler in Deutschland zumindest vorübergehend eine neue Heimat. Aber letztlich kann das keine Alternative auf Dauer sein. Wir wollen, dass sie in der Türkei forschen und lehren können, und dass ihnen dort Wissenschaftsfreiheit garantiert wird. Das ist essenziell für den wissenschaftlichen Fortschritt. Die fatale Entwicklung in der Türkei war so vor Jahren noch nicht absehbar. Wie stünde die Türkei heute da, wenn man ihr vor 15 oder 20 Jahren nicht nur eine privilegierte Partnerschaft angeboten hätte, sondern eine klare Perspektive auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union? Die Folgen dieses Fehlers von Kanzlerin Merkel sehen wir heute. Nun wird sie sich strecken müssen, damit die geschwächten demokratischen Kräfte und die Zivilgesellschaft in der Türkei erhalten werden können.

(sas/08.11.2016)

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