Opposition kritisiert Wohn- und Baupolitik der Koalition scharf
Geht es nach dem Willen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dann sollen in Deutschland in den nächsten zehn Jahren eine Million „dauerhaft günstige“ Wohnungen entstehen oder sozial gebunden werden. In einem Antrag (18/10027), der am Donnerstag, 20. Oktober 2016, in erster Lesung im Bundestag debattiert wurde, fordern die Grünen dafür unter anderem die Wiedereinführung der 1989 abgeschafften Wohngemeinnützigkeit. In der Debatte zu dem Antrag kritisierten neben den Grünen auch die Vertreter der Fraktion Die Linke die Wohn- und Baupolitik von Koalition und Bundesregierung scharf. Diese wiederum reagierte mit Unverständnis und verwies auf zahlreiche angeschobene Maßnahmen. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen.
Grüne: Thema Wohnen ist zur „sozialen Frage“ geworden
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sagte, dass das Thema Wohnen inzwischen zu „der sozialen Frage“ der Gesellschaft geworden sei. Der Wohnort beeinflusse etwa die Chancen bei Bewerbungen, den Zugang zu Schulen und das Wohnen im Alter. „Explodierende Mieten“ seien inzwischen ein „Spaltpilz der Gesellschaft“. Es entstünden Wohngebiete, wo zu spüren sei, dass der „soziale Zusammenhalt“ infrage gestellt werde, sagte Göring-Eckardt.
Die Politik der Koalition und Regierung reicht nach Ansicht der Grünen-Politikerin nicht aus, um den Herausforderungen zu begegnen. Die „Mini-Mietpreisbremse“ habe nicht verhindern können, dass in zahlreichen deutschen Städten die Mieten weiter steigen würden. Auch die zahlreichen Ausnahmen der Regelung kritisierte Göring-Eckardt. Seit Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit seien zudem zwei Millionen bezahlbare Wohnungen vom Markt verschwunden, jedes Jahr fielen weitere 60.000 Wohnungen aus der Sozialbindung.
Die Bundesregierung müsse Geld in die Hand nehmen, um den Trend abzuwenden und die Struktur der Städte positiv zu verändern. Die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit sei dafür notwendig, warb Göring-Eckardt für den Antrag ihrer Fraktion
Linke: Gemeinnützigen Wohnungssektor aufbauen
Auch die Linke-Abgeordnete Caren Lay verwies auf die rückläufige Zahl der sozial gebundenen Wohnungen. Werde nicht mehr Tempo gemacht, „dann haben wir in 25 Jahren überhaupt keine Sozialwohnungen mehr“, warnte Lay. Die bau- und wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion forderte dazu ebenfalls den Aufbau eines gemeinnützigen Wohnungssektors.
Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus müsse von Seiten des Bundes auf jährlich fünf Milliarden Euro erhöht werden. Auch eine Änderung der Liegenschaftspolitik sei notwendig, vom Höchstpreisverfahren beim Verkauf von Bundesliegenschaften müsse Abstand genommen werden, Kommunen sollten ein Vorkaufsrecht erhalten, forderte Lay.
Regierung weist Kritik an der Mietpreisbremse zurück
Florian Pronold (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbauministerium, mahnte die Oppositionsfraktionen hingegen, die Fakten zu Kenntnis zu nehmen. Es gebe keinen Bereich, wo die Große Koalition so erfolgreich gewesen sei, wie im Wohnungsbau. „Sie können noch so viel Haare in der Suppe suchen, sie werden keine finden“, sagte Pronold in Richtung Opposition. Im ersten Halbjahr 2016 sei so viel Neubau wie seit 2002 nicht mehr verzeichnet worden. Zudem habe der Bund die Mittel für den sozialen Wohnungsbau inzwischen verdreifacht, es liege – das betonten Redner aller Fraktionen – nun auch an den Ländern, dieses Geld zweckdienlich einzusetzen.
Auch die anhaltende Kritik an der Mietpreisbremse wies Pronold zurück. Erstmalig sei bei Neuvermietungen eine Regelung erlassen worden. Sie bremse die Entwicklung allerdings nur, es müsse aber auch gebaut werden, um einem weiteren Anstieg der Mieten entgegenzuwirken. Zudem befasse sich das Justizministerium gerade mit den Problemen bestimmter Regelungen.
SPD: Wohngemeinnützigkeit kann eine Lösung sein
Ähnlich sah das auch Michael Groß (SPD). Das Glas sei nicht leer, so wie es die Opposition darstelle, sondern „mehr als halbvoll“. Die Koalition habe viel erreicht.
Das Thema Wohngemeinnützigkeit könne langfristig tatsächlich eine Lösung sein, müsse aber erst geprüft werden. Die Sozialdemokraten seien dafür grundsätzlich offen. Es helfe aber nicht kurzfristig, sagte Groß.
CDU/CSU: Auch private Investoren erforderlich
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) warf den Grünen vor, einen zu engen Ansatz in ihrem Antrag zu vertreten. Die Grünen bezögen sich nur auf Metropolen, Probleme mit bezahlbarem Wohnen gebe es aber auch in kleineren Städten und teilweise im ländlichen Raum. Verengt sei auch die Ansicht darüber, wer eigentlich Bauen sollte. Das wäre, so Nüßlein, bei den Grünen nur der Staat oder die Genossenschaften.
Es brauche aber auch private Investoren und für die müsse sich das Bauen auch rechnen. Die Bedingungen seien aber nicht ideal, kritisierte der Christsoziale mit Blick auf Abschreibungsmöglichkeiten und Grunderwerbsteuer. Nüßlein warnte zudem davor, Standards für klimafreundliches Bauen und Sanieren zu hoch zu setzen. Klimaschutz sei ein „immanent wichtiges Thema“, es drohe aber zum „Kostentreiber“ zu werden.
„Blick aufs Ganze fehlt“
Den Grünen fehle in ihrem Antrag der „Blick aufs Ganze“ auch deshalb, weil sie keinen einzigen Satz zum Thema Eigenheim geschrieben hätten. Auch hier müsse gehandelt werden, etwa durch die Anpassung der Wohnbauprämie oder der Schaffung eines Baukindergelds, sagte der Unionabgeordnete.
Damit gebaut werden kann, brauche es aber auch ausreichend Bauland, stellte Kai Wegner (CDU/CSU) fest. Wie auch Nüßlein forderte er gerade für die Baulandausweisung an Siedlungsrändern schnellere Verfahren. Daran müsse das Bundesbauministerium arbeiten, bisher sei aber die angekündigte Baurechtsnovelle nicht „kabinettsreif“, kritisierte Wegner.
Grüne fordern bezahlbares Wohnen
Die Grünen wollen bezahlbares Wohnen mit einem großen Bündel an Maßnahmen ermöglichen und Verdrängungstendenzen insbesondere in Ballungsräumen begegnen. Sie fordern in ihrem Antrag die Bundesregierung unter anderem auf, Schritte einzuleiten, um innerhalb der nächsten zehn Jahre „eine Million dauerhaft günstige Wohnungen neu zu schaffen oder gemeinnützig zu binden“. Dazu gehört nach dem Willen der Fraktion unter anderem die Wiedereinführung der 1989 abgeschafften Wohngemeinnützigkeit und ein Sofortprogramm zum Wohnungsbau mit steuerlichen Anreizen.
Um Mietsteigerungen anzugehen, soll das Instrument der Mietpreisbremse angepasst werden, etwa indem die Ausnahme für möblierte Wohnungen gestrichen wird. Reformbedürftig ist nach Ansicht der Grünen auch das Wohngeld. Die Bundesmittel dafür sollen demnach verdoppelt werden. Zusätzlich soll ein Klimawohngeld eingeführt werden, um das Wohnen in „klimafreundlichen Wohnungen“ zu ermöglichen. Auch auf die Rechte der Mieter geht der Antrag ein. Die Grünen schlagen vor, Klagemöglichkeiten auch als Gruppenklage auszugestalten. (scr/20.10.2016)