Umweltministerium wusste nichts von illegalen Abschalteinrichtungen
Im Bundesumweltministerium gab es bereits 2007/2008 den Verdacht, dass mittels einer speziellen Software die Abgase von Dieselmotoren auf dem Rollenprüfstand beeinflusst werden können. Mehrere Vertreter des Ministeriums bestritten aber am Donnerstag, 20. Oktober 2016, in der von Herbert Behrens (Die Linke) geleiteten Sitzung des 5. Untersuchungsausschusses (Abgas), Kenntnis von einer illegalen Abschalteinrichtung gehabt zu haben.
Der Hinweis auf sogenanntes Cycle-beating fand sich in einem Konzeptentwurf des Umweltbundesamtes (UBA) von Anfang 2008. Prof. Dr. Uwe Lahl, damals Abteilungsleiter für Immissionsschutz, Gesundheit und Verkehr im Umweltministerium, sagte im Ausschuss, es habe den Verdacht gehabt, „dass da was ist“. Hinweise auf Cycle-beating seien aus der Szene der Nichtregierungsorganisationen und von mindestens einem UBA-Mitarbeiter an ihn herangetragen worden.
„Keinerlei Beweise“
Es habe aber keinerlei Beweise gegeben. Man habe auch keinen Vorschlag gehabt, wie man den Nachweis hätte führen können. Er habe die Hinweise für eine „abenteuerliche Geschichte“ gehalten und würde es ohne das VW-Eingeständnis immer noch tun. Gleichwohl habe er die Hinweise ernst genommen, sagte Lahl, der heute Amtschef im baden-württembergischen Verkehrsministerium ist.
Auch Hubert Steinkemper, damals Unterabteilungsleiter unter Lahl, verneinte, Kenntnis von Betrugssoftware für Abgasmanipulationen gehabt zu haben. „Den Hinweis hatte ich nicht“, sagte Steinkemper, der 2013 aus Altersgründen aus dem Ministerium ausschied. Was Volkswagen getan habe, hätte er nicht für möglich gehalten. Die Passage des UBA, in der von der Möglichkeit von Cycle-beating die Rede sei, sei abstrakt gewesen.
„Für strengere Regeln plädiert“
Sie sei auch nicht gestrichen worden, wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ geschrieben habe. Vielmehr sei er dahingehend modifiziert worden, dass in Verdachtsfällen Überprüfungen vorgenommen werden sollen. Dass Fahrzeugelektronik erkennen kann, wenn sich ein Auto auf dem Rollenprüfstand befindet, ist nach Aussage des Abgas-Fachreferenten im Ministerium, Dr. Oliver Eberhardt, bekannt und teilweise sogar technisch notwendig, etwa bei Allradmodellen. Steinkemper plädierte für stringentere Regeln, wann die Abgasnachbehandlung abgeschaltet werden kann. Dies ist aus Gründen des Motorschutzes bislang erlaubt, die Regeln werden von den Herstellern aber extrem ausgereizt.
Das Umweltbundesamt sollte im Auftrag des Umweltministeriums Anfang 2008 ein Konzept für Feldüberwachungen erstellen, um zu testen, ob Fahrzeuge auch im Betrieb und nicht nur bei der Typzulassung die Abgasgrenzwerte einhalten. Die Abstimmung zwischen Ministerium und UBA nannte Lahl „holprig“. Ein erstes Konzept war dem Ministerium zu dünn, ein weiteres zu weitgehend. Um das Verkehrsministerium zu gewinnen, wurde es geglättet. „Die Begeisterung war nicht übermäßig ausgeprägt beim Verkehrsminister“, sagte Steinkemper.
„Von der Betrugssoftware erst im September 2015 erfahren“
Als letzten Zeugen am Abend befragte der Ausschuss Jochen Flasbarth, von 2009 bis 2013 UBA-Präsident und seitdem Umweltstaatssekretär. Bei seinem Amtsantritt im Umweltbundesamt sei er gleich zu Beginn auf die Stickoxid-Problematik der Dieselfahrzeuge hingewiesen worden. Man habe daher auf die schnelle Einführung der Euro-6-Norm und der realitätsnäheren RDE-Tests (Real Driving Emissions) gedrungen. Diese sollen 2017 Kraft treten.
Von der Betrugssoftware hat Flasbarth nach eigener Aussage ebenfalls erst mit dem VW-Eingeständnis im September 2015 erfahren. An der Aufarbeitung des Skandals war das Umweltministerium dem Staatssekretär zufolge nicht beteiligt. Dies oblag dem Verkehrsministerium, das eine eigene Untersuchungskommission einsetzte. Deren Ergebnisse habe er trotz hohem Interesse an frühzeitiger Information erst kurz vor Veröffentlichung telefonisch und in groben Zügen von Verkehrsstaatssekretär Michael Odenwald erfahren.
„Keine Kenntnis von illegalen Abschalteinrichtungen“
Das Bundesumweltministerium hatte keine Kenntnis von illegalen Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen, wie der Volkswagen-Konzern sie verwendet hat. Zwar habe man gewusst, dass die Motorsoftware erkennen könne, wenn sich ein Auto auf dem Rollenprüfstand befinde, sagte Oliver Eberhardt. Dies sei teilweise technisch sogar notwendig.
„Der Einsatz illegaler Abschalteinrichtungen war nicht bekannt“, betonte der Experte für Abgasgesetzgebung im Ministerium.
Gestiegene Sensibilität im Umweltministerium
Laut Eberhardt war im Ministerium die Sensibilität in der Abgasthematik gestiegen, nachdem bekannt geworden war, dass steuerlich geförderte Rußpartikelfilter nicht ausreichend funktionierten. Das Ministerium beauftragte daher das Umweltbundesamt (UBA) Ende 2007, ein Konzept für eine Feldüberwachung, also Messungen von in Betrieb befindlichen Autos, zu erarbeiten.
Das UBA erstellte ein weitgehendes Konzept. Dort war unter anderem davon die Rede, dass moderne Fahrzeugelektronik erkennen könne, ob sich ein Auto auf dem Rollenprüfstand befinde, „sodass auf ein für die Abgas- und/oder Verbrauchsmessung optimiertes Motorenkennfeld umgeschaltet wird, das vom normalen Betrieb abweicht (sogenanntes Cycle-beating)“. Die Passage wurde gestrichen, handschriftlich findet sich der Hinweis „Tretminen“ in dem Ursprungskonzept.
Eberhardt erklärte, dieses sei über das geltende Regelwerk hinausgegangen und habe Notwendiges wie Wünschenswertes enthalten. Schließlich sollte das Konzept aber geeignet sein, in fruchtbare Gespräche mit dem Verkehrsministerium einzutreten. Dort habe man „eine gewisse Grundhaltung“, die geltenden Regeln als Ausgangsbasis zu nehmen.
Zu optimistische Annahmen im Umweltbundesamt
Das Umweltbundesamt zweifelt unterdessen, dass bis zum Jahr 2030 allein mit technischen Maßnahmen die Stickoxid-Grenzwerte an hoch belasteten Straßen eingehalten werden können. An 60 Prozent der Messstationen würden heute die Grenzwerte überschritten, sagte die Leiterin der UBA-Abteilung „Luft“, Marion Wichmann-Fiebig, in ihrer Befragung durch den Ausschuss.
Das Problem gebe es EU-weit. Zwar habe es seit 2010 einen leichten Rückgang der Emissionen gegeben. Sie gäben aber keinen Anlass zur Entspannung. Wichmann-Fiebig räumte ein, dass man im UBA zu optimistische Annahmen hatte, sowohl hinsichtlich der Senkung der Abgase als auch der Erneuerung der Fahrzeugflotte.
Seit 2007 sei deutlich gewesen, dass die realen Emissionen jene auf dem Prüfstand überschreiten. Im Umweltbundesamt ging man davon aus, dass die Hersteller alle legalen Mittel ausschöpfen, damit die Autos bei der Zulassung die Grenzwerte einhalten. „Das ist ein bisschen wie 1.000 legale Steuertricks“, sagte die Abteilungsleiterin. Der Gedanke, dass illegale Einrichtungen genutzt wurden, sei ihr nicht gekommen. (stu/21.10.2016)
Liste der geladenen Zeugen
- Marion Wichmann-Fiebig
- Dr. Oliver Eberhardt
- Hubert Steinkemper
- Prof. Dr. Uwe Lahl
- Jochen Flasbarth