Die gesetzlich festgeschriebene Bevorzugung bei Insolvenzen zulasten anderer Betroffener, insbesondere von Gläubigern aus der Bankenwelt, wird von Experten kontrovers beurteilt. Dies zeigte sich am Mittwoch, 9. November 2016, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz unter Vorsitz von Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU).
Der Bundesgerichtshof hatte vor fünf Monaten Konstrukte gekippt, mit denen eine solche Privilegierung im Finanzsektor möglich war. Im Ausschuss ging es nun um den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung der Insolvenzordnung (18/9983, 18/10263), mit der das Vorgehen wieder auf eine rechtliche Basis gestellt werden soll - und womöglich zu Ausweitungen etwa auf die Energiebranche führen kann.
„Massiver Lobbyismus“
Prof. Dr. Christoph G. Paulus vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht sowie Römisches Recht der Humboldt-Universität Berlin sprach von einem „massiven Lobbyismus“ der Finanzdienstleister, „der das Geschäftsmodell begründet hat“. Die Gesetzesänderung bedeute also: „Wir schützen ein Geschäftsmodell der Banken.“
Freilich müsse er pragmatisch feststellen, dass daran nichts mehr zu ändern sei: „Umkehren geht natürlich nicht.“ Sein Vergleich: „Wenn wir auf einer neunspurigen Autobahn auf der Mittelspur sind, drehen wir nicht um.“ Aber sicherlich habe das „reduzierte Risiko“ bei Insolvenzen - die deutschen Regelungen entsprechen internationalen Vorgaben - seinen Beitrag zur Finanzkrise geleistet.
Prof. em. Dr. Johannes Köndgen vom Fachbereich Rechtswissenschaft, Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, prangerte das Privileg ausgerechnet für „hochprofessionelle Marktakteure“ und dies „zulasten einfacher Insolvenzgläubiger“ an. Es sei „keine besonders starke Begründung“, dass mit der Gesetzesänderung das Insolvenzrecht an die Vertragspraxis angepasst werden solle. Er nahm die Ausweitung auf weitere Branchen ins Visier: „In der Tat drohen hier Dammbrüche.“ Erst Strom, dann Rohstoffe: „Dann ist da kein Halten mehr.“
Köndgen warf der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) „Kompetenzanmaßung“ vor. Sie habe noch am Tage des Urteils versucht, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs per behördlicher Allgemeinverfügung „außer Kraft zu setzen - ein ziemlich einmaliger Verfassungskonflikt“. Paulus sprach davon, dass neben der BaFin auch zwei Ministerien kundgetan hätten: „Das Urteil unterminieren wir.“
Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten
BaFin-Vertreterin Elisabeth Roegele rechtfertigte im Ausschuss die bis Ende Dezember befristete Verfügung: Weil die Insolvenz-Privilegierung internationaler Standard sei, hätten deutsche Finanzdienstleister sonst womöglich keine Geschäfte mehr im Ausland tätigen können oder die Transaktionen auf ausländische Töchter verlagert. Die nun in der Beratung befindliche Gesetzesänderung bringe „das deutsche Vorgehen wieder in Einklang mit europäischen Regelungen“. Damit werde „die Wettbewerbsfähigkeit für deutsche Finanzinstitute wiederhergestellt“ - dazu die „erforderliche Rechtssicherheit“ - „mithin ein sehr wichtiger Gesetzentwurf“.
Auch für Dr. Lucas Flöther von der Bundesrechtsanwaltskammer Berlin ist der Text der beabsichtigten Gesetzesänderung „sehr gelungen“. Dass teils „unbestimmte Rechtsbegriffe“ vorkämen, sei nun mal nicht anders zu regeln. Unbestimmt ist wohl auch, welche Branchen mit Insolvenz-Privilegien rechnen können. Max Liesenhoff vom Verband Deutscher Gas- und Stromhändler, sieht „jetzt endlich auch Rechtssicherheit für den Handel mit Waren“.
Klare Definitionen schaffen
Demgegenüber mochte Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands „nur dringend davor warnen, weitere Privilegien einzuführen“. Er machte sich für „Gläubigergleichheit“ stark. Es dürfe neben der Finanzbranche „kein Mit-Durchschlüpfen für andere Wirtschaftszweige“ geben.
Prof. Dr. Christoph Thole von der Universität Köln stufte das Urteil des Bundesgerichtshofs als „in der Sache völlig konsequent“ ein. Den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf finde er „nachvollziehbar“. Freilich werde darin „nicht so ganz deutlich“, dass es wie bisher nur um Finanzdienstleistungen gehe. Er machte sich für eine „klare Definition“ stark.(fla/10.11.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Dr. Lucas Flöther, Bundesrechtsanwaltskammer, Berlin; Rechtsanwalt, Insolvenzverwalter
- Max Liesenhoff, EFET Deutschland - Verband Deutscher Gas- und Stromhändler e.V., Berlin
- Dr. Lambert Köhling, LL.M., Die Deutsche Kreditwirtschaft, Berlin
- Prof. em. Dr. Johannes Köndgen, Rheinische Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn, Fachbereich Rechtswissenschaft, Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung
- Dr. Christoph Niering, Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID), Berlin, Vorsitzender
- Prof. Dr. Christoph G. Paulus, LL.M., Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht sowie Römisches Recht
- Prof. Dr. Christoph Thole, Universität zu Köln, Institut für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht, Geschäftsführender Direktor
- Elisabeth Roegele, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn